Rückverstaatlichung der Bahnen in Grossbritannien
Make British Railways Great Again
30 Jahre nach der Privatisierung der Bahnen geht die Labour-Regierung von Keir Starmer in Grossbritannien den umgekehrten Weg. Mit dem schrittweisen Aufbau von Great British Railways, einem einzigen staatlichen Unternehmen, unterstützt die Regierung gemäss der Gewerkschaft RMT «deutliche Verbesserungen für die Reisenden, das Bahnpersonal und all jene, die ein Bahnsystem wollen, das leistungsfähig und zum Wohl der Allgemeinheit statt für privaten Profit ist.»
RMT, die grösste englische Verkehrsgewerkschaft, macht in der Januarausgabe ihrer Zeitung ein Wortspiel und bezeichnet die britischen Bahnen als «on track», «auf der Spur» oder «gut unterwegs». Das neue Gesetz über die Bahnleistungen für Passagiere, das im November in Kraft getreten ist, bedeute «einen grundsätzlichen Bruch» mit der Ära der Privatisierung, die die konservative Regierung von John Major vor 31 Jahren eingeleitet hatte. Das Gesetz sieht vor, dass die privaten Betreiber nach dem Auslaufen verschiedener Verträge in einer einzigen Organisation zusammengefasst werden: Great British Railways. Für die englische Lokführergewerkschaft ASLEF ist dies «ein grosser Moment, nicht nur für die Bahnen, sondern für ganz Grossbritannien». Die Bahngewerkschaft TSSA sprach von einem «historischen Moment».
Erste Etappe
South Western Railway, die noch bis zum 25. Mai von First Group und MTR geführt wird, wird das erste Unternehmen sein, das wieder unter staatliche Führung kommt. Die Bahnen in Essex, die unter dem Namen c2c verkehren und zurzeit von der italienischen Trenitalia geführt werden, kommen im Juli dazu. Greater Anglia folgt im Herbst. Mick Lynch, Generalsekretär der Gewerkschaft RMT, bezeichnet dies als «einen klaren Fortschritt für Reisende, Bahnpersonal und alle, die ein Bahnsystem wollen, das leistungsfähig und zum Wohl der Allgemeinheit statt für privaten Profit ist. (…) Es ist der erste Schritt hin zu einem zuverlässigen, erschwinglichen und integrierten Bahnsystem.» Der Zusammenschluss sollte bis Oktober 2027 abgeschlossen sein.
Verheerende Bilanz der Privatisierung
1993 wurde British Rail mit der Privatisierung in rund hundert private Unternehmen aufgestückelt: Netz, Rollmaterial und Güterverkehr wurden separaten privaten Unternehmen übertragen, zudem wurde ein Franchisesystem geschaffen, das den Betrieb der regionalen Eisenbahnlinien auf 25 Gesellschaften aufteilte. Die Privatisierung sollte Wettbewerb, private Investitionen und Innovation anstossen. Aber diese Versprechungen stellten sich in den vergangenen 30 Jahren als falsch heraus, wie RMT betont. «Seit 2006 haben die Betreiber nur 1 % der Investitionen in die Bahnen getätigt, 90 % wurden vom Staat finanziert. Die Kosten für die Infrastruktur sind der grösste Brocken und wurden komplett von der Öffentlichkeit getragen. Statt dem Wettbewerb hat eine Handvoll Monopolisten dominiert, die sich als Betreiber abwechselten.»
Auch die Sicherheit hat unter der Privatisierung gelitten. Das Unterhaltswesen von Railtrack, auf Profit ausgerichtet, führte zu einer Reihe von tödlichen Unfällen in Ladbroke Grove, Hatfield und Potters Bar. Die Untervergabe des Unterhalts, Personalabbau und Kosteneinsparungen brachten die Infrastruktur in einen gefährlichen Zustand und führten die Labour-Regierung 2002 dazu, Railtrack in der Non-Profit-Organisation Network Rail wieder zu verstaatlichen. Das Prinzip der Privatisierung hat die Bahnbetreiber von den Infrastrukturkosten entlastet und ihnen Gewinne ermöglicht, während die Öffentlichkeit die teuren Bereiche des Bahnsystems zahlen musste. Auf diesem Weg haben die Betreiber seit 1996 Gewinne von 3,3 Mia. Pfund eingestrichen, wie RMT vorrechnet.
Volksnahe Reform
Für die Passagiere führte dies zu Preisaufschlägen, die um 50 % über der Inflation lagen. Zudem wurden Angebote zerstückelt, was zu Unzufriedenheit wegen häufiger Verspätungen und Zugsausfälle führte. So ist es nur logisch, dass die Wiederverstaatlichung der Bahnen bei der britischen Bevölkerung gut ankommt: Ende September lag die Unterstützung bei 76 %. Bis Juli muss die Regierung nun eine zweite, wichtigere Vorlage ausarbeiten, in der sie ihre Vorstellungen über die künftige Form einer öffentlichen und integrierten Bahn auf nationaler Ebene aufzeigen wird. Diese Geschichte sollte den Liberalisierungsturbos in Europa zu denken geben.
Yves Sancey