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Abschaffung des Beamtenrechts

Eintritt ins GAV-Zeitalter

Erste GAV-Verhandlungsrunde zwischen SBB, SEV und Minderheitsgewerkschaften am 8.9.1999.

Die GAV-Epoche begann im öffentlichen Verkehr der Schweiz kurz vor der Jahrtausendwende mit der Aushandlung der GAV bei SBB und SBB Cargo, wie es das Bundespersonalgesetz (BPG, gültig ab 2001) vorsah. Zuvor hatten Angestellte der SBB den Beamtenstatus und jene der Konzessionierten Transportunternehmungen (KTU) Personalreglemente. Zwar hatte der SEV schon vorher einige GAV ausgehandelt, doch waren dies Ausnahmen.

Für die Verhandlungen mit der SBB stellte der SEV Giorgio Tuti an, der bei der Gewerkschaft Bau und Industrie im Tessin mehrere Jahre lang intensiv mit der Aushandlung und Umsetzung von GAV zu tun hatte. Tuti erzählt: «Als ich kurz nach meinem Eintritt in den SEV nach den SBB-Reglementen, Weisungen usw. fragte, die im GAV zusammenzufassen waren, führte mich ein Kollege zu einem doppeltürigen Schrank. Ich fragte: ‹Wo im Schrank?› Er antwortete: ‹Der ganze Schrank…›»

Nach einem ersten GAV-Workshop am 20. Mai 1998 brauchte es 20 Treffen und die SEV-Demo vom 18. Februar 2000 in Bellinzona, bis die SBB bereit war, den «Contrat social» voll zu übernehmen, womit am 29. Februar der Abschluss gelang. Auch sonst erreichte der SEV weitgehend den Besitzstand aus dem Beamtenrecht. Der GAV SBB beruhte auf dem öffentlichrechtlichen BPG, und der GAV SBB Cargo auf dem privatrechtlichen Obligationenrecht, doch inhaltlich sind sie bis heute gleich.

Der erste GAV SBB/SBB Cargo trat am 1. Januar 2001 in Kraft. 2005, 2007, im Juli 2011, 2015 und im Mai 2019 folgten weiterentwickelte Verträge nach zum Teil schwierigen Verhandlungen. Doch dank der Mobilisierung der Mitglieder konnte der SEV das hohe Niveau des GAV SBB/SBB Cargo samt «Contrat social» bis heute halten, was wegen seiner Leuchtturmfunktion für die KTU wichtig war und ist.

Ab 2001 wurden auch bei fast allen KTU die Personalreglemente in Firmen-GAV überführt. Diese können nicht einseitig geändert werden wie Reglemente und setzen das Personal damit in eine bessere Position. Barbara Spalinger, die seit 2003 als SEV-Vizepräsidentin für die KTU zuständig ist, sagt: «In der Deutschschweiz konnten wir die bestehenden Reglemente relativ mühelos in GAV umwandeln, indem wir einen schuldrechtlichen Teil hinzufügten. In der Romandie dauerte es etwas länger, dafür haben wir heute bei allen Unternehmungen einen GAV – bis auf die öffentlich-rechtliche TPG und die TMR, die nach wie vor Reglemente haben wie vereinzelte KTU in der Deutschschweiz.»

Über 70 Verträge

Aktuell hat der SEV 76 GAV unterzeichnet. Die allermeisten sind Firmen-GAV. Aber es gibt auch den national geltenden Rahmen-GAV für den regionalen Personenverkehr Normalspur sowie sieben GAV mit kantonaler Reichweite: die Rahmenverträge für den Busbereich in den Kantonen Bern und St.Gallen samt Thurgau und den beiden Appenzell, in den Kantonen Neuenburg und Waadt für den ganzen öffentlichen Verkehr, im Kanton Zürich für die Nahverkehrsbetriebe, im Kanton Genf für die Unterakkordanten der TPG sowie mit dem Arbeitgeberverband der Berner Bergbahnen.

Markus Fischer

«Contrat social»

Stellenabbau durch Rationalisierungen war bei der SBB seit den 1960er-Jahren ein Dauerbrenner, doch von 1990 bis 2000 sank die Zahl der Angestellten von 37700 auf 28300… Um diesen Aderlass sozial abzufedern, schlossen SEV und SBB am 31. März 1993 den «Contrat social» ab. Die SBB garantierte den Beamten und ständigen Angestellten Beschäftigung und Besitzstand, wenn sie zur Übernahme einer zumutbaren anderen Tätigkeit bereit waren. Vereinbart wurden auch ein regelmässiger Informationsaustausch und ein Mitspracherecht der Personalverbände bei der Umsetzung von Restrukturierungen.