Auf den Spuren von ...
Anthony Rizzo, Chef Kundenbegleitung
Anthony Rizzo, Anfang 30, steht seit Herbst 2020 an der Spitze der Sektion Genf des ZPV. Sein Anliegen ist es, für seinen Beruf und seine Kolleg/innen einzustehen und Lösungen zu finden. Gerne nutzt er etwa TikTok, um das Bild seines Berufs besser darzustellen, bei dem der Kontakt mit den Reisenden im Mittelpunkt steht. Über das Netzwerk SBB QueerNet setzt er sich zudem für ein Arbeitsumfeld ein, wo es keine Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung oder der Geschlechteridentität gibt.
Anthony Rizzo kommt überpünktlich zu unserem Termin. Sein Haarschnitt, sein Bart und seine Uniform sind perfekt gepflegt. «Im Zug gibt man ein Bild der SBB ab. Deshalb achte ich wirklich auf mein Auftreten!», erläutert er.
Wir treffen uns in einem gut besuchten Café beim Bahnhof Cornavin. Wir sprechen über seine italienischen Eltern, seine Schulzeit in Onex und seine Überzeugung, dass sein Beruf etwas mit Menschen zu tun haben werde. «Den ganzen Tag im Büro sitzen wäre nichts für mich.» Er sucht seinen Weg in Italien, wo ein Teil seiner Familie lebt. Per Zufall trifft er im Internet auf eine Anzeige der SBB, die Zugbegleiter sucht. Sogleich realisiert er, dass er für diesen Beruf gemacht ist, bei dem es einerseits darum geht, Kontrollen durchzuführen und Konflikte zu lösen, andererseits aber eben um die Begleitung und Betreuung der Reisenden.
Um den Berufsalltag besser zu verstehen, begleite ich Anthony von Genf bis Palézieux. Eine Stunde, in der ich viel lerne. Gute Beine und etwas Gleichgewicht sind nötig im fahrenden Zug. Es gibt unterschiedliche Situationen zu bewältigen. Eine Person sucht die 1. Klasse. Ein anderer Fahrgast hat sein Abo nicht richtig eingesetzt und zu viel bezahlt. Anthony gibt ihm einen Tipp, wie er eine Rückerstattung erhalten kann. Ein älterer Herr beklagt sich über den Lärm, den fünf junge Passagiere machen, die sich lautstark unterhalten und eine junge Mitreisende vertrieben haben. Anthony greift ruhig ein und entschärft den Konflikt. Der Beruf, der einst Kontrolleur hiess, hat sich über die Jahre stark entwickelt. Der enge Kontakt zu den Reisenden geht weit über die simple Kontrolle der Fahrausweise hinaus und erfordert verschiedene Fähigkeiten, um den Reisekomfort sicherzustellen.
Auf seinem Tablet trägt Anthony ein, wie viele Reisende sich in jedem Abteil befinden. Das ermöglicht auf dem Perron die Anzeige, wie stark die einzelnen Wagen belegt sind. Er schaut auch, wie viele Personen am Bahnhof zum Einsteigen bereit sind, und kann so abschätzen, wie viel zu kontrollieren sind. Er versucht sich die Gesichter zu merken – trotz Maske –, um niemanden zweimal zu kontrollieren. Als Zugchef ist er auch für den Abfahrtsbefehl zuständig; nach einem Blick zu seiner Kollegin hebt er die gelbe Karte und bläst kurz in die Pfeife. Vor der Ankunft in den grossen Bahnhöfen macht er die Durchsagen in mehreren Sprachen.
Wie ist Anthony mit kaum 30 Jahren Sektionspräsident geworden? «Das hat sich mit der Zeit einfach ergeben. Ein Kurs des SEV über das Arbeitszeitgesetz hat mein Interesse geweckt. Ich habe gelernt, die Planungsfehler zu erkennen und, vereinfacht, unsere Rechte zu begreifen. So bin ich tiefer ins Gewerkschaftsleben hineingekommen.» Er interessiert sich zudem für SBB QueerNet, das LGBT-Netzwerk der SBB: «Als ich mal dabei war, hat es mich dazu bewegt, mich für unsere Rechte einzusetzen, und dies dann zwangsläufig auch in der Gewerkschaft.»
Mit der Gründung des ZPV Genf kann sich der SEV noch stärker in der Calvinstadt präsentieren und mehr Nähe zeigen. «So sehen die Kolleginnen und Kollegen täglich SEV-Köpfe, die sie kennen, und diese Präsenz erleichtert die Gespräche über die Arbeit, seien es persönliche oder gemeinsame Anliegen.» Das geht von Fragen der passenden Schlüssel des Personals der Frequenzerhebung im Léman Express bis zur Planung der Schichten und der Dienste. Er findet jedes Mal eine Lösung für die Kolleg/innen.
Während der Corona-bedingten Pausen hat er sich im letzten Jahr mit TikTok beschäftigt, einer Handy-App fürs Teilen von kurzen Filmchen. Mehrere tausend Personen folgen ihm bereits, wenn er – tanzend – seinen Alltag als Kundenbegleiter zeigt. Anfänglich waren seine Vorgesetzten etwas skeptisch. «Im Gespräch mit der Kommunikationsabteilung haben sie gesehen, dass es gut funktioniert und einigen Erfolg hat. Es ist eine spielerische Form, um die Reisenden mit gewissen Themen vertraut zu machen, so etwa, dass sie sich besser auf den Perrons verteilen sollen. Meine Kolleg/innen weise ich auf Gefahren bei der Arbeit hin. Ich habe grünes Licht und kann weitermachen.»
Anthonys Filme sind sehr beliebt und zeigen den Beruf in einer moderneren Form. Etwas zu sehr in den Augen einiger Kollegen, die eher an der Tradition hängen. «Die Kundenbegleitung ist heute nicht mehr das Gleiche wie vor 20 Jahren. Wir sind nicht mehr einfach Kontrolleure. Die Videos ermöglichen einen andern Blick auf unsern Beruf.» Mit Anthony hat der Beruf einen überzeugten Botschafter gefunden. Und der SEV einen engagierten Mitstreiter.
Yves Sancey / Übersetzung: Peter Moor