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Interview mit Sabine Trier

Women in Rail: «Das Wichtigste ist, dass es ein verpflichtendes Abkommen ist»

Sabine Trier bei der Abkommensunterzeichnung am 5. November in Brüssel – zusammen mit Giorgio Tuti, der als Präsident der Bahnsektion der ETF deren Verhandlungsdelegation leitete.

Am 5. November haben in Brüssel die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) und die Gemeinschaft europäischer Bahnen (CER) das Sozialpartner-Abkommen «Women in Rail» unterzeichnet. Dieses soll die Arbeits- und Anstellungsbedingungen der Frauen bei allen Bahnen Europas verbessern und diese als Arbeitgeberinnen für Frauen attraktiver machen. Interview mit Sabine Trier, Mitglied der Verhandlungsdelegation der ETF zusammen mit Giorgio Tuti (siehe Editorial unten im Kasten).

SEV-Zeitung: Sabine, wie hast du die fast dreijährigen Verhandlungen erlebt?

Sabine Trier, stellvertretende Generalsekretärin der ETF und Leiterin der Abteilungen Politik und Gleichstellung: Ganz wichtig, dies waren europäische Verhandlungen, was eine grosse Herausforderung ist, weil dabei Verhandlungspartner:innen von unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichem Verhandlungsstil zusammenkommen. Ausserdem haben wir in fünf Sprachen mit Simultanübersetzungen gearbeitet. Da gibt es natürlich immer grossen Spielraum für Missverständnisse. Dann kam Covid, und wir mussten lernen, Verhandlungen virtuell zu führen. Aber ich denke, dass unsere Gewerkschaftsdelegation, die aus neun Frauen und einem Mann bestand, sehr professionell war. Wir haben es gut geschafft, uns inhaltlich zu einigen und auch in schwierigen Momenten, wo Entscheidungen nötig waren, rasch mit einer Stimme zu sprechen. Da hatte die Arbeitgeberseite mehr Schwierigkeiten. Bei der ETF sind wir mächtig stolz, dass wir unter solch schwierigen Bedingungen wieder ein europäisches Abkommen verhandelt haben.

Wie war das Verhältnis zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite?

Uns hat sehr geholfen, dass beide Seiten im europäischen Jahr der Schiene unbedingt ein Abkommen erreichen und etwas für die Frauen tun wollten. Das war positiv. Schwierig war, dass es verschiedene Bereiche gab, wo das Mindestmandat unserer Gewerkschaftsdelegation zu scheitern drohte. Dieses bestand darin, dass wir in jedem der acht «politischen Bereiche», die wir definiert haben, mindestens eine verpflichtende Massnahme erreichen mussten, und da standen wir tatsächlich kurz vor dem Scheitern. Doch der Wille, zu einem Abschluss zu kommen, hat die Arbeitgeberseite dann doch noch bewegt.

Was sind die wichtigsten Massnahmen des Abkommens?

Am wichtigsten ist, dass es ein verpflichtendes Abkommen ist. Es gibt also Massnahmen, die die Arbeitgeber umsetzen müssen. Wir haben inhaltlich acht «politische Bereiche» definiert, die relevant sind, und für jeden dieser Bereiche bindende Massnahmen festgelegt. Deren Spektrum reicht von allgemeinen Politiken bis zu ganz konkreten Fragen wie der Vertretung der Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten. Sehr weitgefasst ist die Verpflichtung der Unternehmen, eine Gleichstellungsstrategie und Massnahmen einzuführen in einem Top-down-Approach, hinter den sich auch das Topmanagement stellen muss. Ganz konkret ist die Verpflichtung der Unternehmen, für Frauen Arbeits- und Arbeitsschutzkleider zur Verfügung zu stellen, die wirklich für Frauen sind und nicht nur kleine Grössen. Die Arbeitsplatzbewertung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz muss auch aus einer Frauenperspektive durchgeführt werden. Die Unternehmen müssen wirklich Lohntransparenz schaffen und dürfen bei Gehaltserhöhungen oder Boni keine Gender-Stereotypen-Elemente einfliessen lassen. Oder sie müssen die neuen Berufsbilder, die jetzt im Zuge der Digitalisierung im Eisenbahnsektor entstehen, von Anfang an so formulieren, dass sie geschlechtsneutral sind, und alte Berufsbilder anpassen.

