SEV präsentiert Gegengutachten zur Branchenüblichkeit im Güterverkehr
Schweizer Löhne auf Schweizer Schienen
Der SEV schickt dem UVEK ein Gutachten, das klarer nicht sein könnte: Firmen in der Schweiz müssen ihren Lokführern Löhne zahlen, die in der Schweiz branchenüblich sind – egal ob sie nur im Inland oder auch über die Grenzen hinweg unterwegs sind.
Blankes Entsetzen war die Reaktion bei den Betroffenen, als das Bundesamt für Verkehr Mitte Januar eine «Analyse» präsentierte zur Frage, wie die Branchenüblichkeit im Schienen-güterverkehr zu interpretieren sei. Das an sich renommierte Büro Ecoplan und der Jurist Kurt Moll waren darin zum Schluss gekommen, dass es nicht eine einzige Branche Schienengüterverkehr gebe in der Schweiz, sondern, dass zwischen reinem Inlandverkehr und grenzüberschreitendem Verkehr zu unterscheiden sei. Mit der Folge, dass im grenzüberschreitenden Verkehr tiefere Löhne zulässig wären, weil die Branchenüblichkeit dort auch durch die ausländischen Bahnen mitdefiniert würde.
Schnellbremsung eingeleitet
Der SEV wurde sofort aktiv und kündigte dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation an, dass er die Rechtslage selbst ebenfalls prüfen lassen werde. Immerhin bestand die Gefahr, dass das BAV aus Übereifer umgehend eine Richtlinie erlassen würde, in der es unterschiedliche Löhne als branchenüblich festlegen würde. Das zumindest konnte durch die schnelle Reaktion verhindert werden: Ende Februar meldete das Departement, dass allfällige Eingaben zum Thema bis Ende März einzureichen seien.
Gegengutachten ist deutlich
Dies hat der SEV nun gemacht: Er hat dem Departement ein Rechtsgutachten der beiden Zürcher Juristen Marco Donatsch, Richter am Verwaltungsgericht, und Stefan Schürer, Lehrbeauftragter an der Universität geschickt. Dieses kommt zu einem klaren Schluss: Der Artikel zur Branchenüblichkeit im Eisenbahngesetz «ist unterschiedslos auf alle EVU, die eine Netzzugangsbewilligung nach Schweizer Recht beantragen, anzuwenden.» Und die Juristen stellen gleich noch klar: «Die Arbeitsbedingungen der Branche, wozu namentlich die Löhne gehören, bestimmen sich aufgrund der Verhältnisse bei den schweizerischen EVU.»
Lohnschutz statt Liberalisierung
Donatsch/Schürer widersprechen damit deutlich und frontal der Schlussfolgerung, die die Gutachter des BAV gezogen hatten. Diese hatten allerdings auch klargemacht, unter welchen Voraussetzungen sie gearbeitet hatten: «Der Gesetzgeber hat die Zielsetzungen der Liberalisierung und Marktöffnung im Schienengüterverkehr sowie der Stärkung des Schienengüterverkehrs gegenüber dem Strassengüterverkehr in den Vordergrund gestellt.» Anders ausgedrückt: Beim BAV steht nicht der Schutz der Schweizer Arbeitskräfte vor Sozialdumping im Vordergrund, sondern die Liberalisierung des Güterverkehrs.
Diese Interpretation der da-maligen Diskussionen in den Kommissionen von National- und Ständerat hält allerdings einer vertieften Prüfung nicht stand. Für Donatsch/Schürer ist zweifelsfrei zu erkennen, dass es damals dem Parlament um den Schutz des einheimischen Arbeitsmarkts gegangen war.
Keine Unterscheidung gewollt
Weiter stellen sie fest, dass der Gesetzestext und die Diskussionen im Parlament keinen einzigen Anhaltspunkt ergäben, dass eine Unterscheidung in mehrere Branchen gewollt wäre: «Eine Differenzierung zwischen den im Binnenverkehr tätigen EVU und solchen, die Leistungen im grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr anbieten, ist nicht zulässig. Auch der Branchenbegriff ist gemäss Gesetzeswortlaut ein einheitlicher: Die einzelnen Auslegungselemente liefern keinen Hinweis darauf, dass für den grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr eine andere Branche als Referenzgrösse massgeblich sein soll als für die binnenorientierten EVU.» Und schliesslich: «Eine rein wirtschaftliche Betrachtung rechtfertigt keine Umdeutung von Art. 8d Abs. 1 lit. d EBG. Die Annahme, dass der Bund eine Regelung schaffen wollte, welche Angestellte von schweizerischen EVU je nach territorialem Einsatzbereich für dieselbe Tätigkeit einem unterschiedlichen Branchenlohn unterstellen würde, findet im Gesetz keine Stütze.»
SBB und BLS mit im Zug
Das Entsetzen ob der Haltung des Bundesamts für Verkehr packte im übrigen nicht nur den SEV, sondern auch die beiden grossen Schweizer Güterbahnen SBB Cargo und BLS Cargo. Auch für sie ist der Schienengüterverkehr eine Branche, die nicht unterteilt werden kann und auch nicht unterteilt werden soll. Entsprechend haben auch sie sich beim UVEK gemeldet und sich klar gegen die Aufteilung der Branche ausgesprochen.
