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Giorgio Tuti antwortet

Bilanz des Jahrs der Schiene: «Die Bahn braucht den sozialen Dialog»

Höhepunkt des Jahrs der Schiene war aus gewerkschaftlicher Sicht die Unterzeichnung des Women-in-Rail-Abkommens am 5. November 2021.

Das europäische Jahr der Schiene ist am 21. Februar mit einer Feier im Rahmen des «europäischen Bahngipfels» in Frankreich offiziell zu Ende gegangen. Welche Bilanz zieht Giorgio Tuti als Präsident der Eisenbahnsektion der ETF?

Giorgio Tuti: Hauptziel des Year of Rail war, Politik und Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass die Eisenbahn beim Klimaproblem Teil der Lösung ist und darum gefördert werden muss. Trotz Einschränkungen wegen Covid-19 ist dies nicht schlecht gelungen. Dazu beigetragen haben die Bahngewerkschaften und ihr Dachverband ETF mit eigenen Anlässen und Aktionen. Dabei haben wir betont, dass nicht nur in Rollmaterial und Infrastruktur investiert werden muss, sondern auch ins Bahnpersonal. Ohne das Personal kann keine Bahn funktionieren und es soll mit anständigen Löhnen und guten Arbeitsbedingungen belohnt werden.

Giorgio Tuti bei der Unterzeichnung des Abkommens Women in Rail.

Wir haben auch aufgezeigt, dass wegen der Pensionierung der Babyboomer-Generation Personalmangel droht, den die Bahnen nur mit mehr weiblichem Personal abwenden können. Um die Bahnen als Arbeitgeber für Frauen attraktiver zu machen, hat ihr Dachverband CER mit der ETF im November das Abkommen Women in Rail unterzeichnet. Dabei half das Year of Rail mit, weil auch die Arbeitgeber etwas Konkretes erreichen wollten. Zur Umsetzung des Abkommens läuft nun ein Projekt, das die EU finanziert.

Das Beispiel zeigt, dass die Bahn einen gut funktionierenden sozialen Dialog auf allen Ebenen braucht. Nun befassen sich ETF und CER mit Themen wie z. B. der Überarbeitung der Lokführerdirektive TDD, mit den Kontrollen der Arbeits- und Ruhezeiten und mit der Revision der Public Service Obligation (Regeln zur Vergabe von Bahnlinien).

Giorgio Tuti ist Präsident des SEV.
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Die Gewerkschaften im Jahr der Schiene

Die Europäische Union hatte 2021 zum «Jahr der Schiene» erklärt. Damit wollte sie Werbung machen für die Eisenbahn als nachhaltiges Verkehrsmittel, um ihre Klimaschutzziele zu erreichen und Bahnprojekte voranzubringen. Für die Gewerkschaften war es das «Jahr der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner»: Sie erinnerten in diesem Jahr an die entscheidende Rolle des Personals für diesen nachhaltigen Verkehrsträger, der beim Klimaproblem Teil der Lösung ist.

Leider ging in den ersten EU-Erklärungen zum Europäischen Jahr der Schiene das Bahnpersonal vergessen, obwohl keine Bahn ohne Arbeiterinnen und Arbeiter verschiedenster Berufe funktionieren kann – Automation hin oder her. Denn sogar beim noch seltenen vollautomatischen Betrieb einzelner Untergrund- oder Standseilbahnen braucht es immer noch mindestens Reinigungs-, Unterhalts-, Überwachungs-, Billettstichkontroll- und Interventionspersonal für Notfälle.

Umso klarer stellte die Europäische Transportarbeiter-Föderation (ETF), die als Dachverband die Bahngewerkschaften aller europäischen Länder und ihre Mitglieder in Brüssel vertritt, das Bahnpersonal in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten zum Jahr der Schiene.

Im Zuge von Liberalisierung, Privatisierung, Auslagerungen, Ausschreibungen und sonstigem Wettbewerb, wie sie in den letzten 20 Jahren durch die Eisenbahnpakete der EU gefördert wurden, hat das Sozialdumping bei vielen europäischen Bahnen zugenommen, wenn dieses auch weniger bekannt ist als jenes im Strassenverkehr. Die Schichtarbeit rund um die Uhr und die harte Arbeit draussen bei jedem Wetter werden oft nicht angemessen entschädigt, sodass es nicht verwundert, dass viele Bahnen Mühe haben, die in Pension gehenden Babyboomer durch Junge zu ersetzen, sofern sie dafür überhaupt die nötigen Mittel haben.

