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Auf den Spuren von ...

Yuri De Biasi, Rangierlokführer

Yuri mit Bart und schwarzer SEV-Mütze: Bis vor einigen Jahren sah man ihn auch von den Perrons des Bahnhofs Chiasso aus regelmässig in Rangierloks durchfahren, Wagen an- und abkuppeln und Kompositionen bereitstellen. Das ist vorbei, da im Personenverkehr fast nicht mehr rangiert wird.

Yuri De Biasi im SBB-Personenbahnhof Chiasso.

«Das Rangieren, wie wir es kannten, ist im Aussterben begriffen. Im Passagierbahnhof Chiasso arbeiten wir heute fast nur noch mit Triebzügen, festen Kompositionen, die wir bereitstellen oder ins Depot verschieben müssen. Im Rangierbahnhof Chiasso gibt es noch ein paar Loks, aber auch hier sind es mit der fortschreitenden Zunahme fester Kompositionen auch im Güterverkehr immer weniger.» Das ist eine radikale Änderung im Vergleich zu der Zeit, als alle Kompositionen im internationalen Verkehr wegen der Spannungsänderung die Lok wechseln mussten. Es war auch normal, Wagen an Züge anzuhängen, von ihnen abzukoppeln oder sie ganz neu zusammenzustellen. «Ein radikaler und viel zu schnell fortschreitender Wandel. Besonders für ältere Menschen ist die Anpassung anstrengend. Die erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse sind immens gestiegen: Früher mussten wir uns z. B. nur mit unseren vier Rangierlokomotiven auskennen, heute ist für jeden elektrischen Zugtyp spezifisches Wissen erforderlich. All dies trägt dazu bei, die körperliche und psychische Belastung zu erhöhen.»

Ich spreche mit Yuri in einem ruhigen Moment im kleinen Büro der Rangierer am Bahnhof. «Die SBB hat sich sehr bemüht; in den letzten Jahren hat sich die Situation bezüglich Richtlinien, Geräten und Prozessen stark verbessert. Doch das allgemeine Stressniveau ist gestiegen; nicht nur, was die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten betrifft, sondern vor allem bezüglich Arbeitstempo. Durch den Versuch, die – exakt gemessenen – Einsatzzeiten zu optimieren, werden diese immer knapper und damit belastender. Bei unserer Arbeit müssen wir ein Höchstmass an Konzentration aufbringen, und ohne ausreichende Erholungszeit steigt das Risiko für Unaufmerksamkeiten.»

Yuri fing schon in sehr jungen Jahren bei der Eisenbahn an. 1982, im Alter von 16 Jahren, begann er eine zweijährige Ausbildung als «Jungarbeiter» bei der SBB, in der die Lehrlinge die Möglichkeit hatten, in den damals meist besetzten Bahnhöfen verschiedenste Servicetätigkeiten zu erlernen und auszuführen: Rangieren, Reinigen, Instandhaltung der Bahnhofsinfrastruktur, Gepäckdienst, Fahrgastbetreuung usw. «Ich war zwei Jahre zuvor aus dem Jura, wo ich geboren wurde, ins Tessin gekommen. Tatsächlich ist meine eigentliche Muttersprache Französisch, ich musste bei meiner Ankunft erst Italienisch lernen, obwohl meine Familie aus Ligurien eingewandert war. Nach Abschluss meiner Ausbildung habe ich sofort als Rangierer bei der SBB angefangen und seit 1989 bin ich Rangierlokführer in Chiasso.» Im Gegensatz zu den meisten Kollegen seiner Generation trat er nicht schon während seiner Ausbildung dem SEV bei. «Ich wurde 1990 SEV-Mitglied: aus Überzeugung und nicht, weil ‹man das so macht›; aus Solidarität und Gemeinschaftsgefühl. Seit 2003 bin ich Präsident der RPV-Sektion Tessin». Eine sehr aktive Sektion, der es nie an Engagement fehlt, wenn es darum geht, SEV-Aktionen zu unterstützen, in der aber auch ein ausgeprägter Sinn für Kollegialität und Zusammenhalt spürbar ist. «Die Sektion bringt Rangierer und Reinigungspersonal zusammen, obwohl dieses teilweise beim TS organisiert ist.»

Yuri ist auch Mitglied der Peko Division Personenverkehr und Präsident der Peko Operations-Cleaning/Rangier. Und er ist Mitglied der GAV-Konferenz: «Die Arbeit, die der SEV leistet, ist enorm und wird immer schwieriger. Zwar haben wir in den letzten Jahren sowohl bei jeder Erneuerung des GAV als auch bei laufenden Projekten in den verschiedenen Bereichen immer wieder etwas verloren. Aber wir müssen das vor dem Hintergrund des stetig wachsenden Drucks der SBB sehen, die mit immer anspruchsvolleren Forderungen daherkommt. Das zwingt uns in die Defensive, und es ist daher schwierig, alles aufrechtzuerhalten. Aber es ist uns gelungen, viel grössere Zugeständnisse zu verhindern, die unvermeidlich gewesen wären, wenn wir nicht die Stärke gehabt hätten, die wir haben und die es uns ermöglicht, Widerstand zu leisten.» Eine grundlegende Tatsache, die den Kolleg/innen manchmal schwer zu erklären ist, denn die ganze Gewerkschaftsarbeit ist nicht immer allen ersichtlich. «Ich hoffe, dass sich mit dem neuen CEO die Haltung der anderen Seite ein bisschen verändert, aber wir können uns sicher nicht zurücklehnen – nicht in Anbetracht der Themen, die im Moment auf dem Tisch liegen, und der allgemeinen Situation, die wir alle gerade erleben.»

Ferruccio Calogero Noto / Übersetzung Jörg Matter
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