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Feministischer Streik

14. Juni 2023: Forderungen der SEV-Frauen

Die Generation der Babyboomer kommt ins Pensionierungsalter. In den nächsten Jahren werden zahlreiche Angestellte aus dem aktiven Erwerbsleben ausscheiden. Die Lücke, die sie hinterlassen, wird nur schwer zu schliessen sein, der bereits bestehende Fachkräftemangel wird dadurch noch verschärft. Auch die Verkehrsbranche ist bekanntlich stark von dieser Entwicklung betroffen.

Programm Feministischer Streik 2023

https://feministischerstreik.ch/programm/

Forderungen

Die öV-Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die offenen Stellen neu zu besetzen, insbesondere mit mehr Frauen, die in dieser Branche noch untervertreten sind. «Mehr Frauen, mehr Diversität – das bringt auch die Chance, neue Ideen und Kräfte zu bündeln und Mitarbeitende zu beschäftigen, die einen neuen Blickwinkel einnehmen und die Unternehmen pluraler und diverser machen», ist SEV-Gleichstellungsbeauftragte Lucie Waser sicher. «Denn aus diversen Studien wissen wir, dass gemischte Teams besser arbeiten.»

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf den feministischen Streik vom 14. Juni 2023 hat die SEV-Frauenkommission einige Forderungen aufgestellt. Denn wenn die Bahnbranche attraktiv sein will für neue Generationen und Frauen im Speziellen, dann müssen einige Rahmenbedingungen verbessert werden.

Forderung 1: Lohngleichheit gibt es nur mit Kontrollen! Gleichwertiger Lohn für gleichwertige Arbeit muss mindestens alle drei Jahre mit der Lohnkontrolle in allen öV-Betrieben der Schweiz gesichert werden. Die Lohngleichheit ist eine Vorgabe aus dem Gleichstellungsgesetz. Sie ist auch in vielen GAVs enthalten und zudem Bestandteil des Women-in-Rail-Abkommens. Wer die Lohnfairness kontrollieren will, der tut es heute bereits. Viele andere haben nun die Gelegenheit auf diesen Zug aufzuspringen. Denn klar ist: Kontrollierte Lohngleichheit in einem Betrieb macht diesen attraktiv für Stellensuchende und insbesondere für Frauen.

Forderung 2: Der SEV fordert gezielte Förderung und Weiterbildungen auch für Teilzeitangestellte. Wir wissen aus Studien, dass Menschen in Teilzeitpensen weniger zu Weiterbildungen geschickt werden als solche mit einer Vollzeitstelle. Um eine Chancengleichheit in den Berufskarrieren zu erreichen, müssen alle Angestellten zu gleichen Teilen am Weiterbildungsangebot teilhaben können, um auf dem Stellenmarkt attraktiv zu bleiben. Und nicht zu unterschätzen: Weiterbildungen sind oft auch ein Faktor, wenn es um Lohnerhöhungen geht.

In der Schweiz sind mehrheitlich Frauen in Teilzeit angestellt. Darum hat sich die SEV-Frauenkommission dazu entschieden, diese Forderung im Sinne eines Efforts für die Chancengleichheit aufzunehmen.

Forderung 3: Die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben muss trotz der Schichtarbeit mit kreativen und flexiblen Lösungen weiter verbessert werden. Wer in der öV-Branche tätig ist, arbeitet oft im Schichtbetrieb. Das Wesen des öffentlichen Verkehrs bringt dies mit sich. Schichtbetrieb mit Familie ist eine zusätzliche Herausforderung hinsichtlich der Organisation von Berufs- und Privatleben. Hier gibt es bereits Ideen und Lösungsvorschläge, die in Diskussion sind, um den Druck auf im öV arbeitende Elternpaare zu verringern. Beispielsweise durch geteilte Touren.

