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Women in Rail: Sozialpartner-Vereinbarung auf EU-Ebene

Die ETF-Delegation beim Start der Women-in-Rail-Verhandlungen im Oktober 2019 mit Giorgio Tuti als Delegationsleiter. Seitdem sind Jedde Hollewijn (ETF) und Maria Rathgeb (vida) neu zur Delegation gestossen.

Seit bald zwei Jahren verhandelt die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF) mit der Gemeinschaft der europäischen Bahnen und Infrastrukturgesellschaften (CER) über verbindliche Massnahmen, um bei den europäischen Bahnen die Arbeitsbedingungen für Frauen attraktiver zu machen. Denn beim europäischen Bahnpersonal ist der Frauenanteil mit total ca. 21 Prozent immer noch sehr tief. Nun ist am 30. Juni eine Einigung zustande gekommen.

An den Verhandlungen war SEV-Präsident Giorgio Tuti als Präsident der Sektion Eisenbahn der ETF massgeblich beteiligt. Interview.

SEV-Zeitung: Warum haben die ETF und die CER im Oktober 2019 mit Verhandlungen über eine Women-in-Rail-Vereinbarung begonnen? Worum geht es dabei?

Giorgio Tuti: Es geht darum, bei den Bahnen die Arbeits- und Anstellungsbedingungen für die Frauen nachhaltig zu verbessern und zu attraktivieren, damit mehr Frauen in die Eisenbahnunternehmen eintreten. Darauf werden die Bahnen in den nächsten Jahren auch dringend angewiesen sein, weil viele Eisenbahner der Babyboomer-Generation in Pension gehen werden. Zugleich wird der Personalbedarf der Bahnen wachsen, weil sie als klimafreundliches Verkehrsmittel hoffentlich mehr Passagiere und Güter befördern werden und deshalb vor allem das Personal mit Kundenkontakt aufstocken müssen. Gemäss der neusten gesamteuropäischen Erhebung * waren 2018 von insgesamt rund 1,5 Millionen Bahnbeschäftigten in Europa gerade mal 21 Prozent Frauen, und ihr Anteil ist in den letzten Jahren höchstens um 1,1 Prozent pro Jahr gestiegen. Bei diesem Tempo würde es noch Jahrzehnte dauern, bis Frauen im System Eisenbahn adäquat vertreten sind. Das führt uns dramatisch vor Augen, wie wichtig eine verbindliche Sozialpartnervereinbarung ist, in der sich Bahnen zu Verbesserungen zugunsten der Frauen im Sinne der Gleichbehandlung verpflichten.

Welche Massnahmen sieht die Vereinbarung vor?

Dazu gehören Zielvorgaben für die Rekrutierung von mehr Frauen. Andere Massnahmen betreffen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im Fokus stehen auch die Beförderungen und die Laufbahnentwicklung, die Lohngleichheit, der Gesundheitsschutz, die Sicherheit am Arbeitsplatz sowie die Bekämpfung von sexueller Belästigung und Sexismus. Wir Gewerkschaften werden ein Auge darauf haben, ob diese Massnahmen auch entsprechend umgesetzt werden.

Die Vereinbarung vom 30. Juni ist erst «provisorisch», wie die Medienmitteilung von ETF und CER präzisiert. Was heisst das?

Wir Sozialpartner sind uns grundsätzlich einig geworden, müssen aber den Wortlaut der Vereinbarung noch verfeinern. Auch müssen die Leitungsgremien der CER und der ETF die Vereinbarung noch genehmigen. Voraussichtlich wird die Generalversammlung der CER am 20. September darüber abstimmen, und die ETF-Sektion Eisenbahn im Oktober. Danach könnte im November in Brüssel die feierliche Unterzeichnung stattfinden.

Wie hast du die Women-in-RailVerhandlungen erlebt?

Verhandlungen sind Verhandlungen. Auch in Europa sind sie nicht einfacher als in der Schweiz. Sie sind durch die Mehrsprachigkeit und durch die verschiedenen Sensibilitäten und Kulturen der jeweiligen beteiligten Personen sogar noch komplizierter. Gegen den Schluss der Verhandlungen wurde es noch hektisch, und der Ton verschärfte sich zum Teil, aber auch das gehört dazu. Schliesslich geht es ja auch um viel: nämlich um ein Resultat, das in der ganzen Eisenbahnbranche in Europa gelten wird. Es ist völlig normal, dass dabei die Nervosität steigt. Um das vorliegende Resultat sind wir aber alle froh.

* Laut dem Women-in-Rail-Report 2019 von ETF und CER hatte Schwedens Bahn 2018 mit 40,0 % den höchsten Frauenanteil, vor Litauen mit 37,2 % und der Slowakei mit 35,8 %. Die Schweiz lag mit 17,5 % (bei SBB und SBB Cargo) beispielsweise hinter Deutschland (DB Group) mit 24,5 % oder hinter Frankreich (SNCF) mit 20,5 %, aber vor Österreich (ÖBB) mit 12,8 %.

Markus Fischer
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