Lohngleichheit: Wieder ein Affront
Der Nationalrat hat entschieden, auf eine abgeschwächte Revision des Gleichstellungsgesetzes einzutreten. Doch bis sich beide Kammern darüber einig sind, wie die Lohngleichheit zu behandeln ist, müssen wir uns noch bis zur Wintersession gedulden – wieder einer der unzähligen Angriffe auf die Frauen! Beträfe das Gleichstellungsgesetz nur Männer, wäre es schon längst umgesetzt.
Seit 22 Jahren ist das Gleichstellungsgesetz in Kraft, doch wird es bis heute mit Füssen getreten. Gemäss dem «Global Gender Gap Report 2017» steht die Schweiz auf Platz 21, hinter den nordischen Ländern, Frankreich, Deutschland und sogar Ruanda.
Doch diese Zahlen, die jährlich am Equal Pay Day publiziert werden, interessieren den Grossteil des Nationalrats nicht. Im Gegenteil: Die grosse Kammer scheint das Problem gar nicht erst anerkennen zu wollen, geschweige denn eine Lösung zu finden. Dabei gibt es noch mehr interessante Zahlen: Alle Schweizer Frauen zusammen verdienen jährlich 7,7 Milliarden Franken weniger als die Männer, wovon 2,9 Milliarden auf reiner Diskriminierung basieren. Damit arbeiten Frauen im Schnitt an 44 Tagen im Jahr gratis. Peanuts, oder? Zumindest für die bürgerliche Mehrheit, die so tut, als gäbe es das Gesetz nicht, als wäre die Verfassung und die darin verankerte Gleichstellung nur ein Stapel Altpapier. Zwei Tage nach der imposanten Lohngleichheitsdemo erhalten wir Frauen eine Kriegserklärung aus dem Bundeshaus.
In Island wurde ein Gesetz akzeptiert, das die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen bis 2020 aus dem Weg räumen soll. Unternehmen mit mehr als 25 Angestellten müssen beweisen, dass sie Frauen gleich entlöhnen wie Männer. Für Unternehmen, die das Gesetz nicht respektieren, sind Bussen vorgesehen. In der Schweiz ist man von einer solch beispielhaften Lösung noch weit entfernt. In einem Land, das es sich leisten kann, den Frauen gleich viel zu bezahlen wie den Männern, ist die von Bundesrätin Simonetta Sommaruga vorgeschlagene Gesetzesrevision das Mindeste. Doch anscheinend sind der Abschwächung der Revision keine Grenzen gesetzt, denn das neue Gesetz würde nach zwölf Jahren aufgehoben – als ob die Diskriminierung nach Jahrzehnten plötzlich in 12 Jahren beendet werden könnte. «Das ist illusorisch», sagte SP-Nationalrat Mathias Reynard in der Debatte vom 24. September, und fügte an: «Die Aufhebung eines Gesetzes anzukündigen, ohne seine Wirksamkeit zu kennen, ist zumindest fragwürdig.»
Eine verwässerte Vorlage
Dem Druck durch die Demo zum Trotz unterstützt die bürgerliche Mehrheit einen minimalistischen Ansatz und attackiert damit ein Projekt, das schon davor fast nur symbolisch war. Frauen und Gewerkschaften zeigen sich angesichts des minimalen Schrittes in Richtung Lohngleichheit desillusioniert, zu weit scheint sie noch entfernt. Und jetzt müssen die Frauen auch noch bis zur Wintersession warten, bis die Zukunft des Gesetzes offenbart wird.
Regula Bühlmann, die für das Gleichstellungsdossier zuständige Zentralsekretärin des SGB, lässt ihrem Unmut freien Lauf: «Jetzt müssen wir schon wieder warten. Sogar nachdem 20000 Frauen und Männer auf dem Bundesplatz klargemacht haben, dass die Lohngleichheit endlich zur Tatsache werden soll», sagt sie zur SEV-Zeitung. Doch der Nationalrat antwortete mit einer Ohrfeige: Er hat entschieden, den Umfang der Lohnanalysen in den Unternehmen weiter zu schmälern. «Was für ein Affront!», ärgert sich Bühlmann, und fügt an: «Ich sehe keinen valablen Grund für diese Massnahme. Die Beschränkung auf Unternehmen mit einem Total von 100 Vollzeitstellen erhöht die Bürokratie. Zudem kommen so zahlreiche Firmen, die vor allem Frauen in Teilzeit anstellen, um die Kontrollen herum. Ich habe den Verdacht, dass die Verspätungen die Revision absichtlich untergraben.» Wenn das noch keine Kriegserklärung ist, dann fehlt nicht mehr viel…
Wir haben keine Wahl, als nun in einem härteren Ton aufzutreten. «Wir kämpfen weiter – als Frauen wie als Gewerkschafterinnen», sagt Regula Bühlmann. «So, wie wir es am 8. März getan haben, nachdem der Ständerat den Gesetzesentwurf abgelehnt hatte. Hätten die Frauen über die letzten Jahre die Lohngleichheit nicht konstant eingefordert, hätte es dieses Gesetz noch nicht einmal ins Parlament geschafft. Diesen Druck müssen wir gemeinsam und mit allen Mitteln aufrechterhalten, auch wenn wir dafür wieder auf die Strasse gehen müssen. Anders lässt sich eine wahre Gleichstellung von Frau und Mann nicht bewerkstelligen», schliesst Bühlmann.
Mit allen Mitteln kampfbereit
Wirklich mit allen Mitteln: Als Antwort auf die Kriegserklärung bereiten sich die Frauen auf einen nationalen Streik vor, der am 14. Juni 2019 stattfinden soll. Im ganzen Land laufen Vorbereitungen auf diesen Streik. Im politischen, dem sozialen und dem gewerkschaftlichen Umfeld werden bereits solide Netzwerke geknotet.
Auf den Schultern der Frauen lastet auch die unbezahlte Care-Arbeit innerhalb der Familie – und ohne diese Arbeit könnte die Schweiz nicht funktionieren, und kein Reichtum könnte entstehen. Für all das wird den Frauen mit einer bitteren Pille gedankt. Das Mass ist voll! Am 14. Juni 2019 werden die Frauen nicht arbeiten. Egal um welchen Preis.
Françoise Gehring/kt
Kommentare
René 11/10/2018 09:01:39
Hört auf mit dem Lohn gejammer!
Die Schweizer Bevölkerung hat genug, Lohn ist Verhandlungssache. Stattdesen kämpft für eine faire Gleichstellung, zum Beispiel ; gleiches Rentenalter, Mutter/ Vaterschaftsurlaub, gemeinsamer Wehr/Landesdienst, gemeinsames Obhut und Sorgerecht bei Scheidung etc. Das Lohngezedere nervt nur noch.
Nani 15/10/2018 19:20:19
Da spricht nun wieder mal ein echter Gewerkschafter, nicht wahr?
Das zeigt uns Frauen nur, dass wir Kampf um Gleichstellung nie aufgeben dürfen. Auf solche 'solidarischen' Kollegen können wir verzichten.
Und René une Co. dürfen sich ruhig weiter nerven.