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Daniela Lehmann zur Mobilität 4.0

«Digitalisierung ist nicht per se gut oder schlecht»

Der SEV-Vorstand hat am 18. März den Entwurf für das Positionspapier Digitalisierung für den Kongress im Oktober behandelt. Die Federführung für die Erarbeitung des Papiers liegt bei Daniela Lehmann. Wir sprachen mit ihr über das Papier und ihre Aufgaben als Koordinatorin Mobilität 4.0 im SEV.

Das Tablet oder Handy ist heute für viele ein unverzichtbares Arbeitsmittel. Bild: Serviceanlage Biel, © SBB / Beat Schweizer.

Was ist die Digitalisierung und wie wirkt sie sich auf das Verkehrspersonal aus?

Daniela Lehmann: Die Digitalisierung ist die vierte industrielle Revolution. Nachdem die dritte Revolution die Automatisierung der Produktion gebracht hat, kommunizieren und kooperieren Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte in der Industrie 4.0 direkt miteinander. Sie betrifft die Mitarbeitenden von Verkehrsbetrieben in sehr vielen Bereichen. So können beispielsweise Reinigungsmitarbeitende via Tablet Anweisungen erhalten und somit auch eng überwacht werden, ebenso das Fahrpersonal, was das ganze Fahrverhalten betrifft. Darum ist mit den Arbeitgeber:innen auszuhandeln, welche Daten sie erheben und zum Beispiel für die Personalbeurteilung verwenden dürfen. Die Digitalisierung an sich ist nicht gut oder schlecht. Als Gewerkschaft beurteilen wir sie an den konkreten Umsetzungen. Diese können zum Wohl der Mitarbeitenden ausfallen oder aber den reinen Profit in den Vordergrund stellen. Eine weitere Frage ist, welche Anwendungen wirklich nützlich und lohnend sind. So konnte man vor einiger Zeit lesen, dass Projekte wie Smartrail 4.0 das Lokpersonal bald überflüssig machen könnten. Inzwischen weiss man, dass autonomes Fahren wegen der Komplexität unseres Bahnnetzes nicht so einfach ist und dass Menschen im Führerstand noch lange nötig sein werden.

Wozu dient das Positionspapier Digitalisierung? Und wie weit ist die Version 2022 schon gediehen, die an die Papiere von 2017 und 2019 anknüpft?

Das Positionspapier gibt die Leitplanken vor, wie der SEV Digitalisierungsmassnahmen beurteilen und beeinflussen will – auch im Rahmen von GAV-Verhandlungen –, und was unsere grundsätzlichen Forderungen punkto Digitalisierung sind. Am 18. März fand im Vorstand die erste Lesung des Papieres statt. Dort wurde unter anderem zu unserer Forderung nach Befähigung der Mitarbeitenden zum Mithalten mit der digitalen Entwicklung eine Ergänzung eingebracht: Wenn man E-Learning zur Weiterbildung anbietet, muss man die Mitarbeitenden auch befähigen, mit E-Learning-Programmen umgehen zu können. Im Juni ist im Vorstand eine zweite Lesung geplant. Am 27. Oktober wird dann der Kongress das Papier verabschieden.

Was ist im Positionspapier 2022 neu gegenüber jenem von 2019?

Die wichtigste Neuerung ist sicher die Forderung nach einer Branchenlösung. Die Idee ist, dass die Verkehrsunternehmen gemeinsam Geld in einen Fonds einzahlen, um damit Lösungen für Mitarbeitende zu finanzieren, die beispielsweise Mühe haben, mit dem digitalen Wandel Schritt zu halten. Ein solcher gemeinsamer Fonds ermöglicht Lösungen auch bei kleinen Unternehmen, die dies allein nicht stemmen könnten. Angesichts der demografischen Herausforderungen für die Verkehrsunternehmen ist es auch in ihrem Interesse, dass möglichst viele Mitarbeitende dank umfassender Bildungsmassnahmen im eigenen Betrieb oder in der Branche weiterarbeiten können.

Klarer als bisher wird die überbordende Informationsflut angesprochen, welche die Arbeitgeber ihrem Personal über alle möglichen Kanäle zumuten. Diese Flut müssen sie nach dem Motto «Weniger ist mehr» reduzieren und ihren Mitarbeitenden in der Freizeit ein Recht auf Nichterreichbarkeit zugestehen.

Neu ist zudem ein eigener Abschnitt zum Homeoffice, mit dem wir in der Pandemie Erfahrungen sammeln konnten. Homeoffice-Lösungen müssen die Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigen und die Gesetzgebung zur Arbeit einhalten. So gilt es Überwachungsexzessen ebenso vorzubeugen wie der Vermischung von Privat- und Berufsleben und anderen psychosozialen Risiken.

Du bist seit 2017 Koordinatorin Mobilität 4.0. im SEV. Was tust du in dieser Funktion?

Nachdem der Kongress 2017 das erste Positionspapier Digitalisierung genehmigt hatte, wurde mein Pensum für diese Koordinationsaufgaben um 20 Prozent aufgestockt. Der grösste Teil davon fliesst im Moment ins Projekt Coaching-Netzwerk, das über den Digitalisierungsfonds der SBB finanziert wird. Ich gehe auch regelmässig an Versammlungen von Sektionen und Unterverbänden, um mit unseren Mitgliedern über Digitalisierungsfragen zu diskutieren. Diese Inputs helfen uns vom SEV-Team Digitalisierung, das Positionspapier Digitalisierung weiterzuentwickeln. Das Team Digitalisierung bespricht monatlich aktuelle Fragen, Projekte und Vernehmlassungen. Eine solche läuft jetzt gerade zum Bundesgesetz über die Mobilitätsdaten-Infrastruktur. Dabei geht es um den Aufbau einer verlässlichen nationalen Dateninfrastruktur im Mobilitätsbereich, die zuverlässige Informationen zu allen relevanten Aspekten der Mobilität sammelt, bereitstellt und allen involvierten Parteien frei von kommerziellen Interessen zugänglich macht. Es ist dies ein wesentliches Element des Aufbaus eines digitalen Service public im Mobilitätsbereich, das aus unserer Sicht zwingend nur der Staat bereitstellen soll bzw. die vorgeschlagene neu zu schaffende Mobilitätsdatenanstalt (MDA).

Selbstverständlich nehme ich das ganze Jahr über gerne Anregungen und Hinweise zu Digitalisierungsthemen entgegen.

Markus Fischer
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