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Berufsrechtsschutz

Velo- gegen Busfahrer

Der SEV-Rechtsschutz ist für Busfahrerinnen und -fahrer besonders wichtig, weil sie bei ihrer Arbeit jederzeit in Unfälle oder Konflikte mit anderen Verkehrsteilnehmenden oder Fahrgästen geraten können und dann von ihren Arbeitgebern oft nicht die nötige Unterstützung erhalten. Dies zeigt beispielhaft ein vor Kurzem erfolgreich abgeschlossener Gerichtsfall.

Busfahrer:innen sind in einer sehr verletzlichen Position und müssten sich in der Not auf den Arbeitgeber verlassen können, und nicht nur auf den SEV.

Am 1. Februar 2022 gegen Abend wurde ein Bus an einer Station von einem Velo überholt und musste diesem später etwa eine Minute lang mit rund 20 km/h folgen, weil Gegenverkehr ein Überholen verunmöglichte. Dann beschleunigte der Fahrer während knapp einer Minute auf 26 bis 28 km/h, hatte nach 183 Metern fertig überholt und hielt nach weiteren 70 Metern an der nächsten Station. Die Distanzen und Geschwindigkeiten wurden später dem Fahrleitsystem entnommen. Während dem Überholen beschleunigte der Velofahrer, den der Chauffeur genau im Auge behielt, musste dann aber bremsen, weil der Bus vor einem Fussgängerstreifen mit Insel und Sicherheitslinie hielt, sodass er links nicht überholen konnte. Er fuhr aufs Trottoir (bzw. wurde nach eigener Aussage abgedrängt), weshalb der Chauffeur die Türen zum Schutz der Passagiere vorerst geschlossen hielt. Der Velofahrer fuhr (bzw. «rannte» nach eigener Darstellung) zur vorderen Bustür und verlangte wütend mit mehrmaligem Klopfen Eintritt. Doch der Chauffeur öffnete nicht, «weil ich Angst vor ihm hatte», wie er zwei Wochen später der Polizei sagte. «Der Fahrradlenker nahm dann das Mobiltelefon hervor und hielt es vor sich, gegen mich. Er fuhr dann wieder los.»

Etwa zehn Tage später informierte der Betriebsleiter den Fahrer, dass ihn ein Velofahrer angezeigt hatte, weil er diesen beim Überholen angeblich angefahren hatte. Die Version seines Mitarbeiters wollte der Vorgesetzte gar nicht hören, weil das eine private Anzeige sei. Er empfahl ihm nur, bei der Einvernahme ruhig zu bleiben und wenn nötig beim SEV Rechtsschutz zu verlangen, falls er Mitglied sei. Wenige Tage später fand die Polizeieinvernahme mit dem Chauffeur und separat mit dem Velofahrer statt. Dieser behauptete, vom Bus an der Schulter touchiert worden zu sein, wodurch er aufs Trottoir gefallen sei, sich aber habe abstützen können. Er habe den Chauffeur zur Rede stellen wollen, doch dieser habe nur geschaut und Gesten gemacht, dass er weiterfahren solle. «Wenn der Mann die Türe geöffnet hätte, dann sich entschuldigt hätte, dann hätte ich nichts unternommen.» So aber schrieb er eine Anzeige, die acht(!) Tage nach dem Vorfall bei Polizei und Busbetrieb eintraf. Da waren die Bilder der Überwachungskameras im Bus längst gelöscht.

Vier Monate später verhörte der Staatsanwalt Velo- und Busfahrer (separat), wobei ersterer die Geschwindigkeit des Busses auf «vielleicht 50 km/h» schätzte. Obwohl die vom Betriebsleiter gelieferten Daten des Fahrleitsystems ein völlig anderes Bild zeichneten, erliess der Staatsanwalt einen Strafbefehl wegen «Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz durch Überholen mit unzureichendem Abstand» mit einer Busse von 300 Franken und Gebühren von 150 Franken. «Akzeptieren wäre ein Schuldeingeständnis gewesen und hätte zu administrativen Massnahmen vom kantonalen Strassenverkehrsamt geführt», sagt Wossen Aregay vom SEV-Rechtsschutzteam. «Der Kollege musste mit einem Führerausweisentzug rechnen und vielleicht auch mit disziplinarischen Massnahmen des Arbeitgebers.»

