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Gotthard-Basistunnel

Unfall im GBT: Regeln zur Dienstplanung sind einzuhalten

Im Tunnel bei 40 Grad zu arbeiten ist eine grosse physische Belastung. © SBB / Anouk Ilg

Nach der Entgleisung vom 10. August im Gotthard-Basistunnel trug das Bahnpersonal mit viel Flexibilität und Einsatz dazu bei, die negativen Folgen für Reisende und Verlader zu minimieren. Dank eines angepassten Betriebskonzepts sollte aber inzwischen für alle Mitarbeitenden wieder ein planbares Privatleben möglich sein. Der SEV erwartet darum von den Bahnen, dass alle vereinbarten Regeln für die Dienstplanung wieder eingehalten werden.

Während der anfänglichen Totalsperre des GBT wichen die Bahnen auf die Lötschberg–Simplon-Achse und die Gotthard-Bergstrecke aus. Weil letztere kleinere Tunnelprofile aufweist, können dort keine Doppelstockwagen und keine Güterwagen mit vier Meter Eckhöhe verkehren, und ihre stärkeren Gefälle erfordern reduzierte Zuggewichte und/oder Zusatzloks. Doch dank der Bergstrecke blieben Deutsch-​schweiz und Tessin per Bahn miteinander verbunden, bis die GBT-Oströhre am 23. August wieder aufging. Es ist zu hoffen, dass SBB und Politik die Bedeutung dieser Verbindung nun erkannt haben und auch für eine funktionierende Schneeräumung sorgen werden.

Im Güterverkehr fuhren vor allem SBB Cargo National und International über den Berg, während die anderen Bahnen fast ganz auf den Lötschberg auswichen. So auch BLS Cargo, deren Lokpersonal in Bellinzona vorübergehend nur wenig Arbeit hatte. Gleich ging es Rangierteams in Chiasso Smistamento. Enorm zu tun hatten dagegen die Trassen- und Fahrplan-Planer:innen der Infrastruktur, aber auch das übrige Planungs-, Dispositions- und Personaleinteilungspersonal. Ganz zu schweigen von den vielen kurzfristigen Änderungen für das Lok-, Zug-, Rangier- und Wagenreinigungspersonal usw. Die Güterbahnen mussten bis mindestens Ende August damit leben, dass sie Trassen jeweils nur für den Folgetag erhielten.

Baupersonal am Anschlag

Das SBB-Baupersonal stand unter Druck, den GBT möglichst rasch wieder befahrbar zu machen. Im Tunnel bei 40 Grad zu arbeiten ist eine grosse physische Belastung. Trotz Zweischichtbetrieb dürfte die Bergung der entgleisten Wagen bis Ende September dauern, und die Weströhre dürfte erst Anfang 2024 wiedereröffnet werden, denn es gibt viel zu reparieren. Dafür ist die nächstgelegene Niederlassung Biasca zuständig, mit Unterstützung aus Erstfeld. Beidenorts wurden Baustellen und der ordentliche Tunnelunterhalt zurückgestellt und Mitarbeitende kurzfristig umdisponiert. Weil im GBT auch Drittfirmen eingesetzt werden, ist deren Personal zurzeit für andere Baustellen knapp. Nur dank grossem Einsatz der SBB-Niederlassungen mussten bisher keine grösseren Baustellen abgesagt werden. Auf der Bergstrecke gilt es zudem Spurwechselweichen, die aus Spargründen verschraubt worden waren, wieder in Betrieb zu nehmen.

Personenverkehr

Weil die Fahrt über die Bergstrecke eine Stunde länger dauert, hatte das Zugpersonal anfänglich sehr lange, oft über zehnstündige Touren. Zudem waren viele Pausen so kurz, dass sie kaum für die Verpflegung reichten. Der Präsident der ZPV-Sektion Ticino forderte darum am 20. August die Planung auf, rasch stabile Dienstpläne mit ausgeglichenen Touren und genügend langen Pausen zu zeichnen. Inzwischen fährt das Tessiner Zugpersonal meist nur noch bis Bellinzona und übergibt dort die Züge an Deutsch-​schweizer Kolleg:innen, die ihrerseits nicht mehr bis Lugano oder Chiasso fahren müssen. Doch es gibt weiterhin lange Touren und viele kurzfristige Änderungen.

Auch die LPV-Sektion Ticino schrieb den Vorgesetzten am 23. August einen Brief und forderte sie auf, die Verständigungsfristen für Tourenänderungen wieder einzuhalten und unter Einbezug der Arbeitsplankommission rasch Dienstpläne zu erarbeiten, die keine überlangen Touren mehr vorsehen. Letztere sind dank Führerwechseln in Goldau oder Bellinzona zwar seltener geworden, doch kurzfristige Änderungen gab es bis Redaktionsschluss weiterhin, und sie wurden dem Personal oft nicht korrekt mitgeteilt.

Lokpersonal Cargo

Da Güterzüge vor dem einspurigen GBT oft lange warten müssen (seit einem Fahrplanwechsel offenbar weniger), hat das Lokpersonal viele verspätete Dienstende bzw. -antritte, die oft erst sehr kurzfristig bekannt werden. Wegen des instabilen Betriebs sieht SBB Cargo nun wieder Führerwechsel in Goldau vor, nachdem das dortige Depot erst letztes Jahr gegen den Willen von Personal und SEV geschlossen wurde. Damit fahren nun Lokführer oft per Dienstfahrt von Basel oder Rangierbahnhof Limmattal nach Goldau oder umgekehrt, was nicht nachhaltig ist. Ob die Leitung auf ihren Fehlentscheid zurückkommt?

Intervention bei SBB HR

Aufgrund vieler Rückmeldungen schrieb der SEV am 25. August einen Brief an SBB-Personalchef Markus Jordi. Darin hielt der SEV fest, dass mit dem zwischenzeitlich etablierten Betriebskonzept die Ausnahmen, die das Arbeitszeitgesetz bei Betriebsstörungen bzw. höherer Gewalt zulässt, nicht mehr anwendbar sind. Somit muss die SBB die bestehenden Regeln betreffend Anhörung der Mitarbeitenden oder ihrer Vertretung zu Änderungen von Dienstplänen oder zu kurzfristigen Änderungen des Beginns oder Endes von Diensten wieder einhalten, hielt der SEV fest. Er verfolgt die Situation aufmerksam weiter.

Alle Berufsgruppen der betroffenen Bahnen haben die ausserordentliche Lage in den vergangenen Wochen stark zu spüren bekommen und bleiben weiterhin gefordert. Das Personal hat einen Rieseneffort geleistet und verdient dafür Dank und Wertschätzung.

Markus Fischer
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