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Auf den Spuren von…

Sélim Taboubi: ein Eisenbahner mit zwei Hüten

Seit 2018 hat der vielseitige Sélim Taboubi abwechslungsweise zwei Berufe bei der SBB in Biel: Lokomotivführer im Personenverkehr und Feuerwehrmann/Fahrzeugführer des Lösch- und Rettungszugs bei Intervention. Und da Solidarität einfach zu ihm gehört, kann es nicht überraschen, dass er SEV-Aktivist im LPV und Kämpfer für den Service public ist.

Ich mache dieses Porträt unter Einhaltung der Abstandsregeln. Sehr gerne hätte ich Sélim Taboubi persönlich vor Ort in Biel getroffen und seine Arbeitsumgebung gesehen. Umso mehr als ich neugierig bin, wie das geht mit den zwei verschiedenen Berufen bei der SBB. Aufgrund der Sicherheitsmassnahmen unterhalten wir uns jedoch am Telefon. Ich klammere mich deshalb an seine Stimme. Eine tiefe Stimme, bedächtig, warm, mit ab und zu kleinen Anzeichen des Akzents aus dem Berner Jura, und ein sympathisches Lachen. Hinzu kommt ein eher zurückhaltendes, aber gleichzeitig grosszügiges Temperament von einem der weiss, was er will – so beschreibt ihn Gewerkschaftssekretär René Zürcher. An diesem Tag hat Sélim frei und beantwortet gerne meine Fragen.

Er wurde vor 29 Jahren in La Chaux-de-Fonds geboren und wuchs in Tramelan im Berner Jura auf, wo er bis Ende der obligatorischen Schulzeit zur Schule ging – «im Mittelfeld, immer mit den gleichen Freunden». Die tunesischen Wurzeln seines Vaters waren nie ein Problem während der Schulzeit. «Unter Kollegen war einem die Herkunft egal», erinnert er sich. Wie kam er zur Berufswahl? «Ich wollte unbedingt eine Lehre machen. Ich sah mich nicht als Student», erläutert er.

Von der Hotellerie zur Bahn –immer unterwegs

Da er keine klare Vorstellung hatte, schnupperte er an vielen Orten, bevor er sich für Restaurantfachmann entschied. Früher hiess das Sommelier: «Mit 16 Jahren aus dem Haus zu gehen, um eine Lehre zu machen, hat mich gezwungen, mich mit mir selber auseinanderzusetzen; ich bin daran gewachsen. Ich habe an dieser Branche die Begegnungen geschätzt und die Möglichkeit zu reisen, in Wintersportorte oder ins Ausland. Ich habe drei Jahre auf dem Beruf gearbeitet, dann habe ich mich bei der Bahn beworben.»

Inzwischen hat er ein ruhiges Zuhause gefunden, wo es ihm gefällt. Und weil für die Ausbildung zum Lokomotivführer kein Lehrabschluss in einem technischen Beruf mehr vorausgesetzt wird, hinderte ihn nichts daran, diese Ausbildung zu machen, die ihn schon früher interessiert hatte. «Die Welt der Züge übt auf mich eine Faszination aus. Es gefällt mir, unterwegs zu sein, mich zu bewegen, die Landschaften zu sehen», erklärt er. Von 2014 bis 2015 macht er deshalb die Grundausbildung beim Personenverkehr in Biel.

Seit 2018 übt er bei der SBB abwechslungsweise einen zweiten Beruf aus. Nach zwei Monaten allein im Führerstand wechselt er für zwei Monate in die Mannschaft des Lösch- und Rettungszugs. Deren Aufgabe ist es, nach ausserordentlichen Vorkommnissen auf dem Netz möglichst schnell einzugreifen und den Betrieb wieder zum Laufen zu bringen. «Wir werden auch bei Personenunfällen aufgeboten. Das ist nicht immer leicht. Aber es ist hilfreich, dass wir immer mehrere vor Ort sind, so wird die emotionale Belastung besser verteilt.»

Solidarität und Unterstützung

«Mir entspricht das Prinzip von Hilfe und Solidarität. Die Einsätze bei vielen verschiedenen Zwischenfällen und die Arbeit mit viel Material sind sehr interessant. Aber ich wollte meine Arbeit beim Personenverkehr nicht aufgeben und auf meine Ausbildung und Erfahrung nicht verzichten. Ich schätze die Vielseitigkeit sehr. Wir sind jeweils zu fünft vor Ort. Die Stimmung ist gut, wir haben unser Lokal mit einem kleinen Fitnessraum. Innert fünf Minuten müssen wir startbereit sein. In dieser Zeit müssen wir uns ausrüsten und aufwachen, den Zug bereitstellen und abfahren. Wir wissen nicht, was uns erwartet, aber das macht den Beruf auch interessant.»

Zur ersten Begegnung mit dem SEV kam es an einem Informationstag der Gewerkschaften während der Ausbildung. «Das Thema Solidarität hat mich immer angesprochen. Der Grundsatz, dass man seine Anliegen besser vertreten und die Arbeitsbedingungen optimieren kann, wenn man organisiert ist, ist offensichtlich. Das ist auch eine Frage des gesunden Menschenverstands! Wenn die Arbeitsbedingungen besser sind, werden auch mehr Leute unsere Berufe wählen.»

Als Anhänger des Service public bekämpft Sélim die Bahnliberalisierung in Europa und die Idee der Rentabilität der Linien: «Ist es gerechtfertigt, dieses fein gewobene europäische Bahnnetz auseinanderzureissen, um eine neoliberale Rentabilität zu erreichen, ohne sich um die Dienstleistungen zu kümmern?», fragt er sich.

Es erstaunt nicht, dass sich Selim mit diesen klaren Vorstellungen seit einem Jahr im Vorstand des LPV Biel engagiert, auch mit dem Ziel der Erneuerung. «Selber dafür einstehen ist auch ein Zeichen der Dankbarkeit für alles, was die Gewerkschaft in der Vergangenheit geleistet hat, wovon wir heute profitieren.» Er findet sich selber wieder in dieser Geschichte der Bahn, mit dem Mut und der Abenteuerlust, und er ist stolz, als Eisenbahner ein Teil davon zu sein.

Sélim nimmt sich auch Zeit zum Lesen, zum Velofahren und zum Musizieren. Und weil er zum Glück auch einen Garten hat, kann er zwischen zwei Spatenstichen über die Rolle nachdenken, die die Bahnen in der Zeit des Klimanotstands zu spielen haben.

Yves Sancey/Übersetzung: Peter Moor
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