Zukunft der Arbeit
«Ich bin wachsam»
Die SEV-Frauenbildungstagung 2018 nimmt mit dem Thema «Veränderung – Digitalisierung – Flexibilisierung» eine aktuelle Debatte auf. kontakt.sev hat sich bereits im Voraus mit Referentin Ute Klotz über die Zukunft der Arbeit unterhalten. Was die Forschung klar macht: wir wissen etwas, aber wenig Genaues, was viel Unsicherheit und Ängste hervorruft. Auch der Grundtenor von Prof. Klotz ist zurückhaltend.
kontakt.sev: Sie forschen insbesondere zum Thema Arbeit und Digitalisierung. Was sind die Schwerpunkte und wo liegen die wichtigsten Erkenntnisse?
Prof. Ute Klotz: Das Forschungsthema heisst «Zukunft der Arbeit». Ein grosses Thema ist beispielsweise die Flexibilisierung, dann auch Homeoffice-Themen. Aber auch die ganze Entwicklung von einzelnen Berufen, das interessiert uns alle. Was erst neu dazukommt, ist die virtuelle Schwarzarbeit. Arbeiten Sie über Plattformen, auf selbständiger Basis, dann zahlen Sie möglicherweise keine Steuern oder Sozialabgaben. Wir reden hier zwar von minimen Kleinbeträgen – diese summieren sich aber. Und die Gesellschaft muss möglicherweise dann auch für die Sozialversicherungen stärker aufkommen. Die Meinungen gehen hier stark auseinander und sind teils noch nicht gemacht. Denn das Thema wird erst langsam aktuell; mit den ganzen Geschäftsmodellen wie Airbnb, Uber oder Crowdworking. Ein neues Projekt sind die Arbeitsformen. Wie und in welchem Angestelltenverhältnis arbeiten wir künftig? Was bedeutet das für die Mitbestimmung? Auch für die der Gewerkschaften?
Welche Chancen und Risiken sehen Sie hierbei?
Ich bin eher zurückhaltend und sehe in den ganzen Veränderungen mehr Risiken als Chancen. Denn wir wissen nicht, wohin die Reise wirklich geht. Es gibt Studien mit Schätzungen, wie sich die Arbeitswelt verändern könnte. Wir haben im Rahmen unserer Projekte auch Interviews geführt. Da kommen ganz neue Aspekte heraus, an die wir vielleicht noch gar nicht gedacht haben. Und es trifft auch Berufe, die uns möglicherweise überraschen. So zum Beispiel Ärzte, ja sogar Hautärzte, oder Radiologen. Die arbeiten viel mit Bilderkennung und Analyse von Bildern. Das kann auch eine Maschine machen. Meiner Meinung nach tut man sich sehr schwer, hier konkreter zu werden.
Können Sie denn sagen, wem die Digitalisierung tendenziell nützt und wer eher darunter leidet?
Man geht heute davon aus, dass die Berufe mit viel Interaktion eher profitieren oder anders gesagt weniger unter der Digitalisierung leiden werden. Also pflegerische oder soziale Berufe. Man meint, dass man diese schlechter automatisieren kann, oder nur teilweise. Aber natürlich können Roboter auch dort gewisse Arbeiten übernehmen, zum Beispiel das Bewegen eines Menschen. Bei Berufen mit vielen Regeln und standardisierten Abläufen, z.B. im Steuerbereich oder bei der Buchhaltung, ist das Risiko sicher viel höher, dass sehr viel automatisiert werden könnte.
Sie wirken nicht sehr ermutigend …
Es ist einfach alles sehr offen und unklar. Wir müssten uns jetzt eigentlich auf die Zukunft vorbereiten. Aber auf welche Zukunft? Wie sieht denn unser Berufsbild in vier Jahren aus? Wie sehen die neuen Berufe aus? Welche Berufe fallen weg? Wir wissen es einfach nicht, auch wenn sich zahlreiche Experten damit befassen. Man kann das nicht greifen. Und diese Unsicherheit macht Angst und ist oft deprimierend, gerade auch für Studierende.
Wir wissen immerhin, dass wir uns lebenslang weiterbilden müssen.
Hier stellt sich eine wichtige Frage: Können wir das? Man geht grundsätzlich immer davon aus, dass wir sowohl finanziell als auch intellektuell in der Lage sind, alle möglichen Aus- und Weiterbildungen zu durchlaufen. Aber das muss nicht sein. Vielleicht erreichen wir auch irgendwann unsere Grenzen.
Sie werden an der Bildungstagung der SEV-Frauen im November (siehe Kasten) über die flexibilisierte Arbeitswelt referieren. Welche Herausforderungen und Chancen bieten sich Frauen durch die Digitalisierung?
Ein Thema ist sicher das Homeoffice, das uns die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Freizeitengagement ermöglichen soll. Ich finde das schwierig. In einem Projekt mit der SBB zum Mobilitätsbedürfnis der arbeitenden Bevölkerung in der Zukunft stellten wir fest, dass eine sehr grosse Gruppe von Arbeitnehmenden einen ganz festen Tagesablauf hat, also beispielsweise um 7 Uhr morgens mit der Arbeit beginnt, um 17 Uhr in den Feierabend geht und dazwischen eine Stunde Mittagspause macht. Viel Flexibilität geht hier nicht. Wir müssen das genau anschauen, uns fragen, was möglich wäre mit der Digitalisierung. Ist es auch möglich, bei fixen Zeiten von zu Hause aus zu arbeiten? Ist das auch für das Team der richtige Weg? Der persönliche Austausch leidet natürlich. Man muss sich dann bewusst treffen und austauschen, was mit unseren vollen Terminkalendern oft schwierig ist.