Weil im Umfeld des öffentlichen Verkehrs zusätzlich das Arbeitszeitgesetz AZG eingehalten werden muss, braucht es spezifische Berufsgruppenlösungen. Der SEV beteiligt sich aktiv an der laufenden Diskussion und Lösungssuche.

Forderung 4: Der SEV fordert bessere Sicherheitskonzepte bei Früh- und Spätschichten ausgehend von den Bedürfnissen von Frauen. Insbesondere bei Früh- und Nachtschichten müssen sich Frauen (und selbstverständlich auch alle anderen Angestellten) sicher zur Arbeitsstelle bewegen können, sodass sie bereits auf dem Arbeitsweg geschützt sind. Helfen können beispielsweise Parkplätze, die direkt beim Eingang bzw. im Gebäude platziert sind.

Es braucht Konzepte, wie Mitarbeitende besser vor der zunehmenden Aggressivität der Kundschaft geschützt werden können. Gute Lösungen müssen dabei nicht unbedingt teuer sein. Wichtig ist, dass sie mit den Betroffenen gemeinsam erarbeitet werden, denn diese kennen die kritischen Situationen und haben oft kreative Ideen, wie genau solche entschärft werden könnten.

Forderung 5: Die Standards der Privatsphäre müssen eingehalten sein mit getrennten Toiletten- und Umkleideanlagen für Frauen und Männer bei allen Pause-, Ruhe- und Arbeitsorten. Der SEV setzt sich dafür ein, dass überall Toiletten- und Umkleideanlagen für Männer und Frauen umgesetzt werden, damit sich beide Geschlechter am Arbeitsplatz frei entfalten können und sich wohl fühlen. Ist dies überall erreicht, können in einem weiteren Schritt die Stimmen einbezogen werden, die Räume für non-binäre Menschen fordern.

Forderung 6: Der SEV fordert eine freundliche und wertschätzende Arbeitsatmosphäre für alle. Verbale sexualisierte Gewalt muss gestoppt werden durch Sanktionierung der Täterschaft. Ein freundlicher und anständiger Umgang mit dem Personal und unter den Mitarbeitenden des öffentlichen Verkehrs sollte normal sein – ist es aber leider nicht immer.

Gegen sexualisierte Gewalt wie z. B. Sexismus und aggressive Verhaltensdynamiken müssen die Unternehmen teils noch aktiver vorgehen. Denn der Gesundheitsschutz der Angestellten liegt zu einem grossen Teil in der Verantwortung der Unternehmen.

Chantal Fischer
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Medienmitteilung SGB vom 14.2.2023

14. Juni 2023: Ein neuer Streik – damit es bei der Gleichstellung endlich vorwärts geht

Frauen haben tiefere Löhne und Renten, übernehmen mehr unbezahlte Arbeit und sind weiterhin mit Diskriminierungen konfrontiert. Der Kampf für echte Gleichstellung ist eine Schlüsselaufgabe der Gewerkschaften. Deshalb legt der SGB beim feministischen Streik am 14. Juni 2023 den Fokus auf die Arbeitswelt. Denn die grössten Ungleichheiten haben ihren Ursprung am Arbeitsplatz. Das Ziel ist klar: Aufwertung von Branchen mit weiblicher Mehrheit, neue Gesamtarbeitsverträge und Bekämpfung von Belästigung und Diskriminierung. Nur mit einer besseren kollektiven Organisation an den Arbeitsplätzen sind konkrete Fortschritte bei der Gleichstellung möglich.