Gibt es Massnahmen, die aus ETF-Sicht im Abkommen fehlen?

Es gibt Punkte, in denen wir noch nicht so weit gekommen sind, wie aus gewerkschaftlicher Sicht nötig. Doch wir haben vereinbart, dass wir uns nach zwei Jahren wieder zusammensetzen und in diesen Bereichen nochmals nachverhandeln. Dazu gehören die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und die Lohngleichheit. Auch hätten wir gerne konkrete Quoten verpflichtend festgeschrieben, zum Beispiel einen Zielkorridor, wie viele Frauen Lokführerinnen sein sollen, oder in anderen Berufen, die nicht frauenspezifisch sind. Diese Punkte möchten wir dann nochmals angehen.

Wie wird das Abkommen umgesetzt?

Dies ist in erster Linie die Aufgabe der Unternehmen und der CER. Im Abkommen steht aber, dass die Umsetzung in einem Sozialdialog auf Unternehmensebene stattfinden und uns Gewerkschaften einbeziehen muss. Wir müssen also auf Unternehmensebene aktiv werden. Das Abkommen ist in alle 23 EU-Sprachen übersetzt worden. Dass es in der eigenen Sprache zur Verfügung steht, ist für die Gewerkschaften und ihre Mitglieder ein wichtiges Instrument. Das gilt auch für den umfassenden Anhang mit Definitionen und Beschreibungen von allgemeinen Gleichstellungskonzepten, die bei der korrekten Umsetzung helfen sollen.

Markus Fischer
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Videointerview mit Sabine Trier, Stv. Generalsekretärin der ETF:

Videointerview mit Giorgio Tuti:

Editorial von Giorgio Tuti, Präsident SEV

Ohne Frauen keine Bahn

Die beiden Dachverbände der Bahngewerkschaften und Bahnunternehmen in Europa, die ETF und die CER, haben am 5. November das Sozialpartnerabkommen «Women in Rail» unterzeichnet. Die Verhandlungen haben fast drei Jahre gedauert und waren nicht einfach. Das «europäische Jahr der Schiene» hat die Einigung begünstigt, denn auch die CER wollte in diesem Jahr im so genannten «europäischen sozialen Dialog im Sektor Bahn» einen Erfolg verbuchen – 15 Jahre nach dem letzten Abkommen zwischen CER und ETF zum grenzüberschreitenden Einsatz von Bahnpersonal.

Ziel des Abkommens ist, die Arbeits- und Anstellungsbedingungen für Frauen bei den Bahnen im Sinne der Gleichstellung zu verbessern und damit die Bahnen als Arbeitgeberinnen für die Frauen attraktiver zu machen. Das liegt im Interesse der Bahnen, weil sie künftig auf mehr weibliche Arbeitskräfte dringend angewiesen sein werden. Allein schon deshalb, weil von den jetzigen Bahnangestellten in Europa bis 2035 rund 40 % in Pension gehen werden. Zurzeit sind von ihnen nur etwa ein Fünftel Frauen, wobei es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Bahnen gibt. In der Schweiz liegt der Frauenanteil zum Beispiel bei der SBB noch immer leicht tiefer, obwohl er in den letzten Jahren dank gezielter Massnahmen kontinuierlich gestiegen ist.

Auch wird die Bahn als klimafreundliches Transportmittel künftig hoffentlich mehr Güter und Passagiere befördern. Damit steigt der Personalbedarf bei der Kundenbegleitung und im Kundenservice generell, beim Lokpersonal, bei der Reinigung, in den Werkstätten, beim Gleisunterhalt usw.

Das Abkommen enthält eine Vielzahl verbindlicher Massnahmen und Empfehlungen. Im Fokus stehen faire Löhne, keine Benachteiligung bei Beförderung und Karriere, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz dank frauengerechter Infrastrukturen, Arbeitsmittel und -kleider, Prävention gegen sexuelle Belästigung, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, usw.

Die Massnahmen gelten seit dem 5. November. Die CER und die ETF müssen die Umsetzung fördern und kontrollieren. Zwei Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens müssen sie der EU-Kommission zur Umsetzung Bericht erstatten. Weiter haben sie vereinbart, das Abkommen nach zwei Jahren aufgrund der damit gemachten Erfahrungen weiterzuentwickeln.