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Weiterbildung

Neuer Werbekurs

Am 9. Mai fand der neu konzipierte Werbekurs des SEV erstmals in der Romandie statt, nachdem er auf Deutsch bereits im Frühjahr in Zürich durchgeführt wurde. 15 Kolleg:innen, die bei verschiedenen KTU und der SBB arbeiten, nutzten die Gelegenheit, ihre Werbetechniken im Kontakt mit Kolleg:innen zu verbessern und sich untereinander über Schwierigkeiten auszutauschen, die sich beim Werben stellen, insbesondere gegenüber jungen Mitgliedern. Sie zeigten sich begeistert und freuten sich darauf, das Gelernte in die Tat umzusetzen.

Die Idee für den Kurs stammt von Sandra Ritz, die im SEV für die Werbung zuständig ist, und wurde von Gewerkschaftssekretär Jean-Pierre Etique mit seinen Kolleg:innen vom Regionalsekretariat Lausanne in die Tat umgesetzt. Geleitet wurde der Kurs in Lausanne von Michel Schweri, ehemaliger Typograf und Journalist, der in die Erwachsenenbildung und zur Unia-Gewerkschaftsschule gewechselt hat. Da der Kurs Workshops und Rollenspiele beinhaltet, war er auf 15 Teilnehmende beschränkt.

«Dieser Kurs ist wichtig für die Entwicklung unserer Organisation», sagte Jean-Pierre Etique einleitend. «Denn ihr wisst ja, dass wir gegenüber einer Unternehmensleitung nur mit einem hohen Mitgliederanteil die nötige Kraft haben, um unsere Forderungen durchzusetzen.» Er hoffe, dass der Kurs «dynamisch, partizipativ und bereichernd» sein werde.

Die Erwartungen

Auch die Teilnehmenden konnten zu Beginn ihre Erwartungen äussern. Ein SBB-Lokführer betonte, dass es schwierig sei, junge Menschen an die Gewerkschaft heranzuführen und dafür zu interessieren. Und es sei auch nicht einfach, Mitglieder bei der Stange zu halten, die austreten wollten. Andere Teilnehmende waren einfach mal gekommen, um auf diesem Gebiet mehr zu lernen und zu entdecken. In Berufen, die immer noch sehr männerdominiert sind, stellt sich die Frage, wie mehr Frauen geworben und in die Gremien eingebunden werden können. Busfahrer der Genfer Verkehrsbetriebe TPG legten besonderen Wert darauf, sich mit Kollegen aus anderen Unternehmen über Erfahrungen und Werbetechniken auszutauschen. Ein Kollege von TransN äusserte den Wunsch, nicht nur Mitglieder «wie bei einer Versicherung» zu gewinnen, sondern aus ihnen wenn möglich aktive Mitglieder zu machen. Weiter wurde angeregt, sich für die Fähigkeiten der neuen Mitglieder zu interessieren und das SEV-Beitrittsformular mit einer Frage dazu zu ergänzen. Ein Fahrer der Lausanner Verkehrsbetriebe TL nannte als Ziel 200 Geworbene bis Ende Jahr. Diese Menge überraschte die anderen Teilnehmenden zunächst ein wenig. Als er jedoch ergänzte, dass seit Anfang Jahr schon 130 TL-Mitarbeitende dem SEV beigetreten sind, erschien das Ziel plötzlich realistisch. Eine Direktion, die wenig zuhört, und eine starke SEV-Präsenz vor Ort erklären den Werbeerfolg.

Ein wenig Theorie

Auf die Diskussionen folgte ein theoretischer Teil. Michel Schweri präsentierte einige Grafiken, die die Bedeutung eines guten gewerkschaftlichen Organisationsgrades belegten. Auf europäischer Ebene sind die Länder mit den höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgraden auch diejenigen mit der besten Abdeckung durch Kollektivverträge und den geringsten Einkommensunterschieden. Gute Organisationsgrade haben eher die nordischen Länder, während England und die osteuropäischen Länder eher schlechte Organisationsgrade haben. Die Schweiz liegt ungefähr im Mittelfeld. In den USA ist der Organisationsgrad abgestürzt, seit in den 1980er-Jahren unter Reagan der gewerkschaftsfeindliche Neoliberalismus um sich griff. Gleichzeitig ist der Anteil am Gesamteinkommen, den sich die reichsten zehn Prozent der US-Bevölkerung gönnen, seither laufend gestiegen.

