Die Gleichstellungsbeauftragte des SEV Barbara Amsler geht in Pension
«Die Ungleichheit zeigt sich in kleinen Dingen»
Fünfeinhalb Jahre war Barbara Amsler im SEV für die Chancengleichheit zuständig. Als Höhepunkt ihrer Tätigkeit bezeichnet sie das Frauenstreikjubiläum am 14. Juni 2011, als sich der SEV eigenständig sichtbar machte.
kontakt.sev: Zum letzten Mal begehst du den internationalen Tag der Frau als Berufstätige. Was geht dir da durch den Kopf?
Barbara Amsler: Es ist schade, dass es diesen Tag noch braucht. Es ist aber auch schade, dass der Tag zu einem Aktionstag verkommen ist, der weitgehend institutionalisiert ist. Nur noch wenige machen mit, viele wissen gar nicht mehr, was es ist.
Die Frauenbewegung pflegt ohnehin Rituale; neben dem 8. März auch den Frauenstreiktag am 14. Juni und seit einigen Jahren zudem den Equal Pay Day, der bei uns nahe am 8. März liegt. Braucht es diese Rituale?
Es braucht sie sehr! Wir Frauen haben wenige Symbole, weil unsere Geschichte und Kultur nach wie vor sehr männlich geprägt sind. Das hat ja eben erst das Schweizer Fernsehen wieder gezeigt mit der Sendereihe «Wir Schweizer», wo nur Männer dargestellt wurden.
Was ist der 8. März denn nun eigentlich?
Die Entstehungsgeschichte ist etwas unklar: Es gibt sowohl Herkunftsgeschichten mit Ursprung USA als auch solche aus Russland. Gemeinsam haben sie, dass sie an Streiks erinnern, mit denen Frauen ihre Rechte einforderten. Aber es ist tatsächlich ein Ritual, und es ist gut, solche zu haben.
An diesen Tagen sind aber eigentlich immer die gleichen Frauen zu sehen.
Das stimmt leider; es hat zwar schon auch immer wieder neue Frauen dabei, und aus dem SEV machen auch immer Männer mit, was ich sehr schön finde. Viele sehen aber einfach den Zweck nicht mehr, weil wir nicht mehr ums Frauenstimmrecht oder das Recht auf Abtreibung kämpfen müssen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Es sind jetzt kleinere und nicht auf den ersten Blick sichtbare Ungleichheiten, die nach wie vor bestehen.
Wenn ich in die sozialen Medien schaue, habe ich jedoch den Eindruck, dass die Frauenklischees wieder viel stärker gepflegt werden als in den 80er- und 90er-Jahren.
Zu meinem grossen Bedauern muss ich dir da Recht geben.
Gibt es einen Ansatz dagegen?
Es gibt keine neuen Ansätze. Wir müssen weiterhin sensibilisieren, Bewusstsein wecken, aufzeigen, wo es immer noch hapert mit der Gleichstellung. Wir müssen zeigen, dass traditionelle Rollen nicht frauenfreundlich sind. Aber es passt in die generelle Entwicklung der Gesellschaft, die wieder deutlich konservativer wird.
Du hast im SEV seit Oktober 2008 die Chancengleichheit betreut; was ist der grösste Erfolg in dieser Zeit?
Ich bin froh, dass diese Frage kommt! Der 14. Juni 2011 war sicher der Höhepunkt: Da haben wir vom SEV aus eine gute Präsenz gezeigt, und wir hatten auch einen etwas anderen Auftritt als die andern Gewerkschaften. Insgesamt lässt sich meine Arbeit nicht an einzelnen Erfolgen messen; es sind die kleinen Schritte, die zählen, das ewige Dranbleiben.
Was bleibt dir weiter in Erinnerung?
Wir haben einige Unternehmen in den Lohngleichheitsdialog holen können, die diesen nun auch abschliessen. Wie erwartet sind in der Branche die Unterschiede nicht besonders gross, aber das ist trotzdem ein wichtiger Fortschritt hin zur Lohngleichheit. Zudem waren die Bildungstagungen immer ein grosser Erfolg; sie sind auf grosses Echo gestossen.
Was ist deine persönliche Erinnerung, wenn du den SEV verlässt?
Diese Stelle ist meine letzte, und es war eindeutig meine beste. Der SEV ist ein guter Arbeitgeber, ich habe mich hier sehr wohl gefühlt. Ich erlebte mich recht gut mitgetragen. Es ist ein toller Abschluss meines Erwerbslebens.
Wo hast du mehr erwartet?
Ich hätte mir gewünscht, dass Gleichstellung etwas weniger ein Nischenprodukt ist und dass meine Kolleginnen und Kollegen intern und auch in den Unterverbänden und Organisationen sie stärker mittragen. Ganz allgemein hätte ich gewünscht, dass das Thema mehr in den Alltag einfliesst.
