Der Fachbereich Bildung beim SGB

«Bildung ermöglicht die Weiterbeschäftigung»

Eben hat Laura Perret Ducommun die Nachfolge von Véronique Polito angetreten als für die Bildung und die Jugendpolitik zuständige Zentralsekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Was ist ihre Aufgabe? Die Verteidigung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bereich der Bildungspolitik. Die 39-jährige Doktorin der Informatik schaut schon auf eine langjährige Berufserfahrung zurück. Sie erklärt uns ihre Ziele an der neuen Stelle und gibt einen Überblick über die aktuellen Dossiers der Bildungspolitik.

Laura Perret Ducommun schafft trotz zahlreicher Aktivitäten den Spagat zwischen Politik, Arbeit und Familie.

kontakt.sev: Du hast kürzlich deinen Posten beim SGB angetreten. Welche Dossiers liegen auf deinem Pult?

Laura Perret Ducommun: Gegenwärtig wird das Bundesgesetz über die Weiterbildung (WebIG) umgesetzt, zu dem der Bundesrat die dazugehörige Verordnung verabschiedet hat. Gesetz und Verordnung treten 2017 in Kraft. Dies betrifft die Förderung der Weiterbildung in der Schweiz. Dazu kommt die Botschaft zu Bildung, Forschung und Innovation für die Periode von 2017 bis 2020. Dafür hat der Bundesrat 26 Milliarden bewilligt. Der Nationalrat wird sich in der Sommersession damit beschäftigen, der Ständerat in der Herbstsession.

Findet der SGB diesen Betrag ausreichend?

Nein, ganz und gar nicht. Er wurde um 555 Millionen gekürzt, das macht rund 20 Prozent der Einsparungen des «Stabilisierungsprogramms» des Bundes aus. Der Bundesrat hat die Prioritäten festgeschrieben, aber die Mittel reichen dafür nicht aus. Das Risiko besteht, dass die verschiedenen Bereiche (etwa Hochschulen und Berufsbildung) ihre jeweiligen Eigeninteressen verteidigen, obschon es notwendig wäre, sich gemeinsam für einen höheren Betrag einzusetzen. Das Geld reicht für die vorgesehenen Prioritäten nicht aus, das passt nicht zusammen.

Gibt es weitere hängige Dossiers?

Ja, die Folgen des 9. Februar 2014 (Masseneinwanderungsinitiative). Unser Ziel ist es, wieder am Programm Horizon 2020 beteiligt zu werden. Mit der kürzlich erfolgten Unterzeichnung des Abkommens über die Erweiterung des freien Personenverkehrs auf Kroatien hat die Schweiz grosse Chancen, wieder voll am europäischen Forschungsprogramm Horizon 2020 beteiligt zu werden (zu dem die Schweizer Forscher und Forscherinnen bis Ende 2016 nur einen partiellen Zugang haben), ebenso wie auch am Student/innen-Austauschprogramm Erasmus+. Es handelt sich dabei um ein sehr wichtiges Thema.

Die Bildung erstreckt sich von der obligatorischen Schule über den Sekundar- und Tertiärbereich bis zur Weiterbildung. Befasst du dich auch mit Dossiers, die beispielsweise die Primarschule betreffen?

In der Romandie wurde der «grosse Brocken» Harmos bereinigt und eingeführt. In der deutschen Schweiz müssen sich noch mehrere Kantonsparlamente zum «Lehrplan 21» äussern. Diese Vereinheitlichung der Schullaufbahnen würde die Erreichung eines postobligatorischen Abschlusses (EFZ, Fach- oder gymnasiale Maturität usw.) erleichtern. Gegenwärtig erreichen 95 Prozent der 16- bis 25-Jährigen einen solchen oder einen höheren Abschluss. Damit ist das vor einigen Jahren von den Sozialpartnern vereinbarte Ziel erreicht worden, aber jetzt muss diese Marke gehalten werden. In der Schweiz gibt es immer noch rund 600 000 Erwachsene ohne Abschluss auf diesem Niveau. Es sind diese Arbeitnehmenden, die es bei Entlassungen als erste trifft. Und sie haben auch die grössten Schwierigkeiten bei der Suche nach einer neuen Arbeit.

Ist der SGB auch für Tagesschulen, die die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienleben erleichtern?

Selbstverständlich! Wir befürworten alle Massnahmen, die die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie fördern und die Chancen der Frauen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Wir sind auf diesem Gebiet aber nicht sehr aktiv, da das Angebot vor allem von Seiten der Kantone und Gemeinden kommen muss.

Womit beschäftigst du dich konkret in der täglichen Arbeit?

Ich bin Mitglied einiger eidgenössischer Kommissionen, in denen ich die Interessen der Arbeitnehmenden im Bereich der Bildung vertrete. Ich begleite auch Projekte wie die Förderung der höheren Berufsbildung. Innerhalb des SGB nehme ich auch Informations- und Koordinationsaufgaben wahr. Ich bin Mitglied von Kommissionen, in denen die verschiedenen Gewerkschaften Einsitz haben und arbeite so mit den Bildungsverantwortlichen dieser Gewerkschaften zusammen – die manchmal auch unterschiedliche Erwartungen haben. Auch Antworten auf eidgenössische Vernehmlassungen gehören zu meinem Aufgabenbereich.

Sicher gehört auch Lobbyarbeit dazu?

