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Was ist verhältnismässig?

Verhältnismässigkeit heisst, dass jede Massnahme – zum Beispiel eine Sanktion – rechtmässig, zielführend und zumutbar sein muss. Und dass die mildestmögliche Massnahme zu wählen ist, wenn mehr oder weniger einschneidende Massnahmen zur Wahl stehen.

Die Wahrung der Verhältnismässigkeit ist ein wichtiger Grundsatz im Rechtsstaat und im Recht allgemein, den auch Arbeitgeber gegenüber ihren Angestellten beachten müssen.

«Ist es heute nicht unverhältnismässig heiss?» Diese Klage war in den letzten Wochen mehrfach zu hören. Doch in welchem Verhältnis steht denn diese Hitze? Zum Sommer 2003? Dann wäre es eigentlich normal warm. Zum Winter? Dann wäre es ein gefühlter Kochtopf. Oder einfach zu unserem Empfinden? Dann wird es sehr subjektiv.

Etwas «steht in keinem Verhältnis» – zum Beispiel der Lohn eines CEO – oder «ist unverhältnismässig» – zum Beispiel eine Strafe – sind Redewendungen, die immer wieder auftauchen. Doch was heisst das eigentlich?

Ein wichtiges Rechtsprinzip

Rechtlich bedeutet Verhältnismässigkeit die Angemessenheit eines Verhältnisses. Das heisst, es wird eine Abwägung vorgenommen. Im öffentlichen Recht, zu dem unter anderem auch die GAV-Arbeitsverträge der SBB gehören, ist die Verhältnismässigkeit ein zwingender Grundsatz. Aber auch im Privatrecht, zu dem alle Arbeitsverträge nach OR zählen, ist das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten.

Ein relativer Begriff

Ob eine Handlung oder Massnahme, etwa eine Strafe, verhältnismässig ist, muss also in einem Verhältnis stehen, an irgendeinem Massstab geprüft werden.

Beim obigen Sommerhitzebeispiel wird man am ehesten über den statistischen Mittelwert der Tagestemperatur in unseren Breitengraden zum Ziel kommen. Für unsere tägliche Arbeit aber bringen uns meteorologische Werte nicht weiter. Massstab sind hier die Gesetze, die allgemeine Lebenserfahrung (oft auch als gesunder Menschenverstand bezeichnet) und vor allem das Verhältnis der zu beurteilenden Handlung zum Gesetz und zum erwünschten Ziel.

Um verhältnismässig zu sein, muss eine Handlung oder Massnahme …

- irgendwie erlaubt sein: Disziplinarische Massnahmen können nur ergriffen werden, wenn es in den Regelwerken auch eine Legitimation dafür gibt. Wird zum Beispiel vor einer Entlassung eine Abmahnung verlangt und wird diese nicht vorgenommen, dann ist die Kündigung unverhältnismässig.

- geeignet sein, das angestrebte Ziel zu erreichen. Ungeeignete Massnahmen sind nicht verhältnismässig. Dazu gehören etwa Sicherheitsvorschriften, welche die Sicherheit nicht erhöhen. Oder Vorgaben zur Arbeitszeit, die keine Produktivitätssteigerung bringen oder die Mitarbeitenden über den Beschäftigungsgrad hinaus belasten. Und wenn mehrere Mittel zielführend sind, ist das mildestmögliche zu wählen.

- zumutbar sein: Selbst wenn der Arbeitgeber ein Weisungsrecht hat und eine Anweisung somit rechtlich gedeckt wäre, und selbst wenn diese Anweisung geeignet wäre, das Ziel zu erreichen, muss sie für die Mitarbeitenden auch zumutbar sein. So ist es nicht ohne weiteres zumutbar, am Freitag für die Buchhaltung einen Wochenendeinsatz anzuordnen, auch wenn dann die Arbeiten wahrscheinlich alle erledigt wären.

Die Prüfung der Verhältnismässigkeit ist also eine strenge Abwägung in einem klar definierten System. Und auch wenn man schnell das Gefühl hat, dass etwas doch nicht stimme, kann es trotzdem stimmen. Leider. Juristenfutter eben. Das Rechtsschutzteam kann helfen.

Rechtsschutzteam SEV