In dieser Funktion wirkst du nach innen und nach aussen; du sprichst sowohl die Organisation SEV als auch die öV-Unternehmen an. Was ist einfacher?
Das lässt sich nicht generell sagen. Es hat innen und aussen Leute, die die Gleichstellung mittragen und andere, die dies nicht tun. Gegen innen war es etwas einfacher, weil ich näher dran war.
Am 9. Februar hat das Volk im Kanton Basel Stadt eine Drittelsquote angenommen für die Verwaltungsräte der staatsnahen Betriebe. Wie deutest du diesen Entscheid, der in der Schweiz einmalig ist?
Basel war schon immer progressiv, auch in Sachen Gleichstellung! Offenbar macht dort das Gleichstellungsbüro gute Arbeit, das Feld scheint gut bearbeitet. Ich erhoffe mir davon eine Signalwirkung.
Das heisst, es braucht immer noch Zwang?
Ja, wir haben es lange ohne Zwang probiert und sind nicht ans Ziel gekommen. Gerade der Lohngleichheitsdialog hat wieder gezeigt, dass Freiwilligkeit nicht zum Erfolg führt. Ich habe schon immer Quoten befürwortet. Viele, die früher dagegen waren, haben inzwischen die Meinung geändert, auch Männer. Die Unternehmen haben es inzwischen übrigens auch erkannt. Sie nennen es zwar nicht Quote, sondern Anteil, aber damit kann ich leben!
Im öffentlichen Verkehr ist in den Führungsgremien nirgends ein Drittel erreicht.
Bei Weitem nicht – übrigens auch im SEV nicht … Ich vermute, dass die SBB in dieser Hinsicht am weitesten fortgeschritten ist. Die Personal- Verantwortlichen haben entsprechende Zielvorgaben, der einzige erfolgversprechende Weg. Wenn man wirklich will, klappt es auch.
Auf was freust du dich mit Blick auf die Pensionierung?
Zuerst auf meine Weltreise – und auf andere Reisen, die ich schon geplant habe. Ich kann mich ja nicht auf viel mehr Zeit freuen, da ich nur 50 Prozent gearbeitet habe. Aber noch freier zu sein, das ja: Ich habe gerne gearbeitet, aber über längere Zeiträume zu verfügen, ist nochmals etwas anderes. Ich kann nun meine Pläne dann verwirklichen, wenn das Wetter dafür passt. Ich werde mich auch weiterhin engagieren, sei es in der Gleichstellung, sei es für die Umwelt oder für die Gewerkschaft. Das alles ist für mich nicht komplett neu, weil ich immer wieder längere Auszeiten genommen habe. Ich bin also gut vorbereitet.
Gibt es einen Ort, den du dir vorgenommen hast: Dort gehe ich hin, wenn ich den Freiraum dafür habe?
Die Weltreise als solche ist schon sehr lang geplant, beispielsweise die Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn. Die Herausforderung der Reise wird aber sein, dass ich die Welt umrunde, ohne je zu fliegen. Später will ich auch Skandinavien und Osteuropa noch besser kennenlernen.
Du planst also eine Umrundung; in 80 Tagen um die Erde?
Nein, eher in 80 Wochen… Ich rechne mit eineinviertel Jahren. Aber ich will auf den zweiten Winter zurück sein, denn ich weiss schon jetzt, dass mir der Winter fehlen wird.
Und was wird dir fehlen, wenn du ans Berufsleben denkst?
Kolleginnen und Kollegen, das berufliche Netzwerk, Orte, auch im übertragenen Sinn, an die ich nachher nicht mehr hinkomme. Die Pensionierung ist für mich aber nicht das grosse Ziel, das ich kaum erwarten kann. Andererseits war der Beruf für mich auch nie allein identitätsstiftend. Aber mir werden sicher Dinge fehlen, und ich werde versuchen, sie bewusst warm zu halten.
Kann es dir langweilig werden?
Kaum. Vielleicht wenn es einen Winter lang nur neblig wäre!
Und dann würdest du verreisen?
Das geht ja dann doch nicht immer spontan. Eher werde ich ins Kino gehen, lesen, Kontakte pflegen – oder meine Wohnung putzen!
Interview: Peter Moor
Info
Barbara Amsler ist seit Oktober 2008 als Gleichstellungsbeauftragte im SEV tätig. Zuvor arbeitete die Soziologin beim Eidgenössischen Personalamt. Sie geht Ende März in Pension.
Ihre Nachfolgerin ist die 41-jährige Lucie Waser, die ebenfalls mit einem 50-Prozent-Pensum beim SEV arbeiten wird. Sie ist Mittelschullehrerin und seit Langem im Gleichstellungsbereich aktiv.