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Sabine Trier

Optimismus trotz allem

Am 24. November wird Sabine Trier an der Bildungstagung der SEV-Frauen als Rednerin auftreten. Sie ist stellvertretende Generalsekretärin sowie Leiterin der Abteilung Politik und Geschlechtergleichstellung bei der ETF, der europäischen Transportarbeiter-Föderation. Sie war massgeblich an der Entwicklung des «Women in Rail»-Abkommens beteiligt.

Du warst am 14. Juni 2023 am feministischen Streik mit einer internationalen Delegation in Bern und hast gemeinsam mit den Mitgliedern der SEV-Frauenkommission an der grossen Kundgebung teilgenommen. Was hat dich bewogen, für diese Demonstration die Reise von Brüssel nach Bern zu unternehmen?

Als ich gehört habe, dass es so etwas wie einen feministischen Streik gibt, war mir sofort klar, dass wir als europäische Gewerkschaftsvertreterinnen hier sein müssen. Es ist wichtig, dass wir so eine Demonstration international unterstützen. Zudem ist es eine Inspiration. Wir müssen uns überlegen, ob wir etwas Ähnliches auch in anderen Ländern auf die Beine stellen sollten. Gleichstellung ist nicht nur in der Schweiz ein Thema.

Natürlich war ich schockiert, als ich gehört habe, dass es das Frauenstimmrecht in der Schweiz erst 1971 gab und die Gleichstellung erst 1981 in der Verfassung verankert wurde. Aber in anderen europäischen Ländern ist es nicht unbedingt besser. Es gibt ebenfalls viele Themen, warum die Frauen auf die Strasse gehen müssen.

Obwohl im Gründungsakt der Europäischen Union steht, dass in Europa die Lohngleichheit realisiert werden muss, sind wir immer noch weit davon entfernt. Wenn wir die Rentensituation anschauen, ist die Situation zum Teil dramatisch. Altersarmut ist bei vielen Frauen in ganz Europa ein grosses Problem. Auch bei den Themen Gewalt gegen Frauen und sexualisierte Gewalt besteht praktisch überall Handlungsbedarf.

Im Bahnsektor sind wir in der Schweiz punkto Lohngleichheit einigermassen gut aufgestellt. Wie sieht es in Europa aus?

Auch in Europa gibt es viele Kollektivverträge, also Gesamtarbeitsverträge, in denen die Lohngleichheit festgelegt wird. Trotzdem hapert es mit der Gleichstellung vielerorts. Für viele Frauen sind Bahnberufe immer noch nicht genug attraktiv.

Seit fast 20 Jahren führen wir einen sozialen Dialog mit den Bahnunternehmungen. Wir haben Projekte gestartet und Empfehlungen herausgegeben, wie die Unternehmen mehr Frauen gewinnen können. Wir haben immer wieder die Forderung aufgestellt, mehr Frauen in Leitungsgremien zu integrieren. Wir haben vor etwa zehn Jahren angefangen, alle zwei Jahre einen Bericht zu veröffentlichen, wie sich die Situation der Frauen im Bahnsektor entwickelt. Aber getan hat sich nur wenig. Dann haben wir beschlossen, jetzt muss etwas gehen.

Gemeinsam mit dem Präsidenten der ETF-Eisenbahnsektion, dem ehemaligen SEV-Präsidenten Giorgio Tuti, haben wir beschlossen, wir müssen vorwärts machen. Schliesslich haben wir es vor zwei Jahren geschafft, ein verbindliches Abkommen zwischen den Sozialpartnern abzuschliessen.

Das «Women in Rail»-Abkommen, das gezielt aufzeigt, wie Frauen in der Branche gefördert werden müssen, wurde vor zwei Jahren unterschrieben. Hat sich seither mehr getan?