Peter Moor
Die Gutachten im Vergleich
Schlussfolgerungen bei Ecoplan/Moll (Auftraggeber BAV)
«In der schweizerischen Schienengüterverkehrslandschaft sind für die Bestimmung der branchenüblichen Arbeitsbedingungen im Rahmen von Artikel 8d Absatz 1 Buchstabe d EBG zwei voneinander unabhängige Branchen zu unterscheiden:
• EVU, die Traktionsleistungen im Binnenverkehr (Ganzzüge oder Einzelwagenladungsverkehr) anbieten. Die Erbringung solcher Traktionsleistungen steht den ausländischen Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht offen. Für diese Branche sind daher ausschliesslich die Arbeitsbedingungen der Schweizer Konkurrenzunternehmen massgebend.
• EVU, die Traktionsleistungen im grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr anbieten. In diesem Bereich, der sowohl schweizerischen wie auch ausländischen Anbietern mit entsprechender Schweizer Sicherheitsbescheinigung offensteht, definieren sich die Arbeitsbedingungen der Branche nach den in- und ausländischen Eisenbahnverkehrsunternehmen, die entsprechende Dienstleistungen anbieten.»
Schlussfolgerungen bei Donatsch/Schürer (Auftraggeber SEV)
«Eine Norm, die sich ausschliesslich an Schweizer Unternehmen richtet, verweist nicht auf das Lohnniveau in Drittstaaten. Andernfalls würde der Schutzzweck der Norm in sein Gegenteil verkehrt. Art. 8d Abs. 1 lit. d EBG ist aber unzweifelhaft eine Schutznorm gegen Lohndumping.
Gegenteilige Auffassungen finden weder in den Materialen noch im Gesetzeszweck eine Stütze. Es ist deshalb vom klaren Wortlaut von Art. 8d Abs. 1 lit. d EBG auszugehen. Demnach besteht kein gesetzlicher Anknüpfungspunkt, um zwischen EVU, die im Binnenmarkt agieren, und EVU, die im grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr tätig sind, zu unterscheiden. Schweizerische EVU, die (ausschliesslich) im grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr tätig sind, werden durch die Einhaltung der Bewilligungsvoraussetzungen nach Schweizer Recht weder im Sinne des Landesverkehrsabkommens diskriminiert noch in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise ungleich behandelt.
Art. 8d Abs. 1 lit. d EBG ist daher unterschiedslos auf alle EVU, die eine Netzzugangsbewilligung nach Schweizer Recht beantragen, anzuwenden. Die Arbeitsbedingungen der Branche, wozu namentlich die Löhne gehören (vgl. auch Art. 8 NZV), bestimmen sich aufgrund der Verhältnisse bei den schweizerischen EVU.»
Die Meinung von SEV-Präsident Giorgio Tuti
Der SEV hat ein eigenes Rechtsgutachten erstellen lassen, um die Frage zu klären, was denn eigentlich die Branche Schienengüterverkehr ist. Weshalb?
Giorgio Tuti: Das UVEK hatte uns zu einer Information eingeladen und überraschte uns dort mit dieser Studie, die eine Aufteilung der Branche vorsah. Uns war klar, dass wir schnell und professionell antworten mussten. Da gab es nur den Weg über ein Rechtsgutachten, das zeigt, wie falsch die BAV-Studie liegt.
Ist das Gutachten Donatsch/Schürer ein Gefälligkeitsgutachten, das einfach sagt, was der SEV als Auftraggeber will?
Bestimmt nicht, das können sich die Autoren nicht leisten; sie haben einen Ruf zu verteidigen. Dass sie zu dem Schluss kommen, den wir erwartet haben, liegt schlicht und einfach an der Rechtslage, die beim BAV falsch beurteilt wurde.
Wie geht es nun weiter?
Wir haben unser Gutachten fristgerecht dem UVEK und dem BAV eingereicht. Da es eine solch eindeutige Sprache spricht, dürfte es dem BAV nicht möglich sein, aufgrund der eigenen Studie eine Richtlinie zu erlassen. Die SBB hat in ihrer Stellungnahme ans Departement die Meinung geäussert, dass eine solch schwerwiegende Frage zumindest auf Verordnungsstufe wenn nicht gar im Gesetz geregelt werden sollte, aber sicher nicht nur über eine Richtlinie des Bundesamts. Die Diskussion steht damit also wohl erst am Anfang.
Was will der SEV erreichen?
Wir haben die Güterbahnen schon vor einigen Jahren aufgefordert, einen Rahmen-Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen, der genau solche Fragen klären würde. Wir werden die Bahnen sicher erneut auffordern, mit uns an einen Tisch zu sitzen und das Ganze endlich zu regeln. Auf längere Sicht lässt sich nur so eine nachhaltige, absolut klare Situation erreichen.
So unterschiedlich die Gutachten in der Frage der Schweizer Unternehmen sind, so einig sind sie sich, was Unternehmen mit Sitz im Ausland angeht. Da droht spätestens mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels ein grosser Druck auf die Lokführerlöhne.
Das war uns schon länger bekannt. Bisher konnten wir dieses Problem lösen, indem wir mit den grossen Güterbahnen Vereinbarungen abgeschlossen haben, dass sie den Einsatz ausländischer Lokführer in der Schweiz kompensieren mit Fahrten der Schweizer Lokführer ins Ausland. Auf lange Sicht wird zu klären sein, ob eine Regelung wie im Entsendegesetz nötig ist.
Muss das Landverkehrsabkommen mit der EU gekündigt werden?
Da die Schweiz ohnehin mit der EU grundsätzliche Fragen klären muss, wäre es sinnvoll, dieses Thema nach Brüssel mitzunehmen. Einfacher wäre aber wohl eine Einigung im Rahmen des europäischen Sozialen Dialogs zwischen Gewerkschaften und Unternehmen. Denn dieses Problem kennen nicht nur wir in der Schweiz, sondern auch EU-Staaten wie Deutschland und Österreich.
Fragen: pmo