Fernbusse in Frankreich und Deutschland: die Liberalisierung und ihre Folgen

Liberalisierung – Beispiele, denen man nicht folgen sollte

In Deutschland sind Fernbusse im Binnenverkehr seit 2013 zugelassen, in Frankreich seit 2015. Diese neue Konkurrenz hat Auswirkungen für die Bahn und das Verkehrspersonal, die wir hier beleuchten. Von Fernbussen im Binnenverkehr ist die Schweiz zum Glück noch weit entfernt, doch ist Vorsicht am Platz.

Die SNCF erhielt das Monopol für den Fernverkehr in Frankreich durch eine Verordnung im Jahr 1945. Deshalb gab es bis vor Kurzem kaum inländische Fernbusverbindungen, doch der Rahmen wurde in den letzten Jahren stark aufgeweicht. In einem ersten Schritt wurden Linien zwischen französischen und europäischen Städten eröffnet und 2009 wurde die Kabotage legalisiert. Seither können die Passagiere mit dem Bus zwischen zwei französischen Städten reisen, wobei dies zunächst nur erlaubt war, wenn die Verbindung international war, zum Beispiel auf den Linien Paris–Turin via Lyon oder Paris–Barcelona via Perpignan. Damit war die erste Hürde genommen.

Liberalisierung fast komplett

Als Nächstes wurde es erlaubt, Linien für reine Inlandfahrten zu betreiben, sofern die Haltestellen mindestens 100 Kilometer auseinanderlagen. Im August 2015 machte ein Gesetz des damaligen Wirtschaftsministers Emmanuel Macron («loi Macron») die Liberalisierung des Fernverkehrs praktisch komplett. Zwar müssen Busunternehmen für Distanzen unter 100km eine Bewilligung beantragen, doch können sich die Regionen dagegen nur wehren, indem sie in kurzer Zeit selbst beweisen, dass der Fernbus die Regionalzüge und damit den bestehenden Service public gefährdet.

Attraktive Preise – aber wer zahlt?

Die Folge war, dass zahlreiche Buslinien innerhalb von Frankreich zu sehr tiefen Preisen eröffnet wurden. Mehrere grosse Unternehmen haben in den französischen Markt investiert. Zwar ist der Anteil an Reisenden, die lange Strecken mit dem Bus zurücklegen, im Vergleich zu den Bahnreisenden noch immer sehr gering. «Doch das Wachstum ist enorm», sagt Fabian Tosolini, stellvertretender Generalsekretär der französischen Gewerkschaft CFDT Transports et Environnement, «auch wenn die Firma Megabus bereits wieder von der Bildfläche verschwunden ist, weil ihr Geschäftsmodell langfristig nicht existenzsichernd war. Schnäppchenpreise von einem Euro für die Strecke Paris–Brüssel sind bereits wieder Geschichte.»

Die SNCF hat ein eigenes Fernbusunternehmen gegründet, auf die Gefahr hin, ihre eigenen Bahnlinien zu gefährden.

Aus Sicht der Behörden hätte die Liberalisierung zahlreiche Arbeitsplätze schaffen sollen. Doch bis Oktober 2016 sind nur 1430 neue Stellen entstanden statt 22000, wie erhofft. Fabian Tosolini erklärt dazu: «Ja, es sind Arbeitsplätze geschaffen worden, aber weniger als vorgesehen. Viele davon waren bestehende Teilzeitstellen, die zu Vollzeitstellen wurden.»

Die SNCF hat mit Ouibus ihr eigenes Busunternehmen gegründet und ist damit Branchenführerin. Die Kund/innen schätzen die tiefen Preise, vor allem Junge und Senior/innen, denen die Reisezeit weniger wichtig ist. Dies ist die gute Seite der Low-cost-Busse: Sie machen es auch weniger Bemittelten möglich, zu reisen.

