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Auf den Spuren von ...

Enzo Verme, Buschauffeur

Seit Anfang Jahr ist der 58-jährige Enzo Verme nicht mehr Präsident der Sektion VPT VMCV. 21 Jahre lang hat sich der Busfahrer als SEV-Mitglied für seine Kolleg:innen der Verkehrsbetriebe Vevey, Montreux und Villeneuve eingesetzt. Selbstlos hat er für Lösungen gekämpft, eine zusätzliche Ferienwoche herausgeholt und Dienstpläne verbessert. Ein guter Moment, um mit ihm Bilanz über seinen gewerkschaftlichen Einsatz zu ziehen.

«Wenn ich gross bin, werde ich Buschauffeur!», verkündete Enzo schon Ende der 60er-Jahre als Schüler in den Weiten von Siziliens Norden. Weshalb erinnert er sich so genau daran? «Damals musste ich fünf Kilometer zu Fuss zur Schule gehen. Immer wenn es regnete, hielt der Bus aus Palermo auf unserer Höhe an, und der Chauffeur holte mich mit meinen drei Brüdern und meinen zwei Schwestern herein. Da hat es bei mir Klick gemacht! Buschauffeur ist also mein Bubentraum. Der Gemeinschaftssinn des Fahrers hat mich geprägt. Mein Vater, ein Bauer, hat dann Eingaben gemacht, damit eine Bushaltestelle geschaffen wurde», erzählt Enzo. Solidarisch sein, ans Wohl der andern denken und sich für Verbesserungen im Alltag einsetzen: In dieser Kindheitsgeschichte finden sich alle Bestandteile, aus denen sich Enzos gewerkschaftliche Haltung und der nötige Mumm entwickelt haben. Wenn man ihn heute anschaut, findet man in seinen Augen über dem wohlgeformten Bart das Lächeln des sizilianischen Buben, voll Freude, wenn die Türen sich öffnen und der Bus bereitsteht.

Zuerst macht Enzo jedoch eine Lehre und die Meisterprüfung als Maurer. Da er der Älteste ist, kann er nicht weiter zur Schule gehen, sondern muss helfen, Geld für die Familie zu verdienen. Bei seiner zweiten Arbeit, nachts in einer Pizzabar, begegnet er seiner künftigen Frau, Joséphine, die in den Ferien ist. Sie ist Italienerin, lebt aber in der Schweiz und schlägt ihm vor, mit ihr zu kommen. So arbeitet Enzo, der später Vater von zwei Töchtern wird, 1987 im Waadtländer Chablais als Maurer und führt eine kleine Gruppe von fünf Personen. Selbst an der Riviera am Genfersee sind die Winter allerdings härter als in Sizilien. Die Kälte und der Schnee auf den Baustellen bringen ihn dazu, nach etwas Neuem zu suchen. Da er sämtliche Fahrausweise hat, ausser jenem für Trolleybusse, bewirbt er sich bei den VMCV und wird im Dezember 1990 eingestellt.

Ernüchtert durch den wenig herzlichen Empfang des damaligen Sektionspräsidenten tritt Enzo erst 1996 der Gewerkschaft bei. Er wird Mitglied und danach Präsident der Dienstplankommission, die sich um die knifflige Frage der Tourenplanung kümmert. In einer Phase schwieriger Beziehungen zwischen der Direktion und dem SEV erklärt er sich bereit, das Sektionspräsidium zu übernehmen. Am Anfang geht es vor allem darum, wieder eine intakte Sozialpartnerschaft zwischen SEV und Unternehmen aufzubauen. «Ich habe sechs Gewerkschaftssekretäre sowie drei Direktoren und eine Direktorin kommen und gehen sehen», schmunzelt er. Mit Stolz erinnert er sich daran, dass seine Sektion 2003 die VPT-Tagung der Romandie in Clarens durchgeführt hat. Über 300 Personen trafen sich an einem sonnigen Tag zum Austausch, vor allem zur Entwicklung der Gesamtarbeitsverträge.

Bei den VMCV brauchte es nicht weniger als zwei Jahre, um Ordnung in einen Dschungel von Reglementen zu bringen. «Diese Arbeit hat mich begeistert», erinnert er sich. Den Abschluss bildet die Unterzeichnung des ersten GAV VMCV am 4. Mai 2007 für die Dauer von vier Jahren. 2010 feiert die Sektion ihr 100-jähriges Bestehen mit der Publikation einer Broschüre und einem Fest. Die Vorbereitung der Fusion mit der MOB, die 2017 scheitert, beschäftigt ihn ebenfalls stark. Im März 2018 kommt es zu einem schweren Konflikt mit der Direktion: Fahrermangel und schlechte Arbeitsorganisation führten zu sehr anstrengenden Dienstplänen, Erschöpfungen und vielen Belastungen für das Familien- und Sozialleben. Enzo organisiert mit der Sektion eine Aktion, bei der die Fahrer:innen ein rotes Band am Oberarm tragen, um ihren Unmut zu zeigen. Das Resultat sind Verbesserungen beim Personalbestand und bei der Dienstplanung.

Bei all diesen kollektiven und individuellen Konflikten stand Enzo immer bereit, mit all seiner Zeit und seiner Energie. Er hörte aufmerksam zu und suchte nach einer Lösung – was er immer für möglich hält. Für ihn ist es wichtig, in der Gewerkschaft zu sein: «Dank dem Einsatz der Gewerkschaft haben wir eine zusätzliche Ferienwoche und bessere Dienstpläne bekommen. Unsere Bemühungen haben immer Früchte getragen!» Im Oktober hat die Sektionsversammlung Laurent Vercruyce zum neuen Präsidenten gewählt. Die letzte Schlacht für Enzo ist die Erneuerung des GAV in diesem Jahr; er ist nochmals in der Verhandlungsdelegation dabei.

Auch wenn Enzo dem SEV weiterhin zur Verfügung steht, wird er mehr Zeit haben, um sich seiner grossen Leidenschaft zu widmen: reisen und andere Kulturen entdecken. Die Pandemie behindert seine Pläne, aber er bleibt zuversichtlich. Wie schon immer in seiner gewerkschaftlichen Arbeit.

Yves Sancey / Übersetzung: Peter Moor
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