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Frauenkongress des SGB am 19./20. Januar 2018 in Bern

«Alles hat seine Stunde» gilt auch für Frauen

Teilzeitarbeit, Prekariat, Diskriminierung im Lohn und in den Sozialversicherungen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gewalt, rückwärtsgewandte Bestrebungen, die die Rückkehr der «Frauen an den Herd» fordern. Hinzu kommen die Herausforderungen der Digitalisierung und ihr Einfluss auf die Frauen. Umschau mit Regula Bühlmann, Zentralsekretärin und Gleichstellungsbeauftragte des SGB.

Der Kongress der Frauen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes steht unter einem Thema, das für Frauen zentral ist: «Unsere Zeit ist mehr wert!» Warum wurde dieses Thema gewählt, und welche andern Verhandlungspunkte wird es noch geben?

An ihrem Kongress nehmen die Gewerkschaftsfrauen jeweils tagespolitische aktuelle Themen auf und positionieren sich, sie diskutieren aber auch längerfristige Perspektiven der gewerkschaftlichen Gleichstellungspolitik. In diesem Spannungsfeld zwischen aktuellen Entwicklungen und Visionen für die Zukunft hat die Frauenkommission für den 13.Frauenkongress den Titel «Unsere Zeit ist mehr wert!» gewählt. Die thematische Verbindung von Zeit und Wert erlaubt einerseits, konkret auf die aktuellen Themen Lohngleichheit, Vereinbarkeit und Verteilung bezahlter und unbezahlter Care-Arbeit, Angriffe auf das Arbeitsgesetz und Prekarität von Frauenarbeit einzugehen. Andererseits bietet sie einen Rahmen, sich mit der alten, aber immer noch nicht umgesetzten Forderung nach einer Verkürzung der Vollarbeitszeit (anstelle der allgegenwärtigen frauenspezifischen Teilzeitfalle) und den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Frauen auseinanderzusetzen. In allen Unterthemen soll jedoch die Verknüpfung der aktuellen Situation mit kurz- bis langfristigen Lösungsansätzen hergestellt werden. So werden sich die Forderungen der Frauen nicht nur auf die notwendige – kurzfristig jedoch nicht umsetzbare – Verkürzung der Vollarbeitszeit konzentrieren. Ebenso wichtig ist die Abwehr der momentan stattfindenden Angriffe auf das Arbeitsgesetz: Denn wenn es nach den Arbeitgebern ginge, würden wir schon lange 50 Stunden pro Woche arbeiten.

Gerade in Verbindung mit den Tieflöhnen stellt die Teilzeitarbeit ein Prekariatsrisiko dar. Doch unter besseren Voraussetzungen könnte ja Teilzeitarbeit auch eine Chance sein. Welche Position haben die SGB-Frauen?

Die SGB-Frauenkommission betrachtet die Teilzeitarbeit tendenziell als notwendiges Übel. In der Schweiz leisten von den 8.7 Milliarden Stunden Care Arbeit, welche gesellschaftlich notwendig ist, aber nicht entlohnt wird, die Frauen nicht weniger als 5.6 Milliarden. Da diese unbezahlte Arbeit meist schlicht nicht verschoben oder delegiert werden kann, behelfen sich Frauen mit Teilzeitarbeit. Diese ist meist keine gute und nachhaltige Lösung, sondern eine Notlösung: Gerade niedrige Teilzeitpensen haben grosse Einbussen beim Lohn und in der Rente zur Folge. Auch Weiterbildungen und Karrieremöglichkeiten bleiben Teilzeit arbeitenden Frauen oft verschlossen. Ich empfehle deshalb niemandem, weniger als 70% zu arbeiten. Wobei mir aber auch ganz wichtig ist, nicht alles in einen Topf zu werfen und zu verteufeln: Es ist ein Unterschied, ob wir von einem 20%- oder einem 80%-Pensum reden. Und gerade letzteres entspricht ja ungefähr der Arbeitszeit, die wir am Frauenkongress als Vollarbeitszeit vorschlagen werden. Dass dies keine Utopie ist, wird unser schwedischer Kongressgast zeigen: Elinor Odeberg ist als Wissenschaftlerin der Gewerkschaft Kommunal involviert bei den Schwedischen Pilotprojekten für kürzere Arbeitszeit und wird uns von ihren Erfahrungen erzählen.

Der Lohn ist ein wichtiger Teil der Arbeitsbedingungen. Aber mit der Lohngleichheit ist es immer noch nicht weit her. Welches sind die nächsten Schritte, die der SGB zu tun gedenkt? Und wie steht es mit der «Subito»-Initiative?

Die SGB-Delegiertenversammlung hat am 3.November beschlossen, die Ressourcen zurzeit auf die parlamentarische Beratung der Revision des Gleichstellungsgesetzes zu fokussieren. Wir engagieren uns in einem breiten Bündnis aus Frauen- und Gleichstellungsorganisationen dafür, dass der Bundesratsvorschlag in der Parlamentsdebatte nicht noch mehr Federn lässt – er ist ja jetzt schon schwach genug. Deshalb hat der SGB konkrete Forderungen ausformuliert, die er als Anträge einbringen wird: Der Bund muss Verantwortung für die Umsetzung der Lohngleichheit übernehmen – diese konkret in den Unternehmen kontrollieren – und Betriebe, die diese nicht einhalten, auch sanktionieren. Ausserdem müssen die Gewerkschaften eine stärkere Position in der Umsetzung haben, als der Bundesrat dies vorsieht.