Unlauterer Wettbewerb

Doch dies ist den Busunternehmen nur möglich, weil sie dreimal geringere Auslagen haben als die SNCF, was den Wettbewerb verzerrt. Die Bahnunternehmen müssen für die Nutzung und den Unterhalt der Infrastruktur bezahlen, wie auch für die Energie. Die Verantwortlichen der Busunternehmen hingegen propagieren Schnäppchenpreise, um das Reisen per Bus in Frankreich zu etablieren, obwohl die tiefen Tarife langfristig nicht tragbar sind. Fabian Tosolini erklärt: «Die kleinen französischen Firmen arbeiten als Auftragnehmer mit grossen Unternehmen zusammen, weil sie einen Fuss in der Tür haben wollen. Doch momentan schreiben sie Verluste, da die Billettpreise die Treibstoffkosten, Löhne, Autobahngebühren und weiteren Kosten nicht decken.»

Was das Personal betrifft, scheinen 98 Prozent der Personen, die auf den französischen Fernbuslinien arbeiten, auch in Frankreich zu wohnen. Das Problem, dass ausländische Busfahrer/innen zu tieferen Löhnen als den landesüblichen zum Einsatz kommen, wie es auf den grenzüberschreitenden Linien in der Schweiz der Fall ist, besteht in Frankreich nicht. Aber die Löhne in der Busbranche sinken auch in Frankreich. «Der Monatslohn ist von durchschnittlich 2000 Euro auf 1500 Euro gesunken. Als Gewerkschaft ist es unsere Aufgabe, diesen Fahrer/innen, die ungerechte Löhne erhalten, zu helfen. Ausserdem werden die Chauffeure von den Passagieren über Smartphone-Apps bewertet. Ihr Lohn ist also auch von der Laune der Reisenden abhängig… Wenn ein Passagier mit seiner Fahrt unzufrieden ist, kann er den Chauffeur dafür bestrafen. Das ist untragbar», sagt Fabian Tosolini. Die wichtigsten Forderungen der französischen Gewerkschaften sind deshalb faire Löhne und eine Begrenzung des Wettbewerbs zwischen Strasse und Schiene. Dort, wo es für alle genug Kundschaft gibt, wie zum Beispiel auf der Linie Paris–Lyon, ist das weniger ein Problem. Aber auf weniger stark frequentierten Strecken, wo die Bahn- linien letztlich verschwinden könnten, muss man sich wirklich Sorgen machen. Was werden die Einwohner/innen tun, wenn der Tag kommt, an dem die Bahnlinie stillgelegt wird und die Busunternehmen die Linie nicht weiterbetreiben wollen, weil sie zu wenig rentabel ist? Bisher ist, soviel Tosolini weiss, noch keine Bahnlinie stillgelegt worden, aber die Nachtzüge schweben bereits in Gefahr.

Henriette Schaffter/kt

BAV-Direktor will «Schwarzaussteiger» büssen und Fernbuslinien zulassen

Unbedachte oder gezielte Provokation?

Mit dem deutschen Flixbus kostet Zürich–Lyon 19 Franken 50. Wer in Genf aussteigen will, kann das – trotz des Kabotageverbots. Dieses schützt inländischen Transporteure und die subventionierte Bahn vor Dumpingangeboten, die auf ausländischen Löhnen und der Umgehung der Kosten für Infrastruktur und Umweltschäden beruhen. Flixbus begnügt sich damit, die Passagiere auf das Verbot hinzuweisen und zu beteuern, die Fahrer könnten niemanden festhalten. Zwar hat das Bundesamt für Verkehr ein Verfahren eingeleitet, doch der BAV-Direktor überraschte mit der Idee, Passagiere, die schwarz aussteigen, büssen zu wollen. Demgegenüber hielt der Bundesrat in seiner Antwort auf die Interpellation Giezendanner fest: Verantwortlich für die Einhaltung des Kabotageverbots sind die Unternehmen. Der BAV-Direktor sagte auch, er könne sich Fernbusse als Zusatzangebot zur Bahn auf Querverbindungen und auf stark ausgelasteten Strecken vorstellen. Prompt hat inzwischen schon ein Car-Unternehmen eine Konzession Zürich–Genf beantragt, zum Fahrpreis von 22 Franken gegenüber 43.50 mit der Bahn, mit Halbtax-Abo…