Veranstaltungen von ETF und SEV

Zu diesen und weiteren Problemen des Bahnpersonals führten die ETF und die ihr angeschlossenen Bahngewerkschaften, darunter auch der SEV in der Schweiz, im Jahr der Schiene Veranstaltungen und Aktionen durch, z.B. bei der Ankunft des Connecting Europe Express in den einzelnen Ländern. Hier einige Beispiele und offizielle Events:

5.11.2021: Europäische Vereinbarung Women in Rail (WiR) unterzeichnet – Gemeinsame Medienmitteilung: SEV und SBB setzen sich für die Gleichstellung im Bahnsektor ein: https://sev-online.ch/de/medien/medienmitteilung/cff/sbb-und-sev-setzen-sich-zur-foerderung-der-gleichstellung-von-frauen-im-bahnsektor-ein/

27.10.2021: Medienmitteilung der ETF zum Jahr der Schiene mit einem Überblick über die Aktionen der Eisenbahngewerkschaften in einzelnen Ländern: https://www.etf-europe.org/etf-affiliates-united-across-europe-to-claim-a-european-year-of-railway-workers/

27.09.2021, Empfang des Connecting Europe Express in der Schweiz durch den SEV: Video mit Statement von Giorgio Tuti, Präsident des SEV und Präsident der ETF-Sektion Eisenbahn, in Bern nach der Mitfahrt im CEE:

16.09.2021, 13:30 bis ca. 17:30 Uhr, Diskussionsveranstaltung (mit Live-Streaming) der deutschen Bahngewerkschaft EVG zum Thema "Das Europäische Jahr der Schiene und die Bundestagswahl: Wie kann ein sozial-ökologischer Neustart der Verkehrspolitik gelingen?" Eingeladen ist auch SEV-Präsident Giorgio Tuti neben den Chefs der Bahn-Schwestergewerkschaften in Österreich (Vida) und Luxemburg (FNCTTFEL/Landesverband).
> Livestreaming-Aufnahme unter https://youtu.be/8xtsP7nXKKc (oder unter www.evg-online.org)
> Einladung mit mehr Infos zum Inhalt und den Redner/innen (klicken)

29.06.2021, 9:30 bis 11:00 Uhr: Online-Veranstaltung "Bahn frei für Frauen? – Hebel zur Erhöhung des Frauenanteils im Eisenbahnsektor, konkret am Beispiel Österreichs", organisiert von der österreichischen Gewerkschaft Vida und der AK Wien, Abteilung Umwelt und Verkehr. Mit Giorgio Tuti, Präsident SEV. Programm (als PDF): 9.30 Begrüssung; 9.40 Input-Referate von Giorgio Tuti und Sandra Gott-Karlbauer, Geschäftsführerin ÖBB-Technische Services GmbH; 10:00 Podiumsdiskussion: Welche Hebel gibt es, konkret am Beispiel Österreichs, um mehr Frauen in Eisenbahnverkehrsunternehmen zu gewinnen und zu halten?
Zusammenfassung (hier klicken).

29.03.2021, digitale Kickoff-Veranstaltung der EU zum Year of Rail (auf Englisch): Mit diesem fast vierstündigen Live-Streaming lancierte die EU offiziell das Europäische Jahr der Schiene: https://www.youtube.com/watch?v=lYw5WvME7GI&list=WL&index=5&t=790s (Achtung: Sendung beginnt erst ab 19’41’’, vorher sieht man nur ein Standbild). Diskussionsteilnehmer war auch SEV-Präsident Giorgio Tuti, als Präsident der Sektion Eisenbahn der ETF -> mehr dazu hier.

24.02.2021, etf-talks (auf Französisch): Was bedeutet das Europäische Jahr der Schiene für die Bähnler/innen? Es diskutieren Karima Delli, Vorsitzende des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN) des Europäischen Parlaments, und Giorgio Tuti, Präsident der Sektion Eisenbahn der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) und Präsident SEV. Moderation: Sabine Trier, stellvertretende ETF-Generalsekretärin. > https://m.youtube.com/watch?v=oXb1UlVnaUI&feature=youtu.be

Webseiten, diverse Artikel, Audios, Videos

Webseite European Year of Rail (https://europa.eu/year-of-rail/index_de)

20.02.2021, Sendung «International» von Radio SRF 1 (auf Deutsch): Im Nachtzug nach Brüssel: EU-Verkehrspolitik ohne Fahrplanhttps://www.srf.ch/play/radio/redirect/detail/8206622a-c4dd-45cd-86e3-0c1396c81785 

15.02.2021, ETF: Plus de 70 postes de cheminots en jeu – L’Année européenne du rail démarre mal en Belgique (englisch/franz.) > https://www.etf-europe.org/over-70-railway-workers-positions-at-stake-european-year-of-rail-off-to-a-bad-start-in-belgium/​