Der Bund will seinen Anteil an der Finanzierung des Regionalverkehrs reduzieren
Dringend gesucht: Viel Geld für den Regionalverkehr
880 Millionen Franken: das sind die Mehrkosten, die der Bundesrat zwischen 2018 und 2021 allein im Regionalverkehr erwartet. Zahlen soll vor allem das Personal.
Der öffentliche Regionalverkehr wächst und wächst – zurzeit um 4 bis 5 Prozent pro Jahr. Um diese Nachfrage zu bewältigen, braucht es Ausbauten beim Angebot, was laufend zusätzliche Fahrzeuge erfordert, sowohl auf der Strasse als auch auf der Schiene. Der Bundesrat hat ausrechnen lassen, was das für die Jahre 2018 bis 2021 bedeutet: Mehrausgaben von 880 Millionen Franken.
Dazu stellt der Bundesrat fest, dass heute Bund und Kantone zusammen die Hälfte der Kosten des Regionalverkehrs tragen. Diese Aufteilung stellt er nun in Frage. Die Zusatzkosten sollen vor allem die Transportunternehmen und die Passagiere tragen. Auch die Kantone sollen daran zahlen, wobei sich der Bundesrat nicht über das Ausmass äussert. Dies tut er nur bei seinem eigenen Anteil: Der Bund will nur 160 der 880 Millionen übernehmen, was bedeuten dürfte, dass auch die Kantone in diese Grüssenordnung gehen werden.
Personal in der Zitronenpresse
Weniger Beiträge des Bundes, weniger Beiträge der Kantone, und grosse Zurückhaltung bei Tariferhöhungen. Da bleibt nur ein Ort, wo das Geld herkommen kann: Aus den Unternehmen, mit andern Worten vom Personal, das anscheinend weiter ausgepresst werden kann. Als hätte es die letzten Jahre nicht gegeben (siehe auch Box «Zur Sache»).
Der Bundesrat wird nächstes Jahr eine Botschaft zur Finanzierung des Regionalverkehrs für 2018 bis 2021 in die Vernehmlassung geben, die aber offensichtlich nur als Alibiübung gedacht ist, denn noch im gleichen Jahr will er die Vorlage ins Parlament bringen.
Umbau angekündigt
Gemäss den Absichten des Bundes sollen also Passagiere und Unternehmen über eine halbe Milliarde Franken beisteuern. In seiner Medienmitteilung lässt der Bundesrat durchaus durchblicken, dass dies eine Praxisänderung einläutet. «Mittelfristig soll der regionale Personenverkehr neu gesteuert und finanziert werden», ist da zu lesen. Man erinnert sich an die Strategie des Bundesamts für Verkehr aus dem Sommer 2014, in der erstmals die Privatisierung mehr oder weniger sanft angedeutet war; nun tönt dies wiederum nur durch. Immerhin kündigt der Bundesrat für nächstes Jahr eine klarere Aussage zu dieser Neuausrichtung an – das lässt das Schlimmste befürchten.
Peter Moor
Zur Sache
Wie man eine schlechte Botschaft in schöne Worte packt, hat uns die Medienabteilung des Bundesamts für Verkehr kürzlich wieder vorgeführt: «Bundesrat will Zusatzkosten im Regionalverkehr auf mehrere Schultern verteilen», heisst es im Titel einer Pressemitteilung. So ein Titel ist fast schon anheimelnd. Man könnte denken, die Staatsväter und -mütter seien der Meinung, Familie Schweiz sollte diese Zusatzkosten gemeinsam, solidarisch und sozusagen Hand in Hand tragen, weil, das wissen wir ja alle, gemeinsam alles besser geht. Ein schöner Gedanke!
Genauer besehen ist es allerdings weniger schön. Denn Papa und Mama Bundesrat haben gleichzeitig auch noch beschlossen, wie viel sie an die fehlenden 880 Millionen beitragen wollen: gerade mal 160, keine zwanzig Prozent dieser Kosten. Die restlichen über achtzig Prozent sollen durch Effizienzsteigerungen bei den Bahn- und Busunternehmen sowie durch Passagiere und Kantone geleistet werden. Wie viel die Passagiere dazu beitragen sollen, dürfen die Transportunternehmungen freundlicherweise selber entscheiden, und sie werden sich vermutlich hüten, die in letzter Zeit gestiegenen Billettpreise weiter massiv zu erhöhen. Wie es um die Finanzen der Kantone steht, wissen wir bestens aus den letzten Lohnverhandlungen. Wer hier mehr als nochmals zwanzig Prozent Kostenbeteiligung erwartet, träumt. Schliesslich können all die Steuersenkungen der letzten Jahre nicht einfach rückgängig gemacht werden, dazu bräuchte es ja mutige Politikerinnen und Politiker. Also sind hier nicht viel mehr als nochmals 160 Millionen zu erwarten. Bleibt die restliche halbe Milliarde.
Und die soll also durch Effizienzsteigerungen in den öV-Unternehmungen erbracht werden. Seit Jahren werden diese Effizienzsteigerungen beschworen, als ob in den letzten Jahren diesbezüglich nichts passiert wäre, als ob der öV in der Schweiz noch im Dampfzeitalter wäre. Der einzige Dampf in diesem Zusammenhang ist der Nebel, den die Effizienzsteigerer mit ihrer Aussage produzieren. Denn keiner sagt, wie das gehen soll. Schneller fahren, soviel ist sicher, geht nicht. Das weiss vermutlich sogar der Bundesrat. Weiss er aber auch, wie man in öV-Unternehmungen effizienter wird? Wie und wo hier Produktivitätssteigerungen möglich sind? Gesagt hat er bisher noch nichts dazu. Wir wissen allerdings, dass dies bei einer Unternehmung, deren Leistung und deren Abgeltung feststehen, praktisch nur an einem Ort geht: bei den Arbeitsbedingungen des Personals.
Was das heisst, haben wir vor einem Jahr in Genf erlebt. Wir sollten dies den mutlosen Politikern und dem Bundesrat dringend in Erinnerung rufen.
Barbara Spalinger