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Bei der «Altersvorsorge 2020» zeichnet sich ein möglicher Kompromiss ab

Höhere AHV-Renten sind das Herzstück der Reform

Erstmals seit 20 Jahren sollen die AHV-Renten wieder erhöht werden. Mit diesem Beschluss hat der Ständerat die Vorschläge des Bundesrats zur Altersvorsorge in einem wichtigen Punkt verbessert.

Der SGB-Präsident nach der dreitägigen Debatte im Ständerat, in der er massgeblich dazu beitrug, die Mitte für die Erhöhung der AHV-Renten zu gewinnen.

Der Ständerat bestätigte bei der Beratung der Reform «Altersvorsorge 2020» die vom Bundesrat vorgeschlagene Senkung des Mindestumwandlungssatzes, womit aus dem Alterskapital die Pensionskassenrenten ermittelt werden, von 6,8 auf 6%. Damit sinken die Pensionskassenrenten im obligatorischen Teil (bis zu 84 600 Franken Jahreslohn als Berechnungsbasis, Stand 2015) um 12 % und werden auch im überobligatorischen Teil negativ beeinflusst.

Ebenfalls bestätigt hat der Rat die Erhöhung des Frauenrentenalters, obwohl tiefere Löhne und mehr Haus- und Betreuungsarbeit die Frauen gegenüber den Männern in der Altersvorsorge weiterhin benachteiligen.

Höhere AHV-Renten versüssen «Kröten»

Diese beiden dicken «Kröten» wird die Mehrheit der Stimmbürger/innen zu Recht nur schlucken, wenn sie weiter auf anständige Renten aus AHV und Pensionskasse zählen können. Darum hat auch die Ratsmitte eingesehen, dass die Renteneinbussen kompensiert werden müssen. Und dass diese Kompensation nicht allein bei den Pensionskassen möglich ist, weil dies vor allem Wenigverdienende und KMU zu stark belasten würde. Höhere AHV-Renten dagegen sind bezahlbar.

Zusammen mit den Linken und Grünen hat daher die Mitte im Ständerat dafür gestimmt, dass neue AHV-Renten für Einzelpersonen um 70 Franken pro Monat erhöht und die Ehepaarrente zusätzlich von 150 auf 155% einer Einzelrente angehoben werden soll, womit die maximale Monatsrente für Ehepaare um 226 Franken steigt. Denn die Verbesserung der AHV-Renten trägt eben auch dazu bei, die Einbussen bei der Pensionskassenrente wegen der Senkung des Mindestumwandlungssatzes zu kompensieren, neben Kompensationsmassnahmen in der 2. Säule selber. Ausserdem kommt die Erhöhung der AHV-Renten den Frauen entgegen, die neu erst mit 65 Jahren pensioniert werden sollen. Finanziert wird sie mit je 0,15% mehr Lohnbeitrag der Arbeitgeber und Arbeitnehmenden.

Zur Finanzierung der Renten der «Baby-Boomer-Generation» wird zudem die Mehrwertsteuer gestaffelt erhöht, sodass ab 2025 insgesamt 1% Mehrwertsteuer mehr in die AHV fliesst.

Nach der Mitte auch vernünftige Rechte überzeugen

Für die Erhöhung der AHV-Renten hat namentlich Paul Rechsteiner, Ständerat SP/SG und Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB, im Ständerat viel Überzeugungsarbeit geleistet. Die politische Mitte des Rats hat nun erkannt, dass die Umwandlungssatz-Senkung nicht nur in der 2. Säule kompensiert werden darf: Um den Neurentner/innen anständige Renten zu sichern, sind höhere AHV-Renten für tiefe und mittlere Einkommen die bessere und günstigere Lösung als die Aufblähung der 2. Säule mittels Abschaffung des Koordinationsabzugs (von heute 24'675 Franken, die vom Jahreslohn abgezogen werden, um den versicherten Lohn zu ermitteln), wie sie der Bundesrat vorschlug.

