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Wer bezahlt die Heilbehandlung?

Seit Werner altershalber pensioniert wurde, bessert er sein Haushaltsbudget mit einem Teilzeitjob als Zeitungsverträger auf. Als er in dieser Funktion an einem eiskalten Sonntagmorgen im Begriff war, mit den Zeitungen unter dem Arm die Treppe zu einem Wohnhaus zu erklimmen, verlor er auf einem vereisten Tritt den Halt. Vergeblich versuchte er noch, den Fall mit ausgestrecktem Arm abzufedern, er schlug mit unverminderter Wucht auf dem harten Boden auf.

Die Folge: Hartnäckige Schmerzen …

Werner dachte zunächst, dass er mit ein paar Prellungen davongekommen sei. Als die Schmerzen in der Schulter aber trotz «Sälbelen» und Schonhaltung kein Ende nahmen, wandte er sich schliesslich an einen Spezialisten. Der Facharzt erblickte hierauf im MRT-Bild partielle Muskel- und Sehnenrisse rund um das Schultergelenk als Ursache für die akuten Beschwerden von Werner. In einer Operation mit der sogenannten «Schlüssellochtechnik», welcher einige Tage nach der Diagnose erfolgte, wurde die gerissenen Gewebe wieder miteinander verbunden.

… und niemand will bezahlen

Werner lebt heute wieder ohne funktionelle Einschränkung und vor allem schmerzfrei. Aus medizinischer Sicht könnte deshalb die Erzählung hier ein Ende nehmen. Aus rechtlicher Sicht aber hatte sie für Werner erst begonnen, denn der Unfallversicherer verweigerte die Kostenübernahme.

Unfall oder Krankheit?

Ihren Entscheid begründete die Unfallversicherung damit, dass der beauftragte Kreisarzt nach Analyse der MRT-Bildgebung zweifelsfrei festgestellt hätte, dass die Muskel- und Sehnenrisse auf eine krankhafte bzw. degenerative Veränderung der Muskeln und Sehnen rund um das Schultergelenk zurückzuführen seien. Gerade Personen im fortgeschrittenen Alter wiesen häufig degenerative Veränderungen im Schultergewebe auf. Diese Veränderungen würden oft zu spontanen Rissen im Gewebe führen. Im vorliegenden Fall sei deshalb die «Unfallkausalität nicht erstellt» und die Leistungspflicht des Unfallversicherers entfalle. Werner solle sich die Kosten deshalb von der Krankenkasse vergüten lassen. Die Krankenkasse aber reagierte umgehend und teilte Werner postalisch mit, dass es sich vorliegend eindeutig um einen Unfall handle, und verwies ihrerseits an die zuständige Unfallversicherung.

Verschiedene Versicherungen, verschiedene Leistungen

Wie das eben geschilderte Beispiel zeigt, ist die Frage, ob eine Körperschädigung auf einen Unfall oder aber auf eine degenerative Veränderung zurückzuführen ist, aus versicherungsrechtlicher Perspektive entscheidend, da die vergleichsweise vorteilhaften Leistungen der Unfallversicherung nur im ersten Fall erbracht werden. Nun führt diese Frage aber aus medizinischer Sicht gerade bei älteren Versicherten zu schwierigen Abgrenzungsfragen. Dies gilt insbesondere bei Heilbehandlungskosten infolge Muskel- und Sehnenrissen und trifft letztlich den Versicherten, dessen «Fall» wie eine heisse Kartoffel zwischen Unfallversicherung und Krankenkasse hin- und hergeschoben wird.

«Umgekehrte Beweislast»

Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und mit der letzten Revision des Unfallversicherungsgesetzes zu entschärfen versucht, indem er eine sogenannte gesetzliche Vermutung geschaffen hat. Demnach entfällt die Leistungspflicht des Unfallversicherers bei Muskel- und Sehnenrissen nur dann, wenn er nachzuweisen vermag, dass die Körperschädigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit «vorwiegend auf Abnützung oder Erkrankung zurückzuführen» ist (Art. 6 Abs. 2 UVG). Mit anderen Worten hat nicht der Versicherte den Nachweis zu erbringen, dass der Muskel- oder Sehnenriss auf einen Unfall zurückzuführen ist. Vielmehr besteht bei derartigen Verletzungen eine gesetzliche Vermutung für die Leistungspflicht des Unfallversicherers. Erst der zweifelsfreie Gegenbeweis vermag diese Vermutung zu widerlegen.

Ende gut, alles gut?

Eine klare Verbesserung im Gesetzestext! Doch ob die neue Regelung, welche nun seit rund einem Jahr in Kraft ist, bei derartigen Abgrenzungsfragen tatsächlich für Rechtssicherheit zu sorgen vermag oder aber neue medizinische oder rechtliche Fragen aufwirft, wird sich erst noch zeigen.

Rechtsschutzteam SEV