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175 Jahre Bahnen in der Schweiz

Altes Transportmittel mit Zukunft

Spanisch Brötli Bahn, Replika von 1947 (ETH-Bibliothek Zürich)

Am 9. August 1847 verkehrte zum ersten Mal eine Eisenbahn in der Schweiz. Die «Spanisch Brötli-Bahn» verband Zürich mit Baden. Damit begann eine Entwicklung von der alten bäuerlich geprägten Schweiz zur modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft. Trotz ihrem stattlichen Alter hat die Bahn heute mehr denn je eine Zukunft.

Drei Stunden dauerte die Fahrt in der «Bäderkutsche» von Zürich nach Baden. Die Bahn verkürzte die Fahrzeit auf 45 Minuten. Die Badener Backspezialität «Spanisch Brötli» landete endlich frisch auf den Frühstückstellern der Zürcher Herrschaften. Mit der Schaffung des Bahnverkehrs wurden praktisch alle Belange des alltäglichen Lebens enorm beschleunigt.

Die Bahn war Voraussetzung für die Globalisierung der Wirtschaft. Güter konnten sehr rasch von den Häfen in die Wirtschaftszentren im Binnenland transportiert werden und umgekehrt. Menschen gelangten innerhalb weniger Stunden von einem Land in ein anderes. An den Knotenpunkten der Bahn entstanden die grossen Wirtschaftsmetropolen von heute. Wer nicht erschlossen wurde, hatte Pech und wurde von der Wirtschaft abgehängt, was zu einer gigantischen Migration der Bevölkerung vom Land in die Städte führte. Die Landregionen, die es schafften, einen Bahnanschluss zu erhalten, wurden zu den Hotspots des Tourismus.

Die Eisenbahn veränderte den Planeten, denn sie war von Anfang an ein globales Phänomen. 1825 erfand der Brite George Stephenson die Dampflokomotive und sorgte dafür, dass Britannien eine Vorreiterrolle in der Industrialisierung spielte. In die Schweiz kam die Bahn eher spät, weil das Land politisch sehr zerstückelt war. Ursprünglich sollte die erste Bahn Basel mit Zürich verbinden, doch die beiden Basel und der Aargau verweigerten die Konzession. Mit dem Entstehen des modernen Bundesstaates 1848 wurde es zwar einfacher, doch die Organisation blieb zerstückelt. Statt einer nationalen Bahn gab es zahlreiche halbprivate Bahnen, getragen von Kantonen und einzelnen Unternehmern, die in vielen Fällen mit finanziellen Problemen kämpften.

Entwicklung des Eisenbahnnetzes in der Schweiz 1847-1908 (geografischer, volkswirtschaftlicher und geschichtlicher Atlas der Schweiz, 1907)

Erst Ende des 19. Jahrhunderts reifte die Idee einer Schweizer Bundesbahn. 1898 wurde die Verstaatlichung vom Stimmvolk schliesslich gutgeheissen. Ab 1902 übernahm die neugegründete SBB die fünf grössten Privatbahnen und mehrere kleine Bahnen. Frei nach dem Motto «Gewinne privat, Verluste dem Staat» machten die ehemaligen Bahnbesitzenden beim Verkauf in der Höhe einer Milliarde Franken einen satten Profit, während die staatliche Bahngesellschaft hoch verschuldet den Betrieb aufnahm. Diese Schuldenlast überschattete die Anfangszeit der SBB. Erst während dem Zweiten Weltkrieg kam die nötige Entschuldung.

Ende des 19. Jahrhunderts entstanden auch die ersten Bahngewerkschaften, von denen sich ein grosser Teil 1919 zum Schweizerischen Eisenbahnerverband SEV zusammenschloss. Auch das war Teil einer globalen Entwicklung. Bei den neu geschaffenen Industrien wurde die Menschlichkeit oft dem Profit einzelner Unternehmer geopfert. Eine organisierte Arbeiterbewegung war bitter nötig, um diesen Missstand zu beheben. In der Schweiz erreichte der Arbeitskampf seinen Höhepunkt im Landesstreik von 1918, mittendrin zahlreiche Eisenbahner.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts verbesserten sich die Arbeitsbedingungen. Fortschritt gab es auch bei der Technik. Hier spielten die Schweizer Bahnen eine Vorreiterrolle. Keine Eisenbahn der Welt war so schnell elektrifiziert. 1939 war 77 % des Netzes elektrisch, im restlichen Europa lag der Anteil nur bei 5 %. Doch die positive Entwicklung der Bahn wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Siegeszug des Motorverkehrs gebremst. Weil immer mehr Menschen und Betriebe auf Autos und Lastwagen setzten, investierte der Staat zunehmend in den Strassenbau und vernachlässigte die Bahn zuweilen. Hinzu kam Ende des 20. Jahrhunderts die neoliberale Vorstellung, der Markt könne alles regeln. Trotz neu erwachten Privatisierungsgelüsten konnte die Bahn mit der Volksmehrheit im Rücken wichtige staatliche Infrastrukturprojekte wie die «Bahn 2000» und die Neat verwirklichen und blieb staatlich kontrolliert.

Heute wissen wir, der motorisierte Individualverkehr ist mitverantwortlich für die drohende Klimakatastrophe. Der öffentliche Verkehr hingegen ist Teil der Lösung des Problems. Es muss also viel mehr in die Schiene investiert werden. Maximales Profitstreben hilft nicht, staatliche Investitionen aber schon. Die Bahn hat Zukunft. Ein Prost auf weitere 175 Jahre!

Michael Spahr
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Veranstaltungen

Jubiläumslokomotive (© SBB CFF FFS)

Der Verband öffentlicher Verkehr VöV organisiert zum 175-Jahr-Jubiläum der Schweizer Bahnen fünf Festwochenenden.

Die erste Veranstaltungsserie findet am 21. und 22. Mai 2022 in der Region Nord (Nordwestschweiz und Zürich) statt. Mit dabei ist in Olten auch der SEV. Er wird sich am Bahnmarkt im SBB-Werk Olten (Industriestrasse 153) präsentieren. Mehr Informationen gibt es unter:

www.175-jahre.ch