Workshops und Rollenspiele

Am Nachmittag gab es Rollenspiele und praktische Übungen zur Bewältigung konkreter Situationen. Zum Beispiel galt es einen Kollegen zu werben, der die Gewerkschaft nicht für wichtig hält. Dabei reifte die Erkenntnis, dass vor einer Werbekampagne oder einer Präsenz vor Ort eine Reihe von Dingen vorbereitet werden müssen: Anwesenheit einer Gruppe, relevantes Material und gute Argumente. Tipps für das Gespräch: höflich bleiben, zuhören und die persönlichen Gründe erklären, warum man selber dem SEV beigetreten ist. Nach dem Gespräch mit einer Person, von der man hofft, dass sie beitritt, ist es wichtig, mit ihr in Kontakt zu bleiben, unabhängig davon, ob sie beigetreten ist oder nicht.

Es ist wichtig aufzuzeigen, was der SEV ist, um verständlich zu machen, wohin die Mitgliederbeiträge fliessen. Und es gilt die sozialen Errungenschaften der Gewerkschaften in Erinnerung zu rufen. Es gibt nichts Besseres als persönliche «Testimonials», um klarzumachen, wie nützlich der SEV ist und wie wichtig es ist, zu dieser «grossen Familie» zu gehören, in der sich Solidarität auszahlt. Auf kollektiver Ebene, aber auch individuell dank dem Rechtsschutz für Mitglieder.

Werbekampagnen können mit den Gewerkschaftssekretär:innen vorbereitet werden. Sie können Abstimmungsthemen wie die AHV und die Rentenaltererhöhung aufnehmen, vor allem aber Themen, die im jeweiligen Unternehmen aktuell sind: Forderungen, die Erneuerung des GAV, Belastungen des Personals usw. Bei den TPG zeigt ein SEV-Flyer auf einer Spalte, was ohne den SEV bezüglich Löhne, Ferien usw. passiert wäre, und auf einer zweiten Spalte, was die Mitarbeitenden dank dem SEV gewonnen haben. Dies ist nur ein Beispiel, wie Unterlagen überzeugend gestaltet werden können. Für Michel Schweri ist das Wichtigste bei einer Kampagne, dass es gelingt, die Wut und die Sorgen aufzunehmen, Hoffnungen und Erwartungen nach Veränderungen zu verstehen und sich auf engagierte und kampfbereite Personen zu stützen, indem man verschiedene Arten von Aktionen vorschlägt. Die erste Aktion ist natürlich, Mitglied zu werden! Weitere Aktionen können von kleinen Aufgaben bis hin zu einem öffentlichen Engagement reichen.

In die Praxis umsetzen

Als es Zeit war, Bilanz zu ziehen, waren alle der Meinung, dass ein solcher Tag nützlich sei, um sich auszutauschen und von den Erfahrungen anderer zu lernen. Weil die Realität in jedem Unternehmen verschieden ist, ist nicht alles übertragbar, aber viele Probleme lassen sich auf ähnliche Art lösen. Nun muss das im Kurs erworbene, zum Teil theoretische Wissen nur noch in die Praxis umgesetzt werden. Alle teilnehmenden Sektionen verpflichteten sich, mit ihren SEV-Sekretär:innen eine Werbeaktion zu organisieren.

Weil der Kurs offensichtlich ein Erfolg war, dürfte er nächstes Jahr in der Romandie erneut stattfinden. Auch in der Deutschschweiz ist er 2023 wieder geplant, und erstmals auch auf Italienisch im Tessin.

Yves Sancey / Übersetzung: Markus Fischer
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