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Wenn Versicherungen Schäden negieren

Giuseppe ist Busfahrer in einer Stadt. Als er im Bus einmal eine Gruppe überdrehter Jugendlicher, die gar viel Unruhe stiften, den anderen Fahrgästen zuliebe zurechtweist, kommt es zu einem Handgemenge, bei dem ihm ein Jugendlicher die rechte Hand verrenkt und das Ringfingergelenk verletzt. Der Angriff hat auch zur Folge, dass Giuseppe danach immer wieder unter Angstzuständen leidet. Der Fall wird der Suva gemeldet, die einen Berufsunfall anerkennt. Nach ein paar Monaten erklärt sie Giuseppe aber wieder für komplett arbeitsfähig, schliesst das Dossier und will keine Taggelder mehr bezahlen.

Ungerechtfertigter Entscheid

Doch Giuseppe hat sich vom Vorfall noch überhaupt nicht erholt. Er leidet weiter unter Angstzuständen und hat im rechten Ringfinger nicht nur Schmerzen, sondern die Gelenkverletzung behindert ihn auch beim Gebrauch der rechten Hand. Er wendet sich daher an den SEV.

Der SEV gewährt Giuseppe Rechtsschutz und fasst mit ihm zusammen schweren Herzens den Entschluss, auf eine Beschwerde wegen der psychologischen Folgen zu verzichten, weil sich aufgrund der Rechtslage in dieser Hinsicht kaum etwas erreichen liesse. Doch er macht gegenüber der Suva die eingeschränkte Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand geltend, zumal Giuseppe Rechtshänder ist. Er kann nachweisen, dass ihm die Verletzung das Lenken eines Busses verunmöglicht. Ein Handchirurg bestätigt, dass Giuseppe keinen Bus mit 50 oder mehr Personen an Bord mehr sicher führen kann. So weist der SEV nach, dass der Suva-Entscheid, das Dossier zu schliessen, nicht gerechtfertigt war.

Das Offensichtliche abgestritten

Doch die Suva beharrt stur auf ihrem Standpunkt. Somit bleibt Giuseppe und dem SEV nur noch der Weg ans kantonale Versicherungsgericht, verbunden mit der Forderung nach einem allfälligen Gutachten. Dieses wird vorgenommen, und das Ergebnis ist so klar, dass das Gericht die Beschwerde gegen die Suva gutheisst.

Inzwischen hat Giuseppe angesichts seines Handicaps beschlossen, sich beruflich neu zu orientieren, und er fordert die Suva nach der erfolgreichen Beschwerde auf, sein Dossier wieder zu öffnen und ihm die zustehenden Leistungen zu erbringen. Doch die Suva will davon immer noch nichts wissen und zieht den Fall ans Bundesgericht weiter. Dieses verlangt weitere Abklärungen, Giuseppe muss ein weiteres Gutachten über sich ergehen lassen. Weil er nur schlecht Deutsch spricht und versteht, stellt ihm der SEV dafür einen Übersetzer zur Seite.

Fast vier Jahre nach dem Angriff anerkennt auch das Bundesgericht, dass Giuseppe nicht mehr als Busfahrer arbeiten kann. Doch der Fall ist damit noch nicht geregelt, denn nun müssen der SEV und Giuseppe erst noch dessen Ansprüche geltend machen. Und das ist nochmals eine andere Geschichte…

Lohnausfall unterschiedlich eingeschätzt

Ein unfallbedingter Lohnausfall müsste logischerweise zu einer Rente gemäss Bundesgesetz über die Unfallversicherung (UVG) berechtigen. Spielraum für Interpretationen gibt es nur hinsichtlich des Betrags. Doch die Suva teilt Giuseppe nach ihren Berechnungen mit, dass die Differenz zwischen seinem bisherigen Lohn als Busfahrer und seinem aktuellen Lohn als Handwerker weniger als 10 Prozent betrage, womit ihm keine Rente zustehe.

Erneut wendet sich Giuseppe an den SEV, damit er diesen Entscheid überprüft. Erneut weichen die Berechnungen des SEV von jenen der Suva ab: Als Busfahrer arbeitete Giuseppe bei einem Unternehmen mit einem Lohnsystem, das innerhalb der einzelnen Lohnstufen einen regelmässigen Aufstieg vom Einstiegs- zum Maximallohn vorsah. Zum Zeitpunkt des Vorfalls lag die Lohndifferenz zwar unter 10 Prozent, doch schon nach wenigen Jahren wäre diese Barriere überschritten worden. Die in der Unfallversicherung geltenden Bestimmungen sehen vor, dass die durch den Unfall entgangene künftige Lohnentwicklung ebenfalls berücksichtigt werden muss.

Also ersucht der SEV die Suva, ihren Entscheid entsprechend zu korrigieren. Doch die Suva weigert sich prompt mit dem Argument, der Lohnaufstieg diene ausschliesslich dazu, die Teuerung auszugleichen und brauche daher nicht berücksichtigt zu werden.

Nachdem der SEV die Suva-internen Beschwerdemöglichkeiten ausgeschöpft hat, sieht er sich erneut zu einer Beschwerde beim kantonalen Versicherungsgericht gezwungen. Darin macht er geltend, dass der Lohnaufstieg, der Giuseppe durch die Verletzung an der Hand entgangen ist, bald zu einem Lohn geführt hätte, der Giuseppes aktuellen Lohn um erheblich mehr als 10 Prozent überstiegen hätte. Somit habe Giuseppe zumindest Anrecht auf eine Rente in dieser Grössenordnung. Nach einem weiteren Gutachten und der Prüfung des GAV des Unternehmens heisst das Gericht auch diese Beschwerde gut.

So erhält Giuseppe sechs Jahre nach dem Angriff der Jugendlichen für den Lohnausfall, den er durch den verletzungsbedingten Berufswechsel in Kauf nehmen muss, endlich doch noch eine Rente, wenn auch eine eher bescheidene.

Steigende Aggressivitätder Kundschaft

Im öffentlichen Verkehr werden die Passagiere immer aggressiver, auch gegenüber dem Personal. Deshalb hat der SEV dafür gekämpft, dass bei Angriffen auf das Personal die Täter von Amtes wegen verfolgt werden, ohne dass die Opfer die Täter zuerst persönlich anzeigen müssen. Damit ist das Problem aber noch nicht gelöst. Im Fall von Giuseppe hat man die Täter nicht einmal identifizieren können.

Wichtig ist für die Betroffenen von Übergriffen vor allem auch, dass sie bei einer Institution wie dem SEV Hilfe holen können. Dies gerade auch dann, wenn Sozialversicherungen ungerechtfertigte Entscheide fällen. Giuseppes Geschichte zeigt zudem, wie nützlich und wichtig es ist, die Anstellungsbedingungen in Gesamtarbeitsverträgen sehr klar zu regeln.

Rechtsschutzteam SEV