Genau! Ich diskutiere oft mit eidgenössischen Parlamentarier/innen und Berufsverbänden, um einen Konsens und gemeinsame Lösungen zu finden. Bei der oben angesprochenen Botschaft zu Bildung, Forschung und Innovation ist es das Ziel, eine möglichst gute Gesamtlösung zu erreichen, also den Betrag von 26 Milliarden zu erhöhen, aber auch das Wachstum der BFI-Förderung zu steigern, das der Bundesrat auf 2 Prozent fixieren will, nachdem es zwischen 2008 und 2012 noch bei 6,3 Prozent gelegen hatte.

Welche Themen gehen dir in der neuen Arbeit besonders zu Herzen?

Sicher ist die FRI-Botschaft der «grosse Brocken» dieses Jahres, denn dieses Dossier hat Auswirkungen auf die vier kommenden Jahre. Es tritt aber auch das Weiterbildungsgesetz in Kraft, das Auswirkungen auf die Finanzierung des gewerkschaftlichen Bildungsinstituts Movendo haben wird.
Auch die Fachkräfteinitiative ist in meinen Augen wichtig. Es geht darum, sich auf diejenigen Bereiche auszurichten, wo es an Fachkräften mangelt, wie den Gesundheitsbereich oder die technischen Berufe (Mathematik, Informatik usw.). Auch das Gesetz über die Berufe im Gesundheitswesen wird noch dieses Jahr vors Parlament kommen. Es ist wichtig, wenn man an den Mangel an Fachleuten in diesem Bereich denkt.

Deine Laufbahn scheint eher atypisch zu sein, du bist ja ursprünglich promovierte Informatikerin.

Ich habe mich von der universitären Welt abgewandt, weil die Forschung in der Informatik sich meiner Meinung nach zu wenig mit der Gesellschaft befasste. Mir schien, dass die Forschungsresultate den Bürger/innen keinen konkreten Mehrwert mehr brachten. Das fehlte mir. Ich habe deshalb angefangen, an der Einführung der neuen Technologien an den Schulen des Kantons Neuenburg zu arbeiten.
Anschliessend habe ich an verschiedenen Schulen (Fachhochschulen, Wirtschaftsschulen, Universität) während zehn Jahren Informatik unterrichtet. Ich habe mich also recht schnell der Bildung zugewandt.

Man bildet sich doch inskünftig während seines ganzen Lebens, nicht wahr?

Ja, früher hatten die Arbeitnehmenden lineare Karrieren. Heute gibt es etliche, die fünf oder sechs Mal den Beruf wechseln. Manche Berufe verschwinden, andere entstehen neu. Ziel ist es, dass alle die Kompetenzen erwerben können, die es ihnen erlauben, sich in ihrem Bereich und darüber hinaus entwickeln zu können. Bildung gewährleistet das Bewahren einer gewissen Beschäftigungsmöglichkeit, die die Integration in der Arbeitswelt erleichtert.

Gewerkschaften setzen sich manchmal vergeblich für den Erhalt von Arbeitsplätzen ein, weil ein ganzer Beruf verschwindet.

Es ist die Aufgabe des Arbeitgebers, diese Entwicklung vorauszusehen und das Personal entsprechend zu schulen. Der Arbeitgeber muss es ermöglichen, neue, andere Kompetenzen zu entwickeln, die es dem Personal ermöglichen, sich im Unternehmen eine neue Perspektive zu erarbeiten. Das Recht auf Weiterbildung ist zentral und es muss in den GAV verankert werden.

Wie bist du zur Gewerkschaft gekommen?

Schon während des Studiums war ich während sieben Jahren in der Unipolitik aktiv. Ich habe eine Art «studentischen Syndikalismus» praktiziert. 2004 bin ich in die Sozialdemokratische Partei eingetreten, da sie am besten zu meinen Überzeugungen passt. Schon seit 2000 bin ich beim VPOD organisiert. Als sich die Gelegenheit ergab, meine beiden Vorlieben, die Bildung und die Gewerkschaftsarbeit, zu verbinden, habe ich zugegriffen. So bin ich Bildungsverantwortliche des SGB geworden.

Interview: Henriette Schaffter / pan.

BIO

Laura Perret Ducommun wohnt in Savagnier im neuenburgischen Val de Ruz. Die 39-Jährige ist verheiratet und Mutter zweier Kinder von vier und zweieinhalb Jahren.

Geboren wurde sie in Rumänien und kam 1985 im Alter von acht Jahren mit ihren Eltern in den Kanton Neuenburg. Nur wenige Tage nach ihrer Ankunft in der Schweiz besuchte sie hier erstmals die Schule – ohne ein Wort französisch zu können! Denkt sie zurück an Rumänien, erinnert sie sich an sehr kalte Winter, wo alle im gleichen Raum schlafen mussten, um sich gegenseitig zu wärmen, und an leere Läden (während des Kommunismus).

Nach einem längeren Studium und dem Doktorat in Informatik an der Universität Neuenburg wandte sie sich der Bildung und Lehre zu.

Seit Februar 2016 arbeitet sie mit einem 80 %-Pensum als Zentralsekretärin des SGB. Vorher war sie von 2011 bis 2016 Geschäftsführerin beim SEFRI, dem neuenburgischen Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation.

Im Jahr 2000, als sie als Assistentin arbeitete, trat sie dem VPOD bei, 2004 der Sozialdemokratischen Partei. Zwei Legislaturperioden gehörte sie dem grossen Gemeinderat ihrer damaligen Wohngemeinde Rochefort an. Ebenfalls zwei Legislaturperioden gehörte sie dem Neuenburger Kantonalparlament an und kandidierte letzten Herbst für den Nationalrat.