Doch noch steht die Debatte im Nationalrat bevor – nach den Wahlen. Und wenn bei diesen die rechten Kreise, die scharf auf die AHV-Rentenerhöhung schiessen, im Parlament zulegen, droht eine reine Abbauvorlage und damit einmal mehr der Schiffbruch einer Rentenreform. Denn die neuen Rentner/innen müssen beim jetzigen Kompromiss schon grosse Nachteile in Kauf nehmen, wie Paul Rechsteiner nach der Debatte im Interview betonte.

Paul Rechsteiner: «Dass man neu wieder auf die AHV setzt mit Verbesserungen, ist ein Riesenschritt»

kontakt.sev: Sind die Gewerkschaften bereit, das höhere Frauenrentenalter und den tieferen Umwandlungssatz als grösste Kröten der Vorlage zu schlucken?

Paul Rechsteiner: Die Gewerkschaften sind gegen beides, doch sie werden am Schluss des parlamentarischen Prozesses demokratisch über ein Referendum gegen die «Altersvorsorge 2020» entscheiden. Und über die Parole zur Mehrwertsteuererhöhung, die ja obligatorisch vors Volk kommt.

Du hast der Vorlage im Ständerat aber zugestimmt?

Für mich ist unter dem Strich ausschlaggebend gewesen, dass wir alle Verschlechterungen für die bisherigen Rentner/innen abwehren konnten. Der Bundesrat wollte ja den Teuerungsausgleich verschlechtern und einen teilweisen Rückzug des Bundes aus der AHV-Finanzierung: Das ist jetzt weg. Und die AHV ist bis 2030 finanziert mit dieser Vorlage. Grosse Nachteile für die Neurentner/innen sind das höhere Frauenrentenalter und der tiefere Umwandlungssatz. Doch das wird für die meisten Neurentner/innen in der beruflichen Vorsorge kompensiert. Dazu kommt die Verbesserung der AHV-Renten. Damit habe ich der Vorlage als Kompromiss zustimmen können.

Du hast in der Debatte gesagt, die Erhöhung der AHV-Renten sei das Herzstück der Vorlage. Warum?

Weil sie entscheidend dafür ist, dass die Vorlage den Leuten bei der Abdeckung durch Renten über alles gesehen Vorteile bringt, neben den erwähnten Nachteilen. Das wäre in den letzten 15 Jahren undenkbar gewesen. Die AHV wurde schlecht gemacht. Dass man neu wieder auf die AHV setzt mit Verbesserungen, ist ein Riesenschritt. Dass jetzt mal der Ständerat dieses Tabu gebrochen hat, ist uns Gewerkschaften und unserer Initiative «AHV plus» zu verdanken.

Ist angesichts der Probleme in der 2. Säule eine Stärkung der AHV auch grundsätzlich eine gute Sache?

Ja, aber sie ist sowieso wichtig, denn die AHV ist für die meisten Menschen mit unteren und mittleren Einkommen nach wie vor die Hauptsäule der Altersvorsorge. Sie bietet für alle Einkommen bis 150000 Franken ein extrem gutes Verhältnis zwischen den Beitragsfranken und der Rente, die man dafür bekommt. Die Pensionskassenrenten verteidigen wir im Rahmen des Möglichen, doch Verbesserungen sind dort auf absehbare Zeit schwierig.

Markus Fischer

Kommentare

  • Ott Werner

    Ott Werner 17/03/2017 20:11:02

    Ich habe eine Frage zur AHV-Rente. Die Erhöhung der AHV-Rente kriegen doch nur Neurentner.
    Wenn also die Ehepaar-Rente von Faktor 1.5 auf 1.55 erhöht wird kriegen also nur Neurentner mehr und die Andern nichts, richtig? Die Fr. 226 beziehen sich auf Neurentner.
    Wir alten Rentner sind also Menschen zweiter Klasse? Warum, wir haben doch auch für unsere Väter und Mütter bezahlt, welche praktisch keine Beiträge geleistet haben??
    Ich finde diese Regelung eine absolute Ungerechtigkeit und für die reiche Schweiz beschämend... und dafür soll ich ja stimmen?
    Werner Ott