Chauffeurmangel: Arbeitsbedingungen erschweren Rekrutierung
Buschauffeur/innen haben es nicht leicht: Wie eine SEV-Umfrage zeigt, werden ihre Arbeitsbedingungen schlechter und belasten die Gesundheit. Die Attraktivität des Berufs sinkt und die Unternehmen haben Mühe, qualifiziertes Personal zu finden. Die Situation ist nicht in jedem Betrieb gleich, trotzdem müssen die Arbeitsbedingungen dringend verbessert werden.
«Unterbesetzung ist ein klares Zeichen, dass es an Buschauffeuren mangelt. Unser Arbeitgeber findet nicht so viele, wie er gerne hätte. Für die Jungen ist es kein attraktiver Beruf: Die Arbeit ist beschwerlich, mit unregelmässigen Arbeitszeiten auch abends und an Wochenenden, langen Dienste und unhöflichen Fahrgäste. Auch für uns alten Hasen wird es kompliziert, aber wir hatten Zeit, uns an die neuen Bedingungen zu gewöhnen», erklärt Gilbert d’Alessandro, seit dreissig Jahren Chauffeur bei den Freiburgischen Transportbetrieben (TPF) und Zentralpräsident des SEV-Unterverbands VPT.
Unregelmässige Arbeitszeiten und Stress
Die Umfrage der SEV-Branche Bus zeichnet ein dunkles Bild: Die Busfahrer/innen fühlen sich schlecht behandelt, ihre Arbeit ist mühsam, sie sind krank, gestresst und werden aggressiv angegangen. «Wir haben unregelmässige Arbeitszeiten, stehen unter Zeitdruck und unsere Mahlzeiten sind willkürlich über den Tag verteilt – ja, das Klima hat sich verschlechtert. In Genf kommen täglich rund 10% nicht zur Arbeit», so Jérôme Fay, seit 30 Jahren Buschauffeur bei den Genfer Verkehrsbetrieben (TPG). Die Fahrer/innen klagen über Stress: «Am schlimmsten sind die Tage, an denen ich acht Stunden auf der Strasse bin. Man muss immer wachsam bleiben und auf Fussgänger sowie Fahrräder achten.»
Ein Generationenproblem
«Wir riskieren grosse Probleme in den nächsten fünf bis zehn Jahren, wenn meine Generation in Pension geht. Es wird immer schwieriger, Junge zu finden, die solche Arbeitsbedingungen akzeptieren», meint Gilbert d’Alessandro. Tatsächlich wird der Altersdurchschnitt der Chauffeur/innen immer höher, ein Viertel ist zwischen 56 und 65 Jahre alt.
Noch ist die Knappheit, die in den nächsten Jahren zu befürchten ist, nicht gravierend. Doch wenn sich die Arbeitsbedingungen nicht bald bessern, wird die Personalbeschaffung noch schwieriger werden. Für Menschen aus sehr belastenden Berufen (Mauerbau, Sicherheitsdienst) oder für Grenzgänger/innen mögen die Löhne und die Aussicht, nicht mehr draussen arbeiten zu müssen, auf den ersten Blick verlockend sein. Dennoch werden sie die Kehrseite der Medaille bald zu spüren bekommen. Die unregelmässigen Arbeitszeiten stehen dem Privatleben und der Integration im Weg. Für die Grenzgänger/innen kommt der Arbeitsweg zu den langen Diensten hinzu, wodurch der Beruf weniger attraktiv wird. Nach einigen Jahren macht sich allgemeine Unzufriedenheit breit.
«Auch im Kanton St. Gallen gibt es Engpässe bei den Chauffeuren», sagt Felix Birchler, SEV-Gewerkschaftssekretär und Zuständiger für Bus Ostschweiz. Im Rheintal sei es weniger schlimm, da es nahe an der Grenze liegt und Grenzgänger aus Österreich und Deutschland anzieht. Diese bleiben jedoch selten mehr als zwei oder drei Jahre. Sie fahren lieber Lastwagen und vermeiden so den direkten Kontakt zu den manchmal ruppigen Fahrgästen. Oder sie gehen zu Postauto, wo die Löhne besser und die Linien abwechslungsreicher sind. «In den letzten zehn Jahren sind die Löhne eher gesunken. Die Schweizer gehen lieber in Berufe, in denen man freie Abende und Wochenenden hat», erklärt Birchler. «In Wil ist die Personalknappheit besonders prekär. In einem kleinen Team macht es schon einen grossen Unterschied, wenn zwei oder drei Chauffeure gehen.»
