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Sicherheit

BAV ignoriert Warnungen des Lokpersonals

Zollikofen, 2. Juni 2022: Position der Unfalllok Re 475 nach dem Stillstand aller Fahrzeuge. © SUST-Schlussbericht.

Seit Jahren fordert das Lokpersonal strengere Vorschriften für Fahrzeuge mit ausgeschalteter Zugbeeinflussung. Doch trotz des Unfalls in Zollikofen von 2022 und dem entsprechenden Bericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust), der dem Lokpersonal Recht gab, hat das Bundesamt für Verkehr (BAV) noch immer keine entsprechende Vorschrift erlassen. Und es schliesst die Augen auch noch vor weiteren Problemen im liberalisierten Güterverkehr.

Am 2. Juni 2022 kam es im Bahnhof Zollikofen zu einem Unfall, der noch viel tragischer hätte ausgehen können: Eine Lokomotive mit ausgeschalteter Zugbeeinflussung und angehängter zweiter Lok kollidierte mit einem stehenden Güterzug, wobei neben Sachschaden glücklicherweise nur der Lokführer leicht verletzt wurde. In diesem Fall war der Güterzug so beschaffen, dass er den Aufprall gut abfedern konnte.

Wäre die Lok aber auf einen ein Zug mit brennbaren oder sonst gefährlichen Gütern aufgefahren oder auf einen Personenzug, der im Bahnhof gerade zum Fahrgastwechsel angehalten hatte, wären die Folgen wohl viel gravierender gewesen.

Das BAV stellt sich taub

Unmittelbar nach dem Unfall reagierte BLS Cargo mit einer Verschärfung der internen Vorschriften, gefolgt von einigen anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU). Und was tat das BAV als Aufsichtsbehörde? Nichts. Und dies, obwohl ihm der SEV-Unterverband des Lokomotivpersonals (LPV) seit Jahren restriktivere Massnahmen für solche Fälle nahegelegt hat, wie Thomas Giedemann, ehemaliger Vizepräsident des LPV Ticino und heute Gewerkschaftssekretär, erklärt: «Der LPV Ticino verlangte eine Verschärfung der Vorschriften bei Fahrten mit ausgeschalteter Zugbeeinflussung: Wir forderten eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit von 80 auf 60 km/h oder die Anwesenheit einer zweiten Lokführerin oder eines zweiten Lokführers im Führerstand, um das Unfallrisiko zu reduzieren.»

Hanny Weissmüller, Zentralpräsidentin des Unterverbands LPV, ergänzt: «Dieses Thema haben wir beim BAV schon vor Jahren vorgebracht, aber es hat nie etwas unternommen, um die Sicherheit auf diesem Gebiet zu verbessern. Als LPV waren wir zweimal beim BAV, um das Thema zu besprechen, das letzte Mal am 5. November 2021, nur wenige Monate vor dem Unfall in Zollikofen. Doch sie negierten das Problem und fanden die von uns geforderten Massnahmen unangebracht.»

Bericht und Massnahmen der Sust geben LPV Recht

Am 12. Januar dieses Jahres veröffentlichte die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) ihren Schlussbericht zum Unfall und empfahl noch restriktivere Präventivmassnahmen, als sie der LPV damals verlangt hatte. Bis heute hat das BAV jedoch noch keine für alle EVU geltenden Einschränkungen erlassen, um die Sicherheitsmassnahmen zu vereinheitlichen.

«Einmal mehr drückt sich das BAV vor seiner Aufsichtspflicht», stellt Thomas Giedemann fest. «In Zollikofen ist es nochmals glimpflich ausgegangen, der Schaden hielt sich in Grenzen, aber es ist nicht tolerierbar, weiterhin mit dem Feuer zu spielen. Anstatt wieder mal der Liberalisierung des internationalen Personenverkehrs das Wort zu reden, sollte das BAV die Kontrollen im Güterverkehr verstärken, der bereits liberalisiert ist und bei dem seit Jahren immer wieder Sicherheitsprobleme ans Licht kommen. Spätestens seit dem SEV-Kongress 2015 sind dem BAV-Direktor diese Risiken bekannt. Es ist höchste Zeit zu handeln!»

Veronica Galster
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Spiel mit dem Feuer

Am 20. Januar dieses Jahres ereignete sich in Fürnitz bei Villach (Österreich) ein weiterer Unfall, der in einer Tragödie hätte enden können, mit der gleichen Dynamik eines Zuges, der mit ausgeschalteter Zugbeeinflussung fuhr. Der Zug hielt nicht rechtzeitig vor einem roten Signal an und kollidierte mit einem anderen Zug, der aus der Gegenrichtung kam.

Auch hier blieben die Folgen noch mässig im Vergleich zu dem, was hätte passieren können: Der Güterzug stiess in die Flanke des anderen Güterzugs auf der höhe des 14. Wagens, und mehrere Wagen entgleisten, darunter Kesselwagen mit Kerosin, wovon etwa 80 000 Liter ausflossen, glücklicherweise ohne in Brand zu geraten (obwohl daneben zwei andere Wagen brannten) oder das Grundwasser zu verschmutzen. Nur der Lokführer, der am Signal nicht angehalten hatte, wurde leicht verletzt.

Leider musste auch dieser Unfall passieren, bevor einigermassen restriktive Vorschriften erlassen wurden: Zehn Tage später wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Züge mit ausgeschalteter Zugbeeinflussung und nur einer Person im Führerstand von 100 auf 50 km/h reduziert.

Kommentare

  • virginia

    virginia 09/03/2023 14:59:26

    piuttosto fiera del mio ultimo articolo ;-)

  • Jürgen

    Jürgen 09/03/2023 20:57:16

    Liebe SEV-Redaktion

    Einmal ist von der Zugsteuerung die Rede, einmal von der Zugsicherung. Gerade bei solchen Artikeln die das Lokpersonal und ihr tägliches Arbeitsumfeld direkt betreffen, empfehle ich euch ein wenig mehr bemüht zu sein, die richtige Bezeichnung für die entsprechenden Einrichtungen zu verwenden.
    In diesem Fall wäre es die Zugbeeinflussung. Hebt euch bitte ein wenig von den unwissenden Printmedien ab -Merci vielmal.