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ENGLISCH ALS GEMEINSAME SPRACHE DES LOKOMOTIVPERSONALS

Nein! Just Say No!

Englisch soll die gemeinsame Sprache der Lokführer:innen werden. Eine gemeinsame Erklärung von ETF und CER bezeichnete Anfang Dezember 2022 diese Idee als «unrealistisch». Diese Haltung der beiden Sozialpartner in der EU sollte der Europäischen Kommission zu denken geben. Gespräch mit Hanny Weissmüller, Präsidentin des SEV-Unterverbands LPV.

«Englisch auf Niveau B1 für das ganze Bahnpersonal hat keinen Sinn. Es hat viel mehr Sinn, die Sprache des Landes zu sprechen, in dem du fährst.»

Es ist einer der Träume der Europäischen Kommission, dass alle Eisenbahner:innen in der Schweiz und Europa untereinander Englisch sprechen, dies auf Druck der privaten Güterbahnen. Damit sollen die Preise gedrückt werden, um – im Namen des Klimaschutzes – mit der Strasse konkurrenzfähig zu werden. Sprachanforderungen sollen gesenkt und Dumping bei Löhnen und Ausbildungen betrieben werden (siehe SEV-Zeitung 2/2021), was die Sicherheit gefährdet.

Da kommt die gemeinsame Erklärung vom 5. Dezember letzten Jahres zwischen der ETF, die die Beschäftigten des Verkehrs in Europa vertritt, und der CER, in der Bahnen wie SNCF, DB und SBB zusammengeschlossen sind, gerade richtig.

Hanny, was ist das Wichtigste an dieser Erklärung?

Hanny Weissmüller: Schon die Erklärung an sich ist extrem wichtig! Wir hatten eine Sitzung mit der Europäischen Kommission (EK): die Gewerkschaften auf der einen Seite, die Bahnunternehmen auf der anderen, die EK in der Mitte. Schon der Umstand, dass sich Gewerkschaften und Unternehmen in gewissen Punkten einig sind, verändert die Ausgangslage! Genau genommen haben wir uns gemeinsam gegen die EU gestellt, die uns bis dahin nicht wahrgenommen hat! Ich habe es der EK gesagt: «Wenn wir uns einig sind, hat das einen guten Grund und man muss uns anhören!»

Was ist eure Haltung zum Englischen als gemeinsame Sprache im europäischen Bahnbetrieb?

ETF und CER sind klar gegen Englisch. Gemeint ist Englisch auf Niveau B1 für alle. Das macht keinen Sinn.

Was würde das konkret bedeuten?

Damit ich in Frankreich fahren kann, musste ich das französische Pendant zu den Fahrdienstvorschriften (FDV) lernen. Ich musste also gut Französisch lesen und sprechen. Stellen wir uns vor, dass ich mit meiner Lokomotive in Annemasse ankomme und mit der Betriebszentrale oder der Person auf dem Perron besprechen muss, ob ich ankuppeln muss oder nicht. Nun sollte ich mit ihm plötzlich Englisch sprechen! Das macht überhaupt keinen Sinn, da ich mit ihm auf einem recht hohen Niveau in seiner eigenen Sprache sprechen kann. Jetzt müsste auch er Englisch auf Niveau B1 können.

Es würde wohl sehr viel kosten, das ganze Bahnpersonal in Europa in Englisch zu schulen …

Genau. Schon in der Schweiz, wo die Regel auch gelten würde. Stellen wir uns 5000 Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter vor, die Englisch auf Niveau B1 lernen müssen, alle Fahrdienstleiter, das Rangierpersonal … Alle müssten miteinander Englisch reden. Stellen wir uns einen Personenunfall oder eine Betriebsstörung vor: Wie sollte man sicher sein, dass das Personal der Intervention, Polizei, Sanität, Englisch spricht? Es ist sehr sinnvoll, die Sprache des Landes zu sprechen, in dem du fährst. Alle FDV, für uns eine Art Bibel, wären dann nur noch Englisch. Der Wechsel auf Englisch ist eine unrealistische Aufgabe in einem Moment, wo es vor allem darum geht, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen.

Wie sind heute die sprachlichen Anforderungen in der Schweiz?

In der Schweiz wird Niveau A1+ in einer zweiten Landessprache verlangt. Das ist Niveau A1 mit zusätzlichen höheren Anforderungen für die Fachausdrücke. Um sicherzustellen, dass in der Schweiz dieses A1+ bleibt und nicht wie in Europa auf B1 gewechselt wird, habe wir vom SEV im letzten September zusammen mit dem Verband öffentlicher Verkehr, SBB und BLS dem Bundesamt für Verkehr einen Brief geschrieben. Das BAV hat uns bestätigt, dass innerhalb der Schweiz weiterhin A1+ gilt, im Ausland B1. Für den SEV ist das ein schöner Erfolg.

Und in Europa?

Wir sind uns einig, dass man die Anforderungen an den Beruf der Lokführer:innen nicht senken soll. Heute machen Personen aus Tschechien und Polen in Deutschland innert zwei Wochen den europäischen Fahrausweis und führen Züge durch ganz Europa. Auch durch die Schweiz. Wir sind einverstanden, dass technische Übersetzungshilfen eingesetzt werden können, aber nur, wenn angemessene Sprachkenntnisse vorhanden sind. Sonst führt schon ein Problem mit leeren Batterien zu einer Katastrophe.

Wird diese Erklärung reichen, um die EK zur Vernunft zu bringen?

Bestimmt nicht, zumal wir nicht genau wissen, wer die EK in diese Richtung steuert. Sie wollte Englisch als Option beibehalten! Aber es ist keine Option. Die EK will den Markt öffnen und spielt mit dem mehrdeutigen Wort der Interoperabilität. Wir sehen diese bei den Fahrzeugen, sie sehen sie beim Personal. Es gibt ein starkes Lobbying in diese Richtung, zweifellos von den privaten Güterbahnen, die bei uns nicht mitgemacht haben. Da haben wir fürs Erste gepunktet, aber der Kampf geht 2023 weiter!

 

Yves Sancey / Übersetzung Peter Moor
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