Fi

Der deutsche Fernbusmarkt wird von Flixbus beherrscht und ist durch Lohn- und Sozialdumping geprägt

Deutschland haben Fernbusse freie Fahrt, seit der Schutz des Schienenfernverkehrs im Personenbeförderungsgesetz per 1. Januar 2013 aufgehoben wurde. kontakt.sev fragte Dieter Schäffer vom Verein mobifair e.V.* nach den bisherigen Erfahrungen.

kontakt.sev: Haben die Fernbusse zur Einstellung von Bahnverbindungen geführt?

Dieter Schäffer: Dass Bahnverbindungen eingestellt wurden, ist mir nicht bekannt. Doch insbesondere die Anbieter von Regionalverbindungen klagen immer häufiger über den Konkurrenzdruck durch den Fernbus und dass dieser Fahrgäste abzieht. Da Fernbushaltestellen nur mindestens 50km auseinander liegen müssen, ist das vor allem in den Ballungsgebieten ein Problem.

In England gibt es Fernbusse schon seit Anfang der 1980er-Jahre.

Wie haben die Bahnen auf die neue Konkurrenz reagiert?

Die DB AG ist der einzige relevante Anbieter von Schienenfernverkehr, der Marktanteil von «Privaten» wie HKX oder ausländischen Bahnen beträgt nur rund 5%. Tariferhöhungen wurden bei der DB AG weitgehend unterlassen, es gab «Sonderangebote» und «Sparpreise». Der Kostendruck wird gerade gegenwärtig wieder in den Tarifverhandlungen als Argument gegen Lohnerhöhungen für die Beschäftigten angeführt.

Mischt die Bahn im Fernbusmarkt selber mit?

Nicht mehr lange. Vor der Liberalisierung des Marktes gab es keine Konzession zum Betrieb einer Fernbuslinie, wenn es einen funktionierenden Schienenfernverkehr auf der gleichen Strecke gab (Konkurrenzverbot). Damals betrieb die DB mit direkten Tochtergesellschaften Busverkehr und auch schon Fernbuslinien, überwiegend von und nach Berlin. Dann war die DB unentschlossen, ob sie in den Fernbusmarkt einsteigen solle und hat den Einstieg erst 2015 planmässig versucht mit der Marke BLB (Berlin Linien Bus). Diesen Versuch hat sie Ende Oktober 2016 nach 20 Millionen Verlust weitgehend beendet. Einzelne Linien betreibt sie unter der Marke IC Bus weiter, z.B. Nürnberg–Prag.

Können die Fernbusse die Fernstrassen gratis benutzen?

Ja. Hiermit sollte der «junge Markt» vor zu grossen Belastungen geschützt werden. Das wird zurzeit sehr heftig kritisiert und diskutiert. Aktuell geht die Entwicklung dahin, das auch Busse ab 2017 nicht mehr von der Fernstrassenbenutzungsgebühr befreit sein sollen. So der Plan der SPD. Das fordern auch wir vehement. Darüber hinaus belastet das enorme Wachstum der Fernbusbranche nicht nur die Fernstrassen, sondern auch die Innenstädte: Diese mit den Fernbussen in Einklang zu bringen, stellt die Städte und Gemeinden vor grosse Probleme, was die Verkehrslenkung und die Finanzierung betrifft. Nur wenige Grossstädte (Berlin, Hamburg, München, Nürnberg) haben zentrale Busbahnhöfe oder bauen bzw. planen solche (Frankfurt). Deren Finanzierung ist nicht einheitlich geregelt: Einige werden nur durch Steuergelder finanziert, andere auch mit Gebühren.

Haben die Fernbusse gegenüber der Bahn einen Wettbewerbsvorteil, weil bei ihnen die Anstellungs- und Arbeitsbedingungen schlechter sind als bei der Bahn?

