Angriff auf die Renten
Warum Frankreich am 7. März still stand?
Angesichts einer Regierung, die eine von der Bevölkerung grossmehrheitlich abgelehnte Rentenreform durchsetzen will, riefen die Gewerkschaften zu einer Verschärfung des Widerstands ab dem 7. März auf. Der Arbeitswelt steht ein entscheidender Kampf bevor.
Schrittweise Heraufsetzung des Rentenalters von 62 auf 64 bis im Jahr 2030, Verlängerung der Beitragszeiten von 42 auf 43 Jahre bis 2027 und Abschaffung der Sonderregelungen für künftige Angestellte, insbesondere bei der RATP. Das sind die wesentlichsten Massnahmen der von Präsident Macron ins Auge gefassten Renten-«Reform», deren hauptsächliche Opfer die Arbeiter, die prekär Beschäftigten und in erster Linie die Frauen sind. Warum diese «Reform»? Soll ein gefährdetes System gerettet werden? Da diese Begründung der Analyse nicht standhält, ist sie von der Regierung geändert worden. Sie will dabei allerdings nicht offenlegen, dass dieser Angriff ein Geschenk an die Unternehmungen und ihre Aktionäre ist: mittels der Abschaffung der französischen Mehrwertsteuer für Unternehmen CVAE. Hinter diesem buchhalterischen Ziel steckt die Verschiebung von jährlich 8 Milliarden Euro von den Arbeitnehmenden zu den Firmenbesitzenden, die der drastische Rentenabbau finanzieren soll.
In der Zwischenzeit nimmt der Gesetzesentwurf rasch Form an. Am 17. Februar um Mitternacht schloss die Nationalversammlung eine zweiwöchige Debatte über die Rentenreform ab – ohne Schlussabstimmung und ohne Diskussion des berühmten Artikels 7, der die Anhebung des Rentenalters auf 64 beinhaltet. Denn die Regierung entschied, die Debatte auf zwei Wochen zu begrenzen. Am 28. Februar stimmte der Senatsausschuss dem sehr umstrittenen Entwurf zu. Mehrere Änderungsanträge wurden dabei genehmigt, vor allem zugunsten von Müttern und der Beschäftigung von Senior:innen.
Wichtige Gewerkschaften
«Es ist eine Tatsache, dass in diesem Kampf die Gewerkschaften trumpfen.» Wie die Tageszeitung Libération am 17. Februar unterstrich, wird der wahre Match nicht in den Reihen der Nationalversammlung ausgetragen, sondern auf der Strasse und an den Arbeitsplätzen. Die Intersyndicale, die die wichtigsten Gewerkschaften des Landes umfasst und von den studentischen Gewerkschaften unterstützt wird, hat seit dem 19. Januar mehrere Mobilisierungstage organisiert, die massenhaften Zuspruch fanden. Am fünften und letzten Tag versammelten sich im ganzen Land 1,3 Millionen Demonstrierende – nach Aussagen der Gewerkschaften eine leicht rückläufige Zahl, denn fünf Tage zuvor waren 2,5 Millionen Menschen auf die Strasse gegangen. «Abgesehen von den Zahlen lässt sich feststellen, dass sowohl in den kleinen als auch in den grossen Städten alle Altersgruppen vertreten waren», schreibt die Wochenzeitung «Politis», «Junge wie Pensionierte, solche die oft demonstrieren wie auch Personen, die noch nie auf die Strasse gegangen sind.»
Aufruf zur Verschärfung
Angesichts einer Regierung, die ein besonders unpopuläres Reformprojekt um jeden Preis durchpeitschen will, haben die Gewerkschaften entschieden, das Kräfteverhältnis zu verschärfen, zumal laut Umfragen 90 % der arbeitenden Bevölkerung die Reform ablehnen! Die Intersyndicale rief für den 7. März (nach Redaktionsschluss dieser Zeitung) dazu auf, «die Bewegung zu verschärfen und Frankreich in allen Bereichen zum Stillstand zu bringen, auch durch tägliche Arbeitsniederlegungen.» Bereits sind in mehreren Branchen, namentlich in den Raffinerien und im Transportsektor länger dauernde Streiks angekündigt worden, was eine Verhärtung des Konflikts erahnen lässt. So rufen sämtliche Gewerkschaften der SNCF ab diesem Datum zu einem längeren Streik auf.
Zusammenhang mit dem 8. März
Wie die Tageszeitung «Le Monde» vom 20. Februar feststellte, zeigt sich die Reform von Emmanuel Macron und Elisabeth Borne «besonders hart für Frauen, vor allem für jene, die früh angefangen haben zu arbeiten, und sehr viel schlechter als angekündigt für jene, die nur kleine Renten erhalten.» Gleichzeitig lässt der Gesetzestext die Härte der Arbeit in vielen Bereichen unberücksichtigt – im Baugewerbe, der privaten Müllabfuhr, im Grosshandel, in der Pflege etc., also dort, wo ein grosser Teil der Beschäftigten die Arbeit frühzeitig aufgeben muss, weil sie ausgebrannt sind. Die Anhebung des Rentenalters wird auch zur Folge haben, dass die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verstärkt wird. Vor diesem Hintergrund haben die Gewerkschaften beschlossen, den 8. März, den internationalen Kampftag für die Rechte der Frauen, zum Anlass zu nehmen, «um die grosse soziale Ungerechtigkeit dieser Rentenreform gegenüber den Frauen zu unterstreichen und anzuprangern». Tags darauf werden dann die Jugendorganisationen zur Mobilisierung aufrufen.
Endlich auf die neoliberale Offensive reagieren
Werde am 7. März das Kräfteverhältnis erfolgreich gestärkt, sei dies «die Gelegenheit, endlich mit denselben Begriffen auf eine neoliberale Offensive zu antworten, die von Eliten, die eine kontinuierliche, systematische, entschlossene und transformative Klassenpolitik vertreten, bewusst geführt wird», so die Journalisten Fabien Escalona und Romaric Godin von «Mediapart». Ein Sieg der französischen Arbeitnehmenden im Rentenkampf wäre auch eine starke Inspiration für die andern gewerkschaftlichen Kämpfe, die sich seit dem letzten Herbst in ganz Europa ausbreiten.
Yves Sancey
mit VPOD-Magazin 3/23
Kommentare
Escher 09/03/2023 16:15:14
En quoi le SEV est 'il mandaté pour donner son avis sur une mesure politique étrangère ?