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Feministischer Streik

«Hoffentlich der letzte Streik»

Am 14. Juni 2023 findet schweizweit der dritte Frauenstreik statt, diesmal mit dem Namen «feministischer Streik- und Protesttag». Auch viele Mitarbeiterinnen des öffentlichen Verkehrs werden den Tag als Protesttag nutzen, um für Gleichstellung zu demonstrieren. Ein Interview mit Hanny Weissmüller, Zentralpräsidentin des LPV.

Wo wird man dich am 14. Juni antreffen, Hanny, wirst du streiken?

Ich werde die Arbeit nicht niederlegen, sondern ich werde den ganzen Tag an meinem Arbeitsplatz sein, in der Führerinnenkabine des Zuges. Und ich werde durch die Westschweiz fahren, um Frauen zu den Streikaktionen und wieder nach Hause zu fahren.

Vor vier Jahren, am 14. Juni 2019, gab es den letzten Frauenstreik. Ist es nötig, jetzt schon wieder zu demonstrieren?

Ja, es ist nötig. Es gab seither für viele Frauen in bestimmten Branchen Verschlechterungen, insbesondere während und nach der Coronapandemie. Die Doppelbelastung für Frauen mit Kindern hat während der Pandemie zugenommen. Viele haben ihre Jobs verloren, weil sie Stellen hatten, die plötzlich als «unwichtig» galten. Das heisst, wir müssen dranbleiben und zeigen, dass wir noch nicht dort sind, wo wir gerne sein wollen.

Wie sieht es in deinem beruflichen Alltag aus? Es gibt ja immer noch Stimmen, die sagen, der Lokführerberuf sei ein typischer Männerberuf.

Seit ich diesen Beruf ausübe, also in den letzten zehn Jahren, ist vieles besser geworden. Als ich 2014 angefangen habe, hat einmal ein Mann ans Fenster geklopft und gefragt, ob ich diesen Zug fahre. Als ich bejaht habe, hat er gesagt, dann steige er nicht ein und nehme einen anderen Zug. Heute passiert das nicht mehr. Es hat viel mehr Frauen in den Loks. Und manchmal haben wir reine Frauenteams auf dem Zug, also beim Lok- und beim Zugpersonal. Hinzu kommt, wir haben tatsächlich Lohngleichheit bei der SBB. Lokführerinnen verdienen gleich viel wie ihre männlichen Kollegen. Da sind wir einiges weiter als andere Branchen.

Und wie ist es als Frau bei der Gewerkschaft? Du bist ja zurzeit die einzige Zentralpräsidentin im SEV.

Auch da läuft es heute gut. Am Anfang gab es Männer, die gefragt haben, ob ich denn als Frau eine Gewerkschaft führen kann. Ich habe immer gesagt, ich vertrete einen bestimmten Berufsstand und nicht ein bestimmtes Geschlecht. Wenn ich für bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Renten kämpfe, sind Männer und Frauen gleichermassen betroffen.

Monika Ribar, Verwaltungsratspräsidentin der SBB, hat kürzlich in einem Zeitungsinterview stolz verkündet, dass es im SBB-Kader immer mehr Frauen gebe, mittlerweile über 20 %. Du hast dich über dieses Interview genervt, warum?

Ja, weil sie im gleichen Interview auch gesagt hat, Frauen interessierten sich nicht für technische Berufe. Das ist falsch. Mit solchen Aussagen findet die SBB nicht mehr weibliches Personal und kämpft nicht erfolgreich gegen den Fachkräftemangel. Insgesamt sind wir nur 6 % Lokführerinnen bei der SBB, schweizweit sind es 7 %. Die SBB muss unbedingt dafür sorgen, dass Frauen merken, unser Beruf ist auch für Frauen geeignet.

Hast du auf die Aussagen von Monika Ribar reagiert?

Ja, und dann hat sie mich zu einem Gespräch eingeladen. Wir hatten dann ein gutes Gespräch über Frauenthemen im Besonderen und Wertschätzung im Allgemeinen. Und da gibt es noch vieles zu tun. Zum Beispiel unsere Arbeitskleider: Für Frauen gibt es keine guten Hosen. Unsere Hosen sind für Männer geschnitten, und das ist ziemlich mühsam für uns Frauen. Und natürlich ist die Sicherheit ein Thema. Das gilt übrigens auch für Männer. Manchmal ist es unangenehm, wenn man spätabends arbeitet. Und da muss die SBB für unsere Sicherheit sorgen. Interessanterweise hat mir Monika Ribar dann erzählt, dass sie selber nicht gerne nach 22 Uhr reise. Die Hoffnung ist also da, dass sie das Thema ernst nimmt. Sie hat sich viele Notizen gemacht von unserem Gespräch unter Präsidentinnen. Ich bin gespannt, ob sich etwas verändert.

