Stress schadet – auch am Arbeitsplatz! Werden Vorschriften wegen des Zeitdrucks nicht eingehalten, kann schnell ein Unfall passieren.
Ist schnell auch immer gut?
Unser Arbeitsalltag ist geprägt von Hektik und Zeitnot. Wohl denen, welche sich ihre Arbeiten frei einteilen oder auch mal etwas auf Morgen verschieben können.
Die meisten Mitarbeitenden haben diese Flexibilität aber nicht und müssen in der gleichen Zeit immer mehr Leistung erbringen. Da stellt sich zwingend die Frage, ob schnell auch immer gut ist, und ob es nicht vielleicht doch auch sinnvoll wäre, einmal Nein zu sagen.
Das war ein Tag damals, den unser Rangiermeister am liebsten nicht erlebt hätte. Die eine Rangierlok ist defekt und muss vom Feld gebracht werden. Die Schicht ist keine fünf Minuten alt und schon ist klar, dass die Zeit nicht reichen wird, um alle Aufträge zu erledigen. So entschliesst sich der Rangiermeister – wie schon so oft praktiziert –, drei statt der erlaubten zwei Wagen ablaufen zu lassen. Er will noch die Handbremsen angezogen haben, damit die Wagen etwas langsamer ablaufen. Doch, oh Freude, die sind auch defekt. Nach Funkdurchsage an alle beteiligten Mitarbeitenden lässt er die Wagen ablaufen. Unten prallen sie auf einen stehenden Waggon auf, wobei ein Rangiermitarbeitender vom Waggon fällt und schwer verletzt wird. In der Folge wird der Rangiermeister per Strafbefehl wegen fahrlässiger, schwerer Körperverletzung verurteilt.
Lässt sich ein Verstoss gegen die Fahrdienstvorschriften rechtfertigen?
Die Fahrdienstvorschriften sind zwingend einzuhalten. Ein Verstoss lässt sich nicht rechtfertigen. Vielmehr sollten die betroffenen Personen es gar nicht so weit kommen lassen. Zeitdruck, veraltete Anlagen und defektes Material lassen es jedoch gar nicht zu, dass bei Einhaltung der Fahrdienstvorschriften auch die geforderte Arbeitsleistung erbracht werden kann. Der Rangiermeister hätte hier im Vorfeld – also als er festgestellt hat, dass es so nicht gehen wird – den Vorgesetzten darauf ansprechen sollen. Oft wird das Gespräch nicht gesucht, da man die Antwort schon zu kennen glaubt und natürlich auch die Vorgesetzten unter Druck stehen. Eine Frage aber, gut und sachlich gestellt, kostet nichts. Sind die Frage und die Antwort dann noch dokumentiert, z. B. mit Mail oder Zeugen, dann ist im Ereignisfall für den Betroffenen schon viel gewonnen.
Macht eine Weigerung Sinn?
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben aus ihrem Arbeitsvertrag die Pflicht zur Arbeitserbringung und müssen sich dem Weisungsrecht des Arbeitgebers fügen. Wenn es also heisst, diese Arbeiten müssen gemacht werden, ist eine Weigerung nur in einem sehr begrenzten Rahmen möglich. Nämlich genau dann, wenn die Ausführung der Anweisung eine Gefahr für Leib und Leben darstellt oder gegen zwingendes Recht verstösst. Auf der andern Seite kann es aber auch nicht sein, dass das Arbeitsvolumen nur durch einen kreativen Umgang mit den Vorschriften erbracht werden kann. Würden die Vorschriften eingehalten, gäbe es ja dann sofort die Androhung von Massnahmen wegen mangelnder Arbeitsleistung.
Dieser Konflikt lässt sich bekanntermassen nur sehr schwer lösen. Wichtig ist hier das bereits erwähnte Gespräch und die Dokumentation dazu, sei es mit Zeugen, sei es mit einem nachträglichen Mail oder einer Aktennotiz. Seitens der Vorgesetzten wird ja immer verlangt, dass die Eigenverantwortung wahrgenommen werden müsse. Es geht nicht um ein «Gestürm», um Kleinigkeiten, sondern um die Wahrnehmung von Rechten und schlussendlich um die Arbeitssicherheit und Arbeitsqualität.
Wer ist nun schuld?.
Im Strafverfahren traf den Rangiermeister aber keine nachweisbare Schuld für die Körperverletzung. Der Zustand der Anlage und des Materials war der Leitung bekannt, und diese hat nichts dagegen unternommen. Zudem hat es die Leitung zugelassen, dass immer wieder gegen die Fahrdienstvorschriften verstossen wurde. So hat sich im strafrechtlichen Sinn das vom Rangiermeister geschuldete Mass der Sorgfalt herabgesetzt, und der Anwalt des SEV konnte im konkreten Fall die Aufhebung des Verfahrens erreichen.
Was können wir ändern?
Solche Situationen sind vielfach Alltag, und solange nichts passiert, gibt es anscheinend auch keinen Handlungsbedarf. Wichtig ist vor allem, dass die Vorschriften eingehalten werden. Sie dienen ja schliesslich auch der Sicherheit. Alles andere ist am besten in einem offenen und sachlichen Gespräch anzugehen. Der SEV kann euch dabei unterstützen.
Rechtsschutzteam SEV