Ja, hier muss von eigentlichem Lohn- und Sozialdumping gesprochen werden. Das liegt vor allem daran, dass der jetzige Quasi-Mopolist Flixbus (mit ca. 90% Marktanteil) nur einen einzigen eigenen Bus hat und europaweit rund 250 Subunternehmer mit insgesamt rund 1000 Bussen einsetzt. Das bedeutet, dass die Busfahrer/innen nicht bei Flixbus angestellt sind, sondern bei kleinen und mittleren Busunternehmen. So unterscheiden sich die Bezahlungen deutlich, und da alle Unternehmen selbst auch etwas verdienen wollen, geben sie entsprechend weniger an ihre Busfahrer/innen weiter. Zudem sind in Deutschland auch einige Fernbusunternehmen aus dem europäischen Ausland aktiv, zumeist als Subunternehmer für Flixbus. Aber auch die DB und Eurolines setzen osteuropäische Subunternehmer ein.

Müssen sich ausländische Busunternehmen in Deutschland an den deutschen Mindestlohn und sonstige deutsche Vorschriften halten?

Diese Unternehmen sind, soweit sie in Deutschland tätig sind und nicht nur durchfahren, an den gesetzlichen Mindestlohn von zurzeit 8 Euro 50 gebunden. Mindestarbeitsbedingungen und Lenkzeitvorschriften gelten für alle Arbeitnehmenden, auch für ausländische.

Was können Gewerkschaften für bessere Anstellungs- und Arbeitsbedingungen tun?

Das ist schwierig, dieser Bereich lässt sich nur mit viel Mühe gewerkschaftlich organisieren. Originär ist die Gewerkschaft Verdi für Busse und LKW zuständig. Verdi ist organisatorisch dezentral aufgestellt, das führt zu unterschiedlichen Tarifverträgen in den 16 Bundesländern. Die Organisation von ausländischen Bus- oder Lkw-Fahrern ist noch einmal deutlich schwieriger.

Fragen: Fi

* Der Verein mobifair – für fairen Wettbewerb in der Mobilitätswirtschaft e.V. (Abkürzung für «eingetragener Verein») wurde von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG gegründet und kämpft gegen Sozial- und Lohndumping und für Arbeitsschutz, Unfallverhütung, Umwelt- und Verbraucherschutz. Vereinsmitglieder sind Unternehmen, Verbände, Gewerkschaften, Einzelpersonen sowie parteiübergreifend Bundes-, Landes- und Europaabgeordnete. www.mobifair.eu

Kommentare

  • Khadhraoui Mourad

    Khadhraoui Mourad 25/11/2016 11:03:20

    Guten Tag
    Ich glaube wir haben dass gleiche Problem, wir Taxi Fahrer von Zürich und in die ganze Schweiz sind unterdrückt worden von Uber bis es geht nicht mehr .
    Die GLP Zürich verteidigt Uber, und sagt, "was soll diese Hexenjagd gegen Uber "
    ( in ZH Stadt sind 1700 Taxi angemeldet davon ca. 1300 selbständigerwerbende plus ca. 1000 Uber die Tag und Nacht am Fahren sind, plus Regionale Taxi die dass ganze Jahr am wischen sind)
    Doris Leuthard mit ein Lächeln von Ohr zu Ohr sagte, ich bin auch im Ausland mit Über Gehahren , und Schneider Amman sagte ,Über ist die Zukunft er hat sich schon bei uns etabliert.
    Wir müssen momentan bis 4std warten für ein fährt in Zürich, der beste von uns und mit viel Glück erreicht ein Tages Umsatz von CHF 200
    Die Taxi Gewerbe die seit mehr als 50 Jahren geschützt "war" ist innert 3 Jahre total zerstört durch diese Liberalen system.
    Keinerlei Unterstützung von Politiker , wir sind verloren .
    Ich wünsche euch weil Kraft .

    Mourad Khadhraoui