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Auf den Spuren von ...

Christian Eichenberger, Lokführer

Vor fünf Jahren konnte Christian Eichenberger seinen Bubentraum verwirklichen: Er wurde Lokführer bei SBB Cargo. Neu sitzt er als Vertreter des RPV im Vorstand des SEV. Seine Geschichte bei der Bahn und auch beim SEV begann schon vor über einem Vierteljahrhundert.

Christian Eichenberger unterwegs im Führerstand: «Hier bin ich mein eigener Herr und Meister.»

Ein eiskalter Wind bläst, heftiger Schneeregen fällt am späten Nachmittag in Langenthal. Christian Eichenberger stapft zu Fuss vom Bahnhof zum etwa einen Kilometer entfernten Güterbahnhof. Dort erspäht er die Lokomotive, die er nach Härkingen überführen muss. Er kontrolliert, ob alles in Ordnung ist. Dann wird es wesentlich gemütlicher. Im Führerstand ist es trocken und innert kürzester Zeit schön warm. «Hier bin ich mein Herr und Meister», sagt Christian mit einem gewinnenden Lachen. «Mein Bubentraum ist wahr geworden.» Dann beginnt die Reise.

Der 45-jährige Lokführer begann vor über einem Vierteljahrhundert bei der SBB zu arbeiten. «Damals konntest du nicht direkt Lokführer werden. Du musstest eine dreijährige Berufslehre haben. Doch das hatte ich nicht, also machte ich zuerst eine Betriebslehre bei der SBB. Erst zwanzig Jahre später erhielt ich dann die Chance den ‹Lokführer Kat. B› zu machen. Keine Frage, ich packte sie.» Nach der Lehre schuf sich Christian Schritt für Schritt hoch. Schnell landete er beim Rangierpersonal, was auch erklärt, warum er heute immer noch beim SEV-Unterverband des Rangierpersonals (RPV) aktiv ist. Bald durfte er auch kleinere Lokomotiven fahren, seit 2010 ist er RCP-Spezialist B100, also durfte er mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h fahren. Vor fünf Jahren kam dann schliesslich die Krönung: der Lokführer-Ausweis Kat B. Seither fährt er für SBB Cargo Güterzüge durch die Schweiz.

Es ist schnell dunkel geworden – draussen im verschneiten Oberaargau und drinnen im Führerstand. Kurz lässt Christian jeweils das Licht angehen, wenn ihm ein anderer Zug entgegenkommt. So begrüssen sich die Berufsleute, wenn sich ihre Arbeitswege kreuzen. «Manchmal komm ich mir vor wie der einsame Cowboy im Western, der in den Sonnenuntergang reitet», erzählt Christian. Er geniesst es, den Wechsel der Jahreszeiten hautnah zu erleben bei den Spätschichten, die er in der Regel macht. Sein Arbeitstag beginnt am Nachmittag und dauert bis nach Mitternacht, manchmal bis in die frühen Morgenstunden. Dafür hat er viel Zeit tagsüber für seine Familie, mit der er in Spreitenbach wohnt. «Ein Bürojob, bei dem du die Kinder nur kurz am Abend siehst, wäre nichts für mich», sagt er. «Besonders in den Schulferien geniesse ich es, am Morgen und am frühen Nachmittag Zeit für die Kinder zu haben.»

Seit Anfang Oktober ist Christian im Vorstand des SEV. Über ein Vierteljahrhundert Berufserfahrung bei der SBB in verschiedensten Positionen qualifizieren ihn für diese Aufgabe. Für den SEV engagiert er sich schon lange, einerseits als Präsident der RPV-Sektion Bern, andererseits als Zentralsekretär im RPV-Zentralausschuss. «Ich möchte nicht wissen, mit was für Arbeitsbedingungen wir kämpfen müssten, wenn es die Gewerkschaft nicht gäbe», sagt er. Seit seiner Berufslehre ist er Mitglied beim SEV und ist davon überzeugt, heute sind Gewerkschaften wichtiger denn je. Klar gäbe es zuweilen Angebote, bei denen er als Lokführer mehr verdienen würde als bei der SBB, aber: «Was machst du, wenn du ein Problem hast, zum Beispiel mit der Gesundheit? Bist du dann genauso gut geschützt wie unter dem GAV, den der SEV mit der SBB ausgehandelt hat? Nein.»

Plötzlich erscheint das riesige, hell erleuchtete Briefzentrum der Post am Horizont. Und schon sieht Christian die nächste Lokomotive, die auf ihn wartet. Nach einer Pause wird er mit einem Postzug von Härkingen in die Romandie fahren. Auch in der Freizeit und in den Ferien geniesst er das Unterwegssein. Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Emmental, fühlt er sich eng verbunden mit der Natur und liebt das Wandern in der Umgebung. Aber auch Reisen in andere Kulturen sind eine Leidenschaft. Vor der Pandemie war er mit seiner Familie in Kenia und ist dort natürlich auch Zug gefahren: «Für zehn Franken fuhren wir von Mombasa ins 500 Kilometer entfernte Nairobi. Fünf Stunden dauerte die Fahrt. Die ‹Security› beim Einstieg war strenger als am Flughafen. Dafür kamen während der Fahrt keine Kontrolleure vorbei. Ohne Ticket kommst du dort nicht in den Zug rein.»

Im Moment liegt die Hitze Ostafrikas in weiter Ferne. Bitterkalt ist es in Härkingen. Christian wechselt die Lokomotive und macht die nötigen Kontrollen. Schon bald sitzt er wieder in seinem kleinen, gut geheizten Reich und fährt gegen Westen, wie der einsame Cowboy auf seinem Pferd, unterwegs zu neuen Abenteuern.

Michael Spahr
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Kommentare

  • Opapa

    Opapa 22/12/2021 11:20:16

    Und noch etwas. Viel Spass und schöne Weihnachten