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SEV Frauen

«Die Frauen sichtbar machen – überall!»

Im Rahmen des 40-jährigen Bestehens der SEV-Frauenkommission hat sich die Historikerin und designierte Generalsekretärin des VPOD Schweiz, Rebekka Wyler, auf eine spannende Spurensuche begeben. Sie hat bedeutende Wegbereiterinnen aufgespürt und ihre oft unerzählten Geschichten dokumentiert. Im Interview spricht sie über die Geschichte der SEV-Frauenkommission und die Pionierinnen, die den Weg für Gleichberechtigung im Verkehrssektor geebnet haben. Ihre Ergebnisse wird Rebekka Wyler am 28. November im Rahmen der Bildungstagung der SEV-Frauen vorstellen.

Du hast die Geschichte der Frauen im öffentlichen Verkehr recherchiert und wirst anlässlich der Jubiläumstagung «40 Jahre Frauenkommission» am 28. November in Bern darüber berichten. Was waren aus deiner Sicht die zentralen Meilensteine in der Arbeit der Kommission seit ihrer Gründung 1985?

Die Kommission war in den 1980er-Jahren ja noch keine eigentliche Kommission, sondern nur eine Gruppe – die Frauen mussten sich zuerst beweisen, bevor man(n) ihnen statutarische Weihen verlieh. Die Verankerung in den Statuten Anfang der 1990er-Jahre war ein wichtiger Schritt, ebenso die Vertretungsrechte in anderen Verbandsgremien. Ein wichtiger Meilenstein war auch der Frauenstreik von 1991, wo auch im öffentlichen Verkehr einiges lief – das wegen des Streikverbots dann «Protest» oder «Aktion» hiess. Die 1990er-Jahre waren eine Zeit gesellschaftlicher Veränderungen. Neue Themen kamen auf: Arbeit und Mutterschaft, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Umgang mit Belästigungen und Aggression. Die gewerkschaftlich organisierten Frauen veränderten sowohl in den Betrieben des öffentlichen Verkehrs wie auch im Verband einiges. Und vor allem bestärkten und unterstützten sie sich gegenseitig. Ab 2001 wählten die Frauen im SEV die Kommissionsmitglieder selber (und nicht länger die Unterverbände). Die Arbeit der Kommission entwickelte sich immer weiter, die Mitglieder wechselten und mit ihnen die Schwerpunkte. Über all die Jahre wiesen die Themen der Frauentagung eine grosse Breite auf – vom Umgang mit sexueller Belästigung über Arbeitsklima und Arbeitsbelastung bis zum Sozialstaat.

In deinem Rückblick nimmst du auch konkrete Berufsgruppen in den Blick – von Rottenköchinnen über Bahnwärterinnen und Matrosinnen bis zu Lokführerinnen. Welche dieser Pionierinnen-Geschichten haben dich besonders bewegt oder überrascht, und was erzählen sie uns über die gewerkschaftliche Arbeit im Bereich Frauen und Verkehr?

Was diese Frauen erlebt haben, hat mich immer wieder bewegt. Sie wurden belächelt, nicht ernst genommen, manchmal auch wüst angegangen. Man wollte sie anfangs nicht auf den Stationen und schon gar nicht auf den Lokomotiven oder auf dem Schiff. Jahrzehntelang hiess es, sie müssten sich «beweisen». Sie hatten keine eigenen Garderoben und WCs, manchmal nicht einmal eine passende Uniform. Die Rottenköchinnen haben sich ums körperliche und geistige Wohl der hart arbeitenden Kollegen gekümmert, aber die Teppichetagen haben es ihnen oft nicht gedankt. Sie alle waren (und sind) zäh und erfinderisch, haben sich zusammengetan und Mittel und Wege gefunden, sich eine Existenz zu erarbeiten, Gestaltungsspielräume zu schaffen und vielleicht sogar Träume wahr werden zu lassen.

Die SEV-Frauenkommission versteht sich heute nicht mehr nur als Gremium für Frauen unter Frauen, sondern im Sinne von Vielfalt, Strukturveränderung und Gewerkschaftspolitik. Welche strukturellen Hürden siehst du heute noch im ÖV-Sektor in der Schweiz, und wie lassen sich diese historisch erklären?

Heute sind die Hürden wohl eher gesellschaftlicher Art, und mehr in den Köpfen als auf dem Papier. Früher waren viele Berufe für Frauen gar nicht zugänglich, und die Berufstätigkeit verheirateter Frauen war stark eingeschränkt (Stichwort «Doppelverdiener»). Technische Ausbildungen waren teilweise Bedingung, und es gab mehr körperliche Schwerarbeit. Letztere gibt es zum Teil immer noch – doch das muss Frauen heute nicht mehr abhalten. Es ist sicherlich so, dass die Mitarbeitenden im öffentlichen Verkehr vielfach gut sichtbar und damit exponiert sind. Und man ist oft auch dann unterwegs, wenn sonst fast niemand mehr unterwegs ist. Das kann Frauen (aber auch Männer) davon abhalten, diese Berufe zu ergreifen, wo man leider auch immer wieder mit Aggressionen konfrontiert ist.