Der Brief gelangte via Berufsadresse und «optimierte» Dienstpost erst zwei Tage vor Einspruchsfrist zum Fahrer. Mit Hilfe eines in der SEV-Sektion sehr aktiven Arbeitskollegen und des sektionsbetreuenden Gewerkschaftssekretärs gelang die Einsprache noch rechtzeitig: Sie wurde vom Rechtsschutzteam eingereicht, begründet und einer Anwältin zugewiesen, die den Chauffeur bis zur Gerichtsverhandlung vom 25. Februar begleitete Er wurde freigesprochen, weil seine Aussagen glaubwürdig waren, während jene des Velofahrers, eines Arztes, den objektiven Beweismitteln widersprachen. Die Partei- und Verfahrenskosten von rund 4500 Franken übernahm der Kanton.

Arbeitgeber helfen oft wenig bis nicht

«Der Fall hat mich ein Jahr lang stark belastet», sagt der 44-jährige Familienvater, der vor 26 Jahren aus dem Balkan in die Schweiz kam. «Ich bin dem SEV und meinem Kollegen sehr dankbar, denn ohne ihre Hilfe wäre es wohl schiefgegangen.» Wossen Aregay unterstreicht seinerseits folgende Punkte: «Dass der Fahrer die Tür nicht öffnete, war verständlich und richtig, denn er musste mit einer Aggression bis hin zu Handgreiflichkeiten rechnen, wie sie immer wieder vorkommen. Das Fahrpersonal ist in einer sehr verletzlichen Position, und wenn etwas passiert, gibt ihm der Arbeitgeber oft nicht die rechtliche Unterstützung, sodass der SEV einspringen muss. Es ist an der Zeit, die Arbeitgeber stärker in die Verantwortung zu nehmen.»

Markus Fischer
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Eurobus prellt Chauffeure bei der Zeitauszahlung

SEV-Rechtsschutz brauchen Busfahrerinnen und Busfahrer manchmal auch bei Konflikten mit ihrem Arbeitgeber selber. So musste ein Chauffeur, der sechs Jahre bei Eurobus Ostschweiz Arbon arbeitete, fehlende Zeitauszahlungen auf dem Gerichtsweg einfordern. Er fuhr auf Linien in der Region St. Gallen, die Eurobus für Postauto betrieb. Durch kurzfristige Ablösung von Kranken etc. und Übernahme zusätzlicher Dienste, um nicht durch ausfallende Ersatzdienste ins Minus zu geraten, hatte er rasch viel Mehr- und Überzeit. Weil er diese wegen der dünnen Personaldecke kaum durch Freizeit kompensieren konnte, erhielt er bis Juli 2016 291 Stunden ausbezahlt, und nach seinem Austritt auf Ende 2019 weitere 82 Stunden.

Erst 2019 merkte der Chauffeur, dass die pro Stunde ausbezahlten 30 Franken nicht korrekt waren, weil er 33.50 bis 34.90 pro Stunde verdiente; zudem fehlte der Überzeitzuschlag von 25 % gemäss Arbeitszeitgesetz, Art. 5. Solche Auszahlungsfehler hatten im Betrieb System, auch andere Fahrer wehrten sich: Einer sagt der SEV-Zeitung, dass er kaum mehr kurzfristig einsprang und auf Ausgleich mit Freizeit bestand. Ein zweiter hakte beim Geschäftsführer (jetzt CEO Eurobus) nach, bis dieser einen «Tippfehler» vorschob und nachzahlte. Beide kündigten, weil sie die Beschummelung des Personals «schäbig» fanden. Andere liessen sich durch Ausreden einlullen oder machen die Faust im Sack, weil sie den Job brauchen. Unser Mitglied liess sich nicht abwimmeln und reichte mit Hilfe des vom SEV gestellten Anwalts eine Klage ein. Am 24. Januar 2023 kam es vor dem Bezirksgericht Arbon zum Vergleich: Eurobus zahlt 3756 Franken Bruttolohn nach, und jede Partei trägt ihre Kosten selber. Mehr war wegen der fünfjährigen Verjährungsfrist gerichtlich kaum durchsetzbar. «Der Rest bleibt trotz Verjährung geschuldet und nachzahlen wäre nur fair und korrekt», so der Fahrer.

Brisant ist der Fall, weil Eurobus Linien eines Bundesunternehmens betreibt. «Postauto ist für die Korrektheit der Anstellungsbedingungen bei Subunternehmen mitverantwortlich», sagt SEV-Vizepräsident Christian Fankhauser.

Kommentare

  • Nagel René

    Nagel René 31/03/2023 10:47:32

    Bin auch Busfahrer bei EUROBUS und bin auch sehr skeptisch über diverse Angelegenheiten.
    Gruss René Nagel