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European Transport Worker's Federation

ETF-Eisenbahnsektion: Giorgio Tuti als Präsident wiedergewählt

Giorgio Tuti – hier beim Besuch des Connecting Europe Express in Bern – bleibt der «höchste Eisenbahner Europas».

Am 8. Dezember ist Giorgio Tuti für eine zweite Amtszeit zum Präsidenten der ETF-Eisenbahnsektion wiedergewählt worden. Diese vereint 83 europäische Gewerkschaften aus 37 Ländern unter einem Dach und vertritt rund 700 000 Eisenbahner:innen.

Der SEV-Präsident gewann das Vertrauen der Mitglieder der Eisenbahnsektion der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) einstimmig. Die Sitzung fand wegen der Pandemie per Videokonferenz statt. Giorgio Tutis Wiederwahl bietet Gelegenheit, auf seine erste Amtszeit zurückzublicken und über die kommenden Herausforderungen zu sprechen.

Giorgio, wie fühlst du dich nach dieser Wahl?

Ich bin glücklich und freue mich sehr, dass mir die europäischen Eisenbahnmitarbeitenden erneut ihr Vertrauen geschenkt haben. Es macht mich stolz, mich für diese grosse Eisenbahnfamilie einsetzen zu dürfen. Ohne die Gewerkschaften wäre die Welt eine andere! Mit diesem Mandat trage ich deshalb eine grosse Verantwortung. Auch der SEV-Vorstand hat mir dafür einstimmig seine Unterstützung zugesprochen – das ist für mich ein wahrer Vertrauensbeweis.

Wie beurteilst du deine erste Amtszeit seit der Wahl 2017?

Insgesamt ziehe ich eine positive Bilanz, auch wenn noch viele weitere Herausforderungen auf uns zukommen. Bei meiner Wahl damals habe ich angekündigt, dass ich mich nur zur Wiederwahl stellen werde, wenn es uns gelingt, den sozialen Dialog wiederzubeleben und für die Parteien verbindliche Resultate zu verhandeln, sogenannte «binding agreements». Die Unterzeichnung des Abkommens «Women in Rail» mit der Arbeitgebervereinigung der europäischen Bahnen hat meine Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllt. Es enthält verbindliche Massnahmen zur Förderung von Frauen in der Branche.

Das war sicher nicht leicht …

Nein, aber zum Glück konnte ich auf ein sehr gutes Team zählen, sowie auf ein sehr gut funktionierendes ETF-Sekretariat. Die Ausgangslage hat aber auch mitgeholfen. In der Eisenbahnbranche sind weitreichende Veränderungen nötig, die zum Beispiel auch durch die demografische Entwicklung hervorgerufen werden: Die Babyboomer-Generation geht in den Ruhestand. Die Eisenbahnunternehmen brauchen folglich neue, gut ausgebildete junge Menschen, insbesondere auch Frauen. Auch die Arbeitgeber hatten also ein grosses Interesse an einem Abschluss. Hinzu kommt die grosse Herausforderung des Klimawandels. Die Eisenbahn ist Teil der Lösung des Klimaproblems. Das sind grosse Chancen für die Eisenbahn, für die man kämpfen muss, auch um zu den nötigen Investitionen zu kommen.

2021 war das europäische Jahr der Schiene. Das ist ein schönes Wort, doch sind wir heute einen Schritt weiter?

Ursprünglich war das Jahr der Schiene nicht viel mehr als eine PR-Aktion der EU und der Arbeitgeber. Doch für die ETF war es von Anfang an vielmehr das Jahr der Eisenbahner:innen. Wir haben darauf aufmerksam gemacht, was für die Mitarbeitenden schlecht und somit zu verbessern ist. Diese Idee hat sich durchgesetzt, auch mit dem Connecting Europe Express, der durch ganz Europa gereist ist und daran erinnert hat, wie wichtig die Eisenbahnmitarbeitenden sind, um die Mobilität auch in Zukunft zu garantieren. Dabei kamen aktuelle Probleme wie Sozial- und Lohndumping sowie Ausbildungsungleichheit zur Sprache. Nun endet das Jahr mit dieser Vereinbarung «Women in Rail», die einen Beitrag leistet, damit die Eisenbahnberufe wieder attraktiver werden.

Was sind für dich und die ETF-Eisenbahnsektion die grössten Herausforderungen in den nächsten fünf Jahren?

Wir werden in der Logik der ersten Amtszeit weiterfahren und uns gegen die Liberalisierung der Branche wehren, indem wir politisch versuchen den Spiess umzudrehen und die Eisenbahn als Service public auf einer kooperativen Basis zu positionieren. D. h. weg vom Wettbewerb hin zur Kooperation. Die Gewerkschaften müssen sich noch stärker dafür einsetzen, überall in Europa für einen starken Service public. Es braucht wieder mehr und nicht weniger Personal auf den Bahnhöfen und in den Zügen, für die Sicherheit der Passagiere und der Mitarbeitenden. Der Kampf gegen das Dumping muss dazu führen, dass die Bahn für die kommenden Generationen attraktiver wird. Die Einführung eines Fahrtenschreibers würde z. B. erlauben, die tatsächlichen Arbeitszeiten besser zu kontrollieren und so Dumping zu bekämpfen.

Ist die Digitalisierung auch ein Thema?

Ja. Wir werden darauf achten, dass die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung unter Einbezug der Kolleginnen und Kollegen erfolgt, also mit und nicht gegen die Mitarbeitenden. Der Zugang zur nötigen Weiterbildung muss garantiert sein, um Stellenverluste zu vermeiden bzw. Arbeitsplätze zu erhalten. Wir müssen den sozialen Dialog weiterführen und ausbauen, um die Arbeitsbedingungen der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zu verbessern und um bereits getroffene Vereinbarungen umzusetzen und einzuhalten.

Yves Sancey
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