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Auf den Spuren von ...

Julie Benard, Kontrolleurin

Sicherheitskleidung und karminrote Nägel – Kontrolleurin und Wettkampfbikerin. Eine Frau mitten in einer Männerwelt. Die sich mit ihrer sanften Autorität in keine Schublade pressen lässt. Julie Benard tut das, was ihr gefällt. Zum Beispiel setzt sie sich gewerkschaftlich für ihre Kolleginnen und Kollegen ein.

Julie Benard vor einem TPG-Tram: Trotz der Kälte ist sie lieber draussen als eingesperrt.

Es ist kalt an diesem 3. Dezember. Zwischen zwei Bussen oder zwei Trams trägt Julie Benard keine Handschuhe, auch wenn die Wartezeit manchmal mehrere Minuten dauert. Es ist zu mühsam, weil die zurückgelegten Fahrten und die Tickets der TPG-Reisenden in Genf mit dem Smartphone aufgezeichnet und überprüft werden. Julie hat ihren Tag um 6 Uhr 30 begonnen. Als ich sie nach ihrer Pause um 11 Uhr 30 treffe, verlässt sie das Depot in Bachet in Begleitung von vier Kollegen. Sie kontrollieren einen Bus oder ein Tram nach dem anderen, fixe Pläne gibt es nicht. Julie ist gern draussen: «Ich mag es nicht, eingesperrt zu sein», vertraut sie mir an.

Fast alle Reisenden haben ein gültiges Abonnement oder Billett. «Sie sind zu nett» wird Julie von einer Frau kritisiert, weil sie einem Mädchen ohne Billett keine Busse gibt. Die Bemerkung bringt Julie zum Lächeln, sie ist nicht daran gewöhnt, als nett empfunden zu werden. Die Mutter verspricht, eine Junior-Karte zu kaufen. «In einer solchen Situation bist du Herrin über dein Urteil, die einzige Schiedsrichterin. Ich hätte sie büssen können, aber ich bin kein Monster», erklärt sie. Julie strahlt mit ihrer sanften Art und ihrem offenen Lachen eine wohlwollende Autorität aus. Wenig später schreit ein Radfahrer sie an: «Scheissjob!». «Die Leute mögen uns nicht, aber das wissen wir!», sagt sie unberührt. «Wenn du einen Service nutzt, musst du dafür bezahlen. Ich habe das Gesetz nicht geschrieben, aber Gerechtigkeit ist mir wichtig.»

Julie wurde vor 42 Jahren in Genf geboren und wuchs mit ihrer Schwester in Chambésy auf. «Wir waren nah an der Stadt, aber trotzdem auf dem Land – das war nicht schlecht!». Ihre Unabhängigkeit erlangte sie zuerst mit dem Fahrrad, dann mit dem Mofa, sodass sie ihre Freunde oder das Freizeitzentrum in Versoix besuchen konnte. Sie beschreibt sich selbst als ein «etwas unkonventionelles» Kind. Dies widerspiegelt sich vielleicht in kleinen Details: Piercings, gefärbtes Haar oder dieses Karminrot auf den Nägeln. In der Schule hatte Julie eine tolle Zeit, sie war eine sehr gute Schülerin. Nach der Handelsschule arbeitete sie im Sekretariat und im Vertrieb, dann als Sicherheitsagentin bei Securitas.

Mechanik und Legos

«Dass es dort mehr Männer als Frauen gab, hat mich nie wirklich interessiert. Ich bin mit Jungen aufgewachsen, habe Basketball und Hockey gespielt. Als Kind mochte ich Mechanik und Legos, das fand ich viel lustiger als Barbies.»

Der Beruf als Grenzbeamtin begann sie zu interessieren. Sie legte die Prüfungen ab, um ein EFZ zu bekommen, aber nach zweieinhalb Jahren hörte sie auf: «Ich hatte einen frauenfeindlichen Chef, das hat mich gestört.» Sie stiess auf eine Anzeige der TPG, die neue Kontrolleure suchte: «Ich habe mich beworben und sie haben mich eingestellt. Das ist inzwischen 16 Jahre her!» Julie arbeitet abwechselnd eine Woche am Morgen, die andere am Nachmittag bis 20 Uhr 50. «Der Morgen ist beliebter, denn das Privatleben leidet, wenn man erst um 21 Uhr 30 nach Hause kommt. Aber man passt sich an.»Manchmal hilft sie auch im Fahrdienst, denn sie ist auch als Tram- und Busfahrerin ausgebildet.

Julie war schon als Grenzbeamte bei Transfair gewerkschaftlich organisiert und entschied sich schliesslich für den SEV. «Beim SEV sind alle immer bestens informiert, das fand ich cool. Dann wurde ich gefragt, ob ich die Kontrolleure in der Kommission vertreten möchte. Ich habe gesehen, dass wir gehört werden. Und so wurde ich in den Vorstand und gar in den Stiftungsrat der Pensionskasse delegiert. Ich mag keine Ungerechtigkeit und kämpfe für Fairness. Und ich bin ein bisschen stur!» Spontanität und Offenheit sind zwei ihrer besonderen Qualitäten.

Julie bleibt nie untätig: Sie bastelt, repariert, kümmert sich um ihr Haus und geht spazieren. Ihre zuletzt geschaute Serie: The Good Doctor. Ihre Lieblingskonzerte? Renaud, Rammstein und Kiss. Ihre grosse Leidenschaft sind Motorräder. «Ich habe nie den Eindruck, dass ich etwas Ungewöhnliches tue. Ich mache einfach das, worauf ich Lust habe. Eines Tages wurde mir angeboten, eine Rundstrecke auszuprobieren. Ich liebte es, und mit der Zeit wurde mir klar, dass ich auf der Strasse Angst hatte. Daraufhin habe ich Kurse absolviert, schliesslich sogar Wettkämpfe. Ich habe die französische Frauenmeisterschaft bestritten, und Bergrouten in der Schweiz. Bei letzteren war ich die einzige Frau. Die einzige Frau zu sein – das zieht sich irgendwie durch mein Leben», schliesst Julie.

Yves Sancey / Übersetzung: Karin Taglang
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