In den grossen Städten der Deutschschweiz, wo der Verkehr flüssiger ist als beispielsweise in Genf, und wo das Stadtnetz stärker auf Trams setzt als auf Busse, scheint der Personalmangel zurzeit weniger problematisch als in der Westschweiz.
Eine Lösung des Problems könnte sein, mehr Frauen in den Beruf zu bringen, der bisher stark von Männern dominiert wird. Dafür müssten die Unternehmen jedoch zuerst ihre Arbeitsbedingungen und Infrastruktur anpassen. Besonders, was Teilzeitarbeit angeht, bleibt noch viel zu tun, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
Aushilfen und Pensionierte
Die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung führen nicht nur in Freiburg, Wil und Genf zu Unterbesetzungen. «Vor allem in der Region La Côte und in Neuenburg bemerke ich Engpässe bei den Chauffeuren», bestätigt SEV-Gewerkschaftssekretär Jean-Pierre Etique. «Viele Arbeitgeber greifen zur Verstärkung regelmässig auf Aushilfen und Pensionierte zurück, um Unterbesetzungen zu überbrücken.»
Im Gegensatz zu anderen Verkehrsbetrieben scheinen die Lausanner Transportbetriebe (tl) nicht mehr unter Personalmangel zu leiden. Carmelo Scuderi, Präsident der SEV-Sektion VPT TL bestätigt: «Im Moment haben wir keine Probleme mit Unterbesetzung oder Chauffeurmangel. Dies hängt wohl damit zusammen, dass einige Kollegen ihre Arbeitszeit erhöht haben, um den Monatslohn aufzubessern. Sobald aber ein paar Leute krank sind, fallen Busse aus. Das passiert oft. Doch wenn man den Fahrplan entsprechend anpasst und die Intervalle zwischen den Bussen flexibel gestaltet, merken es die Fahrgäste kaum.»
Aufgrund der SEV-Umfrage, die eine Verschlechterung bei der Gesundheit der Busfahrer/innen in den letzten acht Jahren ergab, macht der SEV zwei konkrete Vorschläge, um die Probleme in der Branche einzudämmen: keine Arbeitstage, die mehr als zehn Stunden dauern, und mehr Personal.
Die Arbeitsbedingungen verbessern
«Eines der wichtigsten Ziele des SEV ist es, die Arbeitsorganisation und die Lebens- sowie Arbeitsbedingungen zu verbessern», sagt SEV-Gewerkschaftssekretär Christian Fankhauser. «Zehn Stunden zwischen 6 und 20 Uhr am Arbeitsort zu sein und nur sechs Stunden bezahlt zu bekommen – das ist weder Lebens- noch Arbeitsqualität und stört das Privatleben. Wenn zehn Stunden überschritten werden, sollten die Unternehmen Zulagen zahlen.» Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen liegt auch in ihrem Interesse, denn mit der Gesundheit des Fahrpersonals leidet auch die Sicherheit der Fahrgäste. Zudem könnte die Attraktivität des Berufs gesteigert und Personalmangel gebremst werden.
In den GAV könnten gewisse Schutzmassnahmen verankert werden, um die Anstellungsbedingungen zu verbessern. In die gleiche Richtung geht ein aktueller Versuch bei TransN (Neuenburger Verkehrsbetriebe), wo der SEV gemeinsam mit den Angestellten und der Geschäftsleitung eine Obergrenze von elf Stunden pro Dienstschicht mit durchschnittlich acht Stunden garantierter Arbeitszeit testet. Dies dient dem Wohlbefinden am Arbeitsplatz und die Angestellten bleiben dem Unternehmen länger treu. Durch die attraktiveren Arbeitsbedingungen findet sich leichter neues Personal und die Krankheitsfälle gehen zurück. Die Massnahmen werden per Dezember 2019 umgesetzt. «TransN scheint verstanden zu haben, wie wichtig es ist, die Arbeitszeiten so anzupassen, dass Beruf und Privatleben besser vereinbar sind», freut sich Jean-Pierre Etique. «Hoffentlich folgen auch andere Betriebe diesem positiven Beispiel, auch wenn die SEV-Branche Bus weiter auf einer Obergrenze von zehn Stunden beharrt.»
Yves Sancey/Übersetzung: kt