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SBB-Versuch auf der IR-Linie 13

SEV warnt vor Selbstabfahrt im Fernverkehr

SBB Personenverkehr hat im August auf der Interregio-Linie 13 Chur–St.Gallen–Zürich einen Pilotversuch veranlasst, um die Selbstabfahrt ähnlich wie bei den S-Bahnen zu erproben. Der SEV fordert vor allem aus Sicherheitsgründen einen Stopp dieses kurzsichtigen, schlecht durchdachten Projekts.

Im Fernverkehr ist der Abfahrprozess mit der Abfahrerlaubnis durch das Kundenbegleitungspersonal klar sicherer als die Selbstabfahrt.

Der Pilotversuch fand vom 10. bis 23. August statt und sollte zeigen, ob mit der Umstellung von «Abfahrerlaubnis durch das Personal Kundenbegleitung» auf «Selbstabfahrt» Zeit gewonnen und so die unbefriedigende Anschlusssituation in Sargans verbessert werden könnte.

Die SEV-Unterverbände des Zug- und Lokpersonals lehnen die Selbstabfahrt im Fernverkehr «kategorisch ab», wie sie in je einer Resolution schreiben. Am 26. August hat auch die Hauptversammlung der ZPV-Sektion Säntis-Bodensee den Versuch in einer Resolution verurteilt.

Resolution des SEV-Unterverbands LPV (oder hier als PDF)
Resolution des SEV-Unterverbands ZPV als PDF
Resolution der ZPV-Sektion Säntis-Bodensee als PDF

Die drei Texte führen gegen die Selbstabfahrt im Fernverkehr folgende Argumente an:

• Selbstabfahrt bedeutet, dass die Kundenbegleiter/innen im Abfahr- und Türschliessprozess nicht mehr integriert sind, obwohl sie an den Haltebahnhöfen sowohl Präsenz markieren als auch Hilfestellung für Passagiere leisten sollen. Damit steigt das Risiko von Unfällen von Fahrgästen und Personal beim Ein- und Aussteigen, vor allem bei unübersichtlichen Bahnhofanlagen und schlechter Sicht wegen Nebel usw. Denn in solchen Situationen sorgt die Abfahrerlaubnis durch Kundenbegleiter/innen für mehr Sicherheit. Das gilt auch für den zunehmenden Veloverlad. Der LPV hat sich ebenfalls «immer für begleitete Züge stark gemacht, weil das Vieraugenprinzip für Bahnbetrieb und Kundschaft mehr Sicherheit garantiert», wie er in seiner Resolution festhält. Gerade der tödliche Unfall eines Kundenbegleiters vom 4. August 2019 in Baden hat drastisch gezeigt, dass auf Technik nicht immer Verlass ist. Trotzdem setzt die SBB mit der Selbstabfahrt auf Technik statt Augen. Zudem stellt die Selbstabfahrt alle seit diesem Unfall gemachten Anstrengungen für einen sicheren, korrekten Abfahrprozess in Frage.

• Die Selbstabfahrt im Fernverkehr zu erproben ist umso fahrlässiger, als laut den vorliegenden Untersuchungsergebnissen zum Unfall in Baden die Funktionalität des Türschliessmechanismus sehr instabil ist.

• Das Lokpersonal hat sich inzwischen an den kondukteurlosen Betrieb von Regional- und S-Bahn-Zügen gewöhnt, und an die klar an eine Zugnummer gebundene Begleitung mit erteilter Abfahrerlaubnis. «Wir wollen aber nicht aufgrund der Art des Rollmaterials, der Strecke oder einer Kombination davon, selber eine weitere Betriebsart ermitteln und dieser entsprechend verkehren müssen», schreibt der LPV. «Kurzfristige Änderungen im Rollmaterialeinsatz sind an der Tagesordnung und erleichtern das Vorhaben nicht.»

• Die Ausgrenzung des Kundenbegleitpersonals vom Abfahrts- und Türschliessungsprozess hätte einschneidende Konsequenzen für das Berufsbild, entscheidende Ausbildungsmodule würden entfallen.

• Die Anschlussprobleme in Sargans sind nicht in erster Linie auf die Abfertigungsmethode zurückzuführen, sondern auf die Fahrplan-Planung und auf die Technik des Zugtyps (FV-Dosto). Handelt es sich um einen Vorwand, um die Selbstabfahrt durch die Hintertür doch noch einzuführen, nachdem dies im Rahmen des neuen Berufsbildes Kundenbegleitung nicht gelang?

• Pilotversuche bei der SBB ziehen häufig eine definitive Einführung des Erprobten nach sich. Es droht eine landesweite Einführung der Selbstabfahrt im Fernverkehr.

SEV erwartet Einsehen

SEV-Gewerkschaftssekretär Jürg Hurni teilt die Kritik und Besorgnis der betroffenen Berufskategorien über diesen Pilotversuch voll und ganz und hat die drei Resolutionen umgehend an die Leitung Kundenbegleitung & Cleaning weitergeleitet. Am 4. September antwortete die SBB, dass sie in den kommenden Wochen anhand der beim Versuch gemachten Messungen und Beobachtungen analysieren wolle, ob durch die Selbstabfahrt «die erwünschten Fahrzeiteffekte für eine Verbesserung der Anschlusssituation auf dieser Linie erreicht werden» und wie sich die Selbstabfahrt auf die Betriebssicherheit auswirkt. Die Ergebnisse und das weitere Vorgehen wolle sie anschliessend «mit den jeweiligen Peko-Vertretungen besprechen».

Dass die SBB ihren Sozialpartner SEV bei der Versuchsauswertung nicht einbeziehen will, erstaunt Jürg Hurni ebenso wie die Tatsache, dass sie den SEV vor dem Versuch nicht auf korrektem Weg informiert hat. «Vor allem aber macht die SBB in ihrer Antwort erneut das Zugpersonal für die Verspätungen in Sargans verantwortlich (siehe oben zitierten Satz). Beides trägt nicht zur Problemlösung bei. Unter diesen Umständen wird der SEV die Einführung der Selbstabfahrt im Fernverkehr erst recht bekämpfen.»

Markus Fischer

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