Vier Jahre nach dem grossen Streik von 2019 gibt es so gut wie keinen Fortschritt bei der Verbesserung der finanziellen und gesellschaftlichen Situation der Frauen. Im Gegenteil: Ihr Rentenalter wird angehoben und die Einkommenslücke zwischen Frauen und Männern hält sich hart­näckig. Diese Lücke ist ein massives Problem: Die Hälfte der Frauen verdiente 2020 weniger als 4’470 Franken im Monat. Vania Alleva, SGB-Vizepräsidentin, betont: «Statt vorwärts geht es mit der Gleichstellung neuerdings sogar wieder rückwärts: bei den Löhnen, bei den Renten und auch bei der Verteilung der Care-Arbeit. Noch immer ist das Einkommen von uns Frauen im Schnitt 43,2 Prozent tiefer als jenes der Männer. So geht das nicht!» Besonders tief ist das Einkommen von Frauen, die im Verkauf oder in anderen Dienstleistungsberufen wie der Gastronomie arbeiten. Dort haben die Frauen einen Monatslohn von weniger als 3100 Franken (Median). Ihre Kunden hingegen verdienen mehr als das Doppelte.

Ein zentraler Grund für die tiefen Einkommen ist die schlechte Entlöhnung von Berufen mit hohem Frauenanteil. Kleinkinderbetreuerinnen, Verkäuferinnen oder Coiffeurinnen verdienen nach der Berufslehre in Vollzeit nur zwischen 3’500 und 5’000 Franken, deutlich weniger als in Branchen mit hohem Männeranteil. Folge dieser Einkommenslücke ist eine massive Frauenrentenlücke von 34.6%. Für Natascha Wey, Generalsekretärin VPOD und SGB-Vizepräsidentin, ist die Konsequenz klar: «Arbeitsbedingungen verbessern sich, wenn Gewerkschaften stark sind und wenn kollektiv mobilisiert wird. Es braucht eine bessere GAV-Abdeckung in den sogenannten Frauenbranchen und massive Lohnerhöhungen». Deshalb haben sich die Gewerkschaften zum Ziel gesetzt, Mitglieder in Branchen mit hohem Frauenanteil zu gewinnen, um die Gleichstellung schneller vorantreiben zu können.

Betroffene fordern Schutz am Arbeitsplatz, Aufwertung der Frauenberufe und bessere Vereinbarkeit

Heute haben anlässlich der Lancierung der Kampagne für den 14. Juni sieben Arbeiterinnen aus der ganzen Schweiz die Mobilisierung angestossen. So betont Pamela Silva Barrientos, Pharmaassistentin: «Wir müssen sehr viele Aufgaben mit hoher Konzentration erledigen. Wir müssen uns ständig weiterbilden. Und trotzdem kommen wir nicht über die Runden!». Branchen mit weiblicher Mehrheit brauchen eine Aufwertung: «Im Detailhandel sind die Löhne tief. Dabei ist die Arbeit körperlich anstrengend, man ist ständig im Kundenkontakt und es wird viel Flexibilität verlangt. Wo bleibt da die Wertschätzung, wo bleibt die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben?», fragt Kerstin Maurhofer-Späh, Verkäuferin. Für Pflegerin Loreen Erras müssen sich die Arbeitsbedingungen in ihrer Branche rasch ändern: «Der Personalmangel sollte nicht mit noch schlechteren Arbeitsbedingungen verschärft werden. Die Abwärtsspirale muss mit angemessenen Arbeitsbedingungen aufgehalten werden!».

Muriel Noble, Orchestermusikerin, beschreibt, wie prekäre Karriereverläufe die Kulturwelt besonders anfällig für Missbrauch und Belästigung gegen die Frauen machen: «Wenn man eine Frau ist und noch keine feste Anstellung hat, ist es viel schwieriger, sich als Opfer von sexualisierter Gewalt zu wehren. Wir brauchen darum GAV, die für alle gelten und alle schützen. Und kurzfristig soll in allen kulturellen Einrichtungen ein detaillierter Verhaltenskodex aufgehängt werden.». Als Angestellte in der Kundenberatung und Ticketkontrolle im ÖV fordert Sarah-Julia Mois: «Der Schutz vor Belästigung am Arbeitsplatz, sei es durch Kollegen oder Kunden, gehört zu den Grundpflichten der Arbeitgeber und muss endlich ernsthaft wahrgenommen und durchgesetzt werden».