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Bildungstagung der SEV-Frauen

Wahre Gleichstellung braucht Entscheidungsfreiheit

Eine Erkenntnis der Tagung war, dass eine 35-Stunden-Woche bei vier Arbeitstagen – wie vom SGB-Frauenkongress gefordert – die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben verbessern würde.

Teilzeitarbeit ist verbreitet, insbesondere bei den Frauen. Im Alter kann dies jedoch fatale Folgen haben. Die Bildungstagung der SEV-Frauen, die am 26. November in Bern stattgefunden hat, klärt auf.

Die Frauen in der Schweiz arbeiten mehr als Männer, wenn man bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammenzählt. Rund 76 % der erwerbstätigen Frauen sind in Teilzeit zu weniger als 70 % angestellt; nur 24 % arbeiten mehr und haben ein existenzsicherndes Einkommen. Der Grund? Allem voran die unbezahlte Care-Arbeit, die weitestgehend auf den Schultern der Frauen lastet. Dadurch müssen viele auf ihren Teil der Erwerbsarbeit verzichten und arbeiten in geringen Pensen, die alleine nicht zum Leben reichen.

Erwerbsbiographie und Altersvorsorge

Auf dieses Problem macht SGB-Frauensekretärin Regula Bühlmann in ihrem Input-Referat zum Auftakt der diesjährigen SEV-Frauentagung aufmerksam. «Auf politischer Ebene wird argumentiert, dass Frauen in tiefen Pensen arbeiten, um sich der Freiwilligenarbeit zu widmen», sagt sie. Doch unbezahlte Care-Arbeit sei nicht Freiwilligenarbeit – Parteipolitik oder Vereinsarbeit zählen zur Freiwilligenarbeit. Viele Frauen haben keine andere Wahl, als sich der unbezahlten Familienarbeit anzunehmen, weil sie sich beispielsweise eine externe Kinderbetreuung nicht leisten können. «Es ist also nicht in jedem Fall eine freie Entscheidung, Teilzeit zu arbeiten», sagt Bühlmann.

Weiter zeigt Bühlmann die Fallstricke der Teilzeitarbeit auf: «Es droht eine Dequalifizierung durch lange Pausen», sagt sie. Auch die Aufstiegschancen sind geringer. Ein weiteres Problem sieht die Expertin des SGB bei Mini-Pensen: «Durch kleine Pensen kommt es zu kritischen Arbeitsverhältnissen wie Arbeit auf Abruf oder Mehrfachbeschäftigung». Zu allem Übel münden diese Probleme am Ende des Erwerbslebens in eine prekäre Situation im Ruhestand. Gabriela Medici, die als SGB-Zentralsekretärin für die Sozialversicherungen zuständig ist, erklärt: «Die unbezahlte Care-Arbeit wird in unserem System nur in der AHV berücksichtigt. Wer wenig oder gar nicht gearbeitet hat, ist nach einer Scheidung oder im Alter einem grossen Armutsrisiko ausgesetzt» – ein Risiko, das hier zu Lande überproportional Frauen betreffe.

Wissen ist Macht

«Ziel der Bildungstagung ist es, die Frauen zu sensibilisieren», sagt Lucie Waser, die SEV-Gewerkschaftssekretärin für Gleichstellung. «Es ist wichtig, sein Wissen zu erweitern, denn nur so hat man eine faire Gesprächsbasis», findet sie. Eine freie Entscheidung ist nur möglich, wenn alle Fakten bekannt sind. «Die Zeiten des Mannes mit der alleinigen Verantwortung für den Ernährerlohn sind vorbei», sagt Waser, «die Frauen müssen erkennen, dass sie für ihre ökonomische Unabhängigkeit selber verantwortlich sind.» Damit es zu keiner Altersarmut kommt, müsse man wissen, was wieviel kostet und welche Auswirkungen eine Scheidung oder langjährige Teilzeitarbeit auf die Altersvorsorge habe.

Um dieses Wissen zu vermitteln, hat die SEV-Frauenkommission die Bildungstagung mit thematischen Workshops organisiert. Im Workshop «Altersvorsorge der Frauen» erklären Gabriela Medici und Christina Werder , pensionierte Gleichstellungssekretärin SGB, das Schweizer 3-Säulen-System. Sie machen dabei auf die Gefahren durch die aktuelle Rentenreform aufmerksam. Im zweiten Workshop zu «Liebe & Gesetz» mit Gisela Kilde, Lehrbeauftragte am Institut für Familienforschung und -beratung der Universität Freiburg, geht es um die Auswirkungen des Zivilstands auf die finanzielle Situation und Altersvorsorge. Im letzten Workshop befassen sich die Teilnehmerinnen unter der Leitung von SEV-Gewerkschaftssekretärin Susanne Oehler mit der Vereinbarkeit mehrerer Teilzeitjobs.

Die Forderungen

Zum Abschluss der Tagung tragen alle Dozentinnen ihre Erkenntnisse zusammen, und Lucie Waser stellt die Forderungen aus dem SGB-Frauenkongress vor: Eine 35-Stunden-Woche bei vier Arbeitstagen würde die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben verbessern. Zudem fordern sie eine familienergänzende Kinderbetreuung als Service public. Nur, wenn die Kinderbetreuung nichts kostet, können Familien frei entscheiden, wer wieviel arbeiten geht, und nur so entsteht wahre Gleichstellung.

Karin Taglang
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