Was ist dein persönlicher Wunsch für den 14. Juni?

Ich wünsche mir Gleichberechtigung und Gleichstellung in allen Bereichen, in denen wir Frauen im öffentlichen Verkehr arbeiten. Mein grösster Wunsch ist es, dass es in Zukunft keinen solchen Streik mehr braucht. Das würde bedeuten, wir haben alles erreicht.

Michael Spahr
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SEV-Aktionen am 14. Juni

Zürich:

Aktion um 13.33 Uhr: Wir wollen mit einem Transparent im HB Zürich präsent sein, mit möglichst vielen Kolleginnen und Kollegen. Treffpunkt 13.15 Uhr beim Prellbock Gleis 11/12.

Demonstration ab 18 Uhr: Treffpunkt 17.15 Uhr auf dem Bürkliplatz beim Pavillon im Park.

Bern:

Lohnaktion: Treffpunkt 15 Uhr beim Weiher der Kleinen Schanze.

Demonstration ab 18 Uhr (Schützenmatte): Treffpunkt 17 Uhr beim Weiher der Kleinen Schanze.

Freiburg: Treffpunkt 17 Uhr Place-Python.

Wut und Solidarität verbinden uns

Editorial von Lucie Waser, Gleichstellungsbeauftragte SEV

Vor einem Monat hat der Arbeitgeberverband eine Kampagne gegen Teilzeitarbeit gestartet. Es wird ignoriert, dass Teilzeitarbeit eine Lösung zur Vereinbarkeit leistet, also auch die Tatsache, dass «Unterbeschäftigte» gerne mehr arbeiten würden. Betroffen davon: vorwiegend Frauen. Ebenfalls vor einem Monat hat das Bundesamt für Statistik neue Zahlen publiziert, die aufzeigen, dass die Kaufkraft gesunken ist. Betroffen davon: Tieflohnbrachen, also oft sogenannte «Frauenberufe». Vor zwei Monaten hat das Parlament eine BVG-Reform beschlossen. Das Versprechen, dass sich die Situation für Frauen verbessert, wurde nicht eingehalten. Resultat: Frauen und Männer zahlen künftig mehr in die Pensionskasse ein und erhalten am Schluss weniger. Jede zweite Frau erlebt «sexualisierte Gewalt» zu Hause, im öffentlichen Raum oder bei der Arbeit. Es gibt so viele Beispiele, die Frauen wütend machen. Und viele Männer verstehen das.

Aus gewerkschaftlicher Sicht gibt es gute Gründe auf die Strasse zu gehen und am «dritten feministischen Streik- und Protesttag Schweiz» teilzunehmen. Die Frauenkommission des SEV ruft alle auf, am 14. Juni mitzumachen. Wir wollen unsere Forderungen auf die Strasse tragen und ein klares Zeichen setzen für eine Gesellschaft, in der wir in Zukunft leben wollen.

Der Fachkräftemangel und die veränderte Prioritätensetzung der Politik führen zu grossen Veränderungen im öffentlichen Verkehr. Um gegen den Fachkräftemangel vorzugehen, sollen vermehrt Frauen motiviert werden, Jobs im öV zu übernehmen. Hier braucht es Modernisierungen, um die Arbeit auch für Frauen attraktiv zu machen. Wir fordern deshalb regelmässige Lohnkontrollen, um sicherzustellen, dass auch im öV Lohngleichheit für alle gilt. Teilzeitangestellte müssen genau gleich gefördert werden wie Vollzeitangestellte und ebenso Weiterbildungen besuchen können, damit sie fit im Job bleiben. Die Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben muss auch im Schichtbetrieb gewährleistet sein. Die Sicherheit für Frauen im Spätdienst muss verbessert werden und es braucht Strategien, um Angestellte vor der zunehmenden Aggressivität durch Fahrgäste zu schützen. Grundsätzlich muss Gewalt und sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz gestoppt und sanktioniert werden. Standards der Privatsphäre, wie getrennte Toiletten und Umkleideräume, müssen garantiert sein. Von all diesen Verbesserungen für Frauen profitieren am Ende alle. Darum lasst uns alle auf die Strasse gehen.