Eigentlich hatten wir mit den Unternehmen vereinbart, dass sie zwei Jahre Zeit haben, das Abkommen in die Realität umzusetzen. Vor ein paar Monaten sagten sie uns, dass dies nicht funktioniere und dass sie noch ein Jahr mehr Zeit bräuchten. Wir haben diesem Vorschlag zugestimmt. Aber wir hören oft von den Kolleginnen, dass es nur schleppend vorwärts geht. Das heisst, die Gewerkschaften müssen weiter darauf drängen, dass «Women in Rail» umgesetzt wird. Ein Selbstläufer ist das Projekt nicht. Der Bahnsektor bleibt ein männerdominierter Bereich. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir Frauen uns international vernetzen und austauschen.

Die Babyboomer-Generation geht in Pension und es fehlen zunehmend Fachkräfte in den Bahnunternehmungen. Ist das nicht eine riesige Chance für die Frauen?

Da bin ich tatsächlich optimistisch. Die Arbeitgeber und die Politik kriegen es zunehmend mit der Angst zu tun, dass sie die Stellen nicht mehr besetzen können. Das bedeutet, dass in vielen Ländern die Frauen «entdeckt» werden. Aber wir müssen eben auch betonen, wir sind nicht bloss die Reserve. Wir sind ein wichtiger Hebel. Das bedeutet, die Arbeitgeber müssen die Arbeitsbedingungen anpassen und die Atmosphäre am Arbeitsplatz für Frauen verbessern. Ich bin zuweilen geschockt, wie viele Frauen den Bahnsektor nach kurzer Zeit wieder verlassen. Wenn der Respekt und die Arbeitsbedingungen verbessert werden, profitieren am Schluss nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer. Den Fachkräftemangel können wir nur gemeinsam beseitigen.

Eine weitere Chance für den öffentlichen Verkehr ist der Klimawandel. Die Politik muss in den öV investieren, um den Verkehr klimafreundlicher zu gestalten. Siehst du das auch so?

Ja, auch das stimmt mich optimistisch in Bezug auf die Zukunft des Bahnsektors. Doch auch da muss sich noch einiges tun. Die Liberalisierungsideologie bedroht diese Entwicklung im Moment noch. Noch immer glauben viele Politikerinnen und Politiker, mehr Wettbewerb, mehr Liberalisierung schaffe einen besseren Service public, bessere Dienstleistungen und führe zu tieferen Preisen. Aber das passiert eben nicht. Stattdessen verschlechtert sich der Service und die Preise steigen. Wir müssen gegen diese Ideologie kämpfen. Dann können wir auch erfolgreich gegen den Klimawandel ankämpfen. Ich gehe davon aus, dass die Politik, aber auch die Bevölkerung und die Unternehmen das merken. Wir müssen den Klimawandel aufhalten, um nicht in einer Klimakatastrophe zu landen. Der öffentliche Verkehr ist das Rückgrat einer klimafreundlichen Mobilitätswende.

Michael Spahr
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Bildungstagung Frauen

Am 24. November findet die Bildungstagung der SEV Frauen im Hotel Bern statt. Sabine Trier spricht über die Rolle der Frauen in der Mobilität der Zukunft. Weitere Rednerinnen sind Dore Heim (Historikerin und ehemalige SGB-Zentralsekretärin), Ruth-Gaby Vermot-Mangold (Präsidentin Friedens-Frauen Weltweit und ehemalige SP-Nationalrätin) sowie Martine Gagnebin (Präsidentin Schweizerischer Verband für Frauenrechte SVF-ADF). Infos und Anmeldung: www.sev-online.ch/de/der-sev/frauen/bildungstagung.php/

Kommentare

  • Pennella Markus

    Pennella Markus 02/11/2023 13:54:45

    Sehr geehrte Damen und Herren
    Mir liegt es am Herzen, allen Rentner/ innen, die Möglichkeit zu geben, sorglos die finanzielle dramatische Lage in Zukunft zu meistern / gerechtes angepasste Rentenlohn zu erreichen. Vielmals wird das unterschätzt und wird immer wieder nicht ernst genommen und vergessen.
    Ich hoffe immer wieder, das sich der SEV darum bemüht und sich dafür auch einsetzt.
    Mit freundlichen Grüßen
    Pennella Markus