Für diese Verbesserungen wird der SGB in der Öffentlichkeit und im Parlament kämpfen. Eine starke und geeinte Bewegung von Gewerkschaften und Frauen muss Politik und Medienlandschaft aufrütteln, damit der Lohnskandal nicht weiter gärt, sondern entschieden ausgerottet wird. Die SGB-Delegierten wollen die Kräfte bündeln und nun alles daran setzen, dass diese Verbesserungen in der Gesetzesrevision zum Zuge kommen. Eine Initiative, wie sie die Delegierten im März mit der Subito-Resolution zur Prüfung empfohlen haben, käme zurzeit zu früh. Der SGB wird jedoch bereit sein, wenn die Gesetzesrevision scheitert und eine Initiative nötig wird.

Im Zusammenhang mit den Diskriminierungen, unter denen Frauen leiden, wird uns die Revolution der Digitalisierung, der Industrie 4.0, vor grosse Probleme stellen. Wie bereiten sich die SGB-Frauen darauf vor?

Die SGB-Frauen wollen das Thema aufgreifen, denn sie sehen darin nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen. Damit diese zum Zuge kommen, müssen wir Vorschläge bereithalten, wie Arbeitnehmerinnen von der Veränderung der Erwerbsarbeit profitieren können. So kann beispielsweise die Verkürzung der Vollarbeitszeit eine Antwort auf die Digitalisierung sein. Ganz wichtig ist auch, dass Frauen Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten, um auf neue Situationen vorbereitet zu sein. Und selbstverständlich braucht es gesetzliche Rahmenbedingungen, damit die Digitalisierung allen zugute kommt und nicht nur den Arbeitgebern.

Die Delegierten werden sich am Frauenkongress in einem Atelier mit diesen Fragen auseinandersetzen können. Die Professorin Monika Dommann wird die Herausforderungen historischer und aktueller Veränderungen der Arbeitswelt für die Frauen beleuchten. Gemeinsam identifizieren die Atelierteilnehmerinnen danach, wo die Gewerkschaften aktiv werden müssen und welche Berufsbilder betroffen sind. Der daraus entstehende Massnahmenkatalog wird in die weitere Arbeit der Frauenkommission einfliessen.

Leider kennen viele Frauen Gewalt aus nächster Nähe, Gewalt, die sogar tödlich sein kann. Was können die Gewerkschaften zur Bekämpfung dieser Gewalt und zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen?

Die Gewerkschaften haben sicher eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt. Diese gibt es ja nicht nur zu Hause, sondern auch im Arbeitsleben. Darauf weisen wir immer wieder hin. Die negativen Konsequenzen sexueller Gewalt am Arbeitsplatz sind gravierend – nicht nur für die betroffenen Frauen, sondern auch für die Arbeitgeber und die Wirtschaft. Sexuelle Gewalt ist eines der gewichtigsten und am weitesten verbreiteten Hindernisse auf dem Weg zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen.

Der SGB hat das SECO 2016 in einem Brief aufgefordert, sich für eine ILO-Konvention zu sexueller Gewalt am Arbeitsplatz einzusetzen. Denn zurzeit gibt es keine international gültige Gesetzgebung zur Prävention der vielfältigen Formen von sexueller Gewalt am Arbeitsplatz. Eine ILO-Konvention mit Empfehlung wäre demnach ein starkes Signal, dass Gewalt im Erwerbsleben nichts zu suchen hat. Sie würde den Arbeitnehmenden helfen, ihre Stimme gegen sexuelle Gewalt zu erheben und GAVs zu verhandeln, die das Problem ansprechen. Und sie würde auch Arbeitgeber ermutigen, Massnahmen gegen sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz zu ergreifen.

Man hat das Gefühl, dass unsere Gesellschaft mehr und mehr auf sich selbst zurückgeworfen wird. Konservative, um nicht zu sagen revisionistische Vorstellungen der Rolle der Frau bekommen wieder Aufwind. Da haben die Feminist/innen also noch viel zu tun?

Da bin ich absolut einverstanden: Den Feministinnen wird die Arbeit nicht so schnell ausgehen. Aber wir sollten uns von den konservativen Tendenzen auch nicht zu sehr entmutigen lassen. Auch der Feminismus lebt wieder auf, wie die Women’s Marches und die #MeToo-Debatten in den Social Media zeigen. Es ist etwas im Umbruch, und da ist das konservative Geschrei wohl einfach eine Begleiterscheinung im Kampf der Mächtigen um die eigenen Privilegien.

Haben die Schweiz – und der Rest der Welt – Feministinnen noch nötig?

Natürlich. Und ich würde sagen, es sind nicht nur die Schweiz und die Welt, die Feministinnen brauchen. Es würde auch jedem Menschen gut tun, mit einer guten Portion Feminismus durchs Leben zu gehen. Denn ich bin nach wie vor überzeugt, dass es eine feministische Zukunft in einer gerechteren Welt gibt. Ich hoffe, dass der 13.SGB-Frauenkongress einen Vorgeschmack davon geben wird.

Françoise Gehring/pan.