Historisch gesehen war Gewerkschaftsarbeit im Verkehrs- und Transportsektor stark männlich geprägt. Wie hat sich die Rolle von Frauen in der Gewerkschaftsarbeit in den letzten Jahrzehnten verändert, und welche Dynamiken siehst du – etwa bei Engagement, Führung oder Teilnahme – gerade heute?

Kurz zusammengefasst hat es heute zwar etwas mehr Frauen, aber es sind immer noch wenige. Die Frauen sind in der Miliz wie auch im «Gewerkschaftsapparat» präsenter geworden – zahlenmässig sowie mit Blick auf Inhalte und Forderungen. Gewisse Anliegen hätten die Verbände vor 40 Jahren wohl kaum aktiv vertreten … Aber die Frauen sind immer noch eine Minderheit und insbesondere in Führungspositionen noch nicht genügend vertreten. Frauen bringen aber viel Engagement mit und neue Themen – alle Gewerkschaften sind gut beraten, das aufzunehmen. Für den SEV wie auch für die Betriebe im öffentlichen Verkehr gilt, was eine Frau 2008 zu Protokoll gegeben hat: «Ich habe festgestellt, dass Frauenthemen kein Thema sind, wenn keine Frauen an den Sitzungen teilnehmen.»

Nach 40 Jahren gibt es nicht nur eine Geschichte – sondern auch eine Zukunftsperspektive. Welche Themen oder strategischen Felder sollten aus deiner Sicht jetzt im Fokus stehen, damit die Frauenkommission auch in Zukunft wirksam bleibt?

Die Frauenkommission braucht es auch die nächsten 40 Jahre! Dabei geht es auch darum, dass die Frauen im SEV mit der Frauenkommission einen Ort haben, wo sie sich austauschen und gemeinsam ihre Anliegen und Forderungen formulieren können. Welches die zentralen Themen sind, werden die Frauen jeder Generation selber festlegen – ich glaube, dass zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gute Arbeitsbedingungen in jeder Hinsicht sowie Gewalt gegen Frauen weiterhin wichtige Themen bleiben werden.

Eva Schmid

40 Jahre Frauenkommission

Seit 40 Jahren hat der SEV eine Frauenkommission. Ein guter Grund, zurückzublicken, Erreichtes zu feiern und den Blick mutig nach vorne zu richten. Seit einem Jahr darf ich die Aktivitäten der Frauenkommission koordinieren. In dieser kurzen Zeit habe ich die Frauenkommission als Gremium schätzen gelernt, in dem die Werte der Gewerkschaftsbewegung mit Enthusiasmus und Engagement gelebt werden: Demokratie, Solidarität und gegenseitige Bestärkung.

Dass es im SEV eine Frauenkommission gibt, verdanken wir in erster Linie einer kleinen Gruppe von Frauen, die sich in den 1980er-Jahren zusammenschlossen. Sie suchten den Austausch mit Kolleg:innen, die in dieser männerdominierten Branche auf die gleichen Hürden stiessen und ähnliche Kämpfe fochten. Diese Pionierinnen organisierten 1985 die erste Frauentagung, formulierten gemeinsame Forderungen und erreichten schliesslich die Verankerung der Frauenkommission in den Statuten.

Das enorme Engagement dieser Pionierinnen inspiriert und prägt die Frauenkommission noch heute. Insbesondere ist sie ein Gremium geblieben, in dem sich Frauen gegenseitig bestärken. In der Frauenkommission wird Politik gemacht und dabei das Vertrauen in die eigenen Kompetenzen gestärkt. Es wird lustvoll diskutiert, Positionen werden geschärft und Argumente mit Leidenschaft vertreten. Kein Wunder haben Mitglieder der Frauenkommission immer wieder leitende Positionen in der Gewerkschaft übernommen oder sogar den Schritt in die nationale Politik gemacht.

Dabei arbeiten Frauen aus verschiedensten Berufen und Unternehmen zusammen. In der Tat sind heute fast alle Unterverbände in der Frauenkommission vertreten. Viele von ihnen engagieren sich auch in ihren Sektionen und Unterverbänden. Dies macht einerseits sichtbar, wie stark sich die Tätigkeitsfelder von Frauen in der Verkehrsbranche seit den Anfängen der Frauenkommission entwickelt haben. Andererseits sind viele der Hürden, welche Frauen vor 40 Jahren beschäftigten, bis heute aktuell. Die Frauenkommission wird sich auch in Zukunft für gute Bedingungen bei Teilzeitarbeit, Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung, respektvolle Arbeitsbeziehungen, sanitäre Anlagen und passende Uniformen einsetzen. Und obschon die Frauenkommission in ihrer Arbeit von den Bedürfnissen von Frauen ausgeht, betreffen diese Themen je länger je mehr nicht nur Frauen, sondern uns alle.

Kommentar von Sibylle Lustenberger, Gleichstellungsbeauftragte SEV