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GAV-Serie, Teil 5, Interview

Christian Fankhauser: «Der Organisationsgrad ist entscheidend»

SEV-Vizepräsident Christian Fankhauser spricht über Herausforderungen für die Vertragspolitik.

Christian Fankhauser (Foto: Jordi D'Alessandro)

Anfang 2020 ging es den Unternehmen des öffentlichen Verkehrs allgemein sehr gut. Nun haben sie die Reserven aufbrauchen müssen und sind auf Hilfe durch die Eigentümer angewiesen. Wie wirkt sich das auf die Anstellungsbedingungen aus?

In zahlreichen Unternehmen musste das Personal auf die Lohnentwicklung verzichten. In dieser sehr stürmischen Zeit haben wir das Schwergewicht auf den Gesundheitsschutz und die Einhaltung der Dienstpläne gemäss Arbeitszeitgesetz gelegt. Denn das Gesetz gilt auch während der Pandemie.
 

Gibt es soziale Errungenschaften, die gefährdet sind?

Ich wage Nein zu sagen. Aber der Einfallsreichtum gewisser Arbeitgeber ist grenzenlos. Seit mehreren Jahren richten sich die Angriffe auf das Kündigungsverbot bei Krankheit während zwei Jahren. Einige möchten sich nach dem Obligationenrecht richten, also sechs Monate Schutz und nichts mehr.
 

Nach der Pandemie wird sich der öffentliche Verkehr erholen; die langfristigen Prognosen sind nach wie vor gut, da ökologische Formen der Mobilität gefordert sind. Was heisst das fürs Personal?

Die Aussichten sich eher erfreulich. In einem Bereich zu arbeiten, der wächst, gibt eine gewisse Arbeitsplatzsicherheit.
 

In den nächsten Jahren werden sehr grosse Jahrgänge pensioniert; Personalmangel ist abzusehen. Wie wirkt sich das auf die Anstellungsbedingungen aus?

Die Problematik ist bekannt und die Arbeitgeber sind in der Lage, die Personalnachfolge zu lösen. Wir müssen verhindern, dass es zu Unterbeständen kommt, die sich sehr nachteilig auf die Gesundheit des Personals auswirken können. Wir werden sehr genau auf die Qualität der Dienstpläne und der Ruhezeiten achten. Wir werden nicht akzeptieren, dass das Personal für die Planungsfehler der Direktionen bezahlt.

Für uns als Gewerkschaft bedeutet es auch, dass wir Antworten haben auf die Erwartungen der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bezüglich Löhnen und Arbeitsorganisation. Die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird tatsächlich immer wichtiger. Nur eine Steigerung unseres Organisationsgrads wird es uns erlauben, gegenüber den Unternehmen glaubwürdig zu sein.

Und wir dürfen uns nicht fürchten, uns mit gewerkschaftlichen Aktionen Gehör zu verschaffen!
 

Gleichzeitig sind weitere grosse Schritte in der Digitalisierung abzusehen. Die Berufsbilder werden sich verändern. Welche Herausforderungen siehst du in diesem Zusammenhang?

Die grosse Herausforderung ist die Ausbildung des Personals. Die Sozialpartner müssen sich an einen Tisch setzen und über die Schaffung eines paritätischen Ausbildungsfonds diskutieren. Zahlreiche kleinere Unternehmen haben nicht die gleichen Mittel wie etwa die SBB.
 

Noch immer gibt es einige bedeutende Unternehmen des öffentlichen Verkehrs ohne GAV. Was unternimmt der SEV, um dies zu ändern?

Der Widerstand dieser Unternehmen ist rein ideologisch. Mit dem grössten Teil von ihnen haben wir eine sehr lebendige Sozialpartnerschaft. Wir versuchen ihnen aufzuzeigen, dass ein Gesamtarbeitsvertrag nützlich ist, wenn es um die Ausschreibung von Linien geht.

Ein GAV gewährleistet Transparenz und Stabilität sowohl für die Angestellten als für die Arbeitgeber.

Wir beziehen die Angestellten in unserem Kampf für einen GAV mit ein; wir lancieren Petitionen, wir führen Sensibilisierungskampagnen durch und wir machen Druck auf die Behörden, damit sie die Unternehmen zur Unterzeichnung eines GAV verpflichten.

Auch hier ist wiederum der Organisationsgrad entscheidend. Je mehr Mitglieder wir sind, umso grösser ist unser Druck bei Verhandlungen mit dem Arbeitgeber.

Ganz grundsätzlich: Welches sind die zentralen gewerkschaftlichen Forderungen in den nächsten Jahren?

Verhandlung einer Branchenlösung für Umschulungen wegen der Digitalisierung und gesundheitlicher Probleme.

Schaffung einer Stiftung für die Frühpensionerung im öffentlichen Verkehr nach dem Vorbild der Vorpensionierungskasse des Westschweizer Ausbaugewerbes.

Einführung von Arbeitszeitmodellen, die das Gleichgewicht von Beruf und Privatleben fördern.

Welches ist für dich persönlich das vordringliche Anliegen?

Den Zugang von Frauen zu unseren Berufen zu verbessern! Noch immer wird viel zu sehr von Männern für Männer gedacht.
 

Peter Moor
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