Frauen sollen davon profitieren, dass künftig sogenannte Softskills mehr gefragt sein werden. Was meinen Sie dazu?
Ja, dieses Kommunizieren, aufeinander zugehen, das könnte ein Vorteil sein für die Frauen. Aber die Wertschätzung fehlt dann wahrscheinlich. Für diese Skills gibt es meistens keinen anerkannten Nachweis, das ist schwierig. Und sie können auch nicht wie in anderen Bereichen einen Test machen. Das muss irgendwann geändert werden, damit auch die weichen Eigenschaften besser ausgewiesen werden können.
Mit den neuen Arbeitsformen einher geht auch eine immer schwierigere Abgrenzung zwischen Privat- und Berufsleben. Ist das ein Problem?
Die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit ist ein grosses Thema. Die Bereiche verschmelzen zunehmend. Wir sehen das auch an den E-Mails, die wir ständig bearbeiten. Termine werden vermehrt auch ausserhalb der «normalen» Arbeitszeit wahrgenommen, weil es einfach nicht mehr anders geht. Eine ständige Verfügbarkeit wird auch oft erwartet. Aus meiner Sicht ist auch die Arbeitsverdichtung ein Problem: Immer mehr muss in der gleichen Zeit erledigt werden. Dann sind Sie schnell abends um acht Uhr noch am Mails schreiben. Sie müssen natürlich nicht immer vor Ort sein. Das ist sicher eine Vereinfachung, man kann damit auch verschiedene Termine unter einen Hut bringen.
Der Tag hat aber trotzdem nur 24 Stunden. Man versucht immer mehr, jede Minute zu optimieren, den Tag bestmöglich zu nutzen. Das geht bis zu einem gewissen Punkt. Sie müssen heute aber auch flexibel sein.
Muss man sich denn abgrenzen?
Die Frage ist eher: Erkennen wir, wann es zu viel ist? Und können wir uns dann noch zurückziehen? Wie wirkt sich das über die Jahre aus? Verstehen wir die Technologie noch, wenn wir älter werden? Älter bedeutet vielleicht auch langsamer, weniger flexibel. Bekommen wir das Verständnis? Müssen wir uns auf einen anderen Beruf einlassen? Wer unterstützt uns dabei? Es sind schon sehr viele offene Fragen.
Und wir merken es schon heute: Was ältere Arbeitskräfte betrifft, müsste unbedingt die Haltung geändert werden. Das ist ja auch für die Gewerkschaften ein sehr grosses Thema.
Als Gewerkschaft des Verkehrspersonals interessiert uns natürlich, was wir von der Mobilität der Zukunft zu erwarten haben. Auch dazu haben Sie geforscht?
Wir haben dem Thema ein Projekt gewidmet, bei dem verschiedene Personen Kurzgeschichten über die zukünftige Mobilität schreiben konnten. Wir werteten diese anschliessend aus. Als Basis diente die arbeitende Bevölkerung. Wir konnten feststellen, dass das Schnellsein ein ganz wichtiger Aspekt ist. Auch die Reisezeiten sollen optimiert werden. Vielleicht gibt man seine Kleider bei der Reinigung im Zug ab, entspannt sich kurz in einer Yoga-Kabine und holt dann seine gereinigten Sachen wieder ab. Interessanterweise ist die Sicherheit kein Thema, sie wird wohl einfach als gegeben betrachtet.
Ist der öV mit diesen Ansprüchen und der Masse an Reisenden nicht überfordert?
Wie wir heute schon feststellen können, sind die Strassen wie auch die öffentlichen Verkehrsmittel überfüllt. Es gibt hier auch Szenarien des Rückzugs. Die Leute bleiben vermehrt innerhalb ihrer Wohngegend, bewegen sich regional, verfolgen eher das Prinzip Selbstversorgung, bauen vielleicht auch ihr eigenes Gemüse an. Sie verweigern sich gewissermassen dieser schier grenzenlosen Mobilität.
Was ist Ihre persönliche Haltung zur Digitalisierung der Gesellschaft?
Ich bin vielleicht von Natur aus eher pessimistisch. Darum bin ich auch sehr wachsam. Ich schaue mal, wo die Entwicklung hingeht. Ich frage mich auch, wo die Mitbestimmung bleibt, wenn eine Mehrheit nur noch selbständig von zu Hause arbeitet und über Plattformen Aufträge erhält. Und woher kommt die Wertschätzung? Ich bin hier eher kritisch, auch weil so wenig bekannt ist.
Haben Sie Tipps für unsere Leserinnen und Leser, wie sie mit den Veränderungen mithalten können?
Ich würde die Entwicklung, die Technologie- und gesellschaftlichen Debatten unbedingt verfolgen, auch für den eigenen Beruf. Und wenn sich eine Möglichkeit eröffnet, an der man Interesse hat, dann diese unbedingt angehen. Dabei sollte man auch immer überlegen: Wie will ich mich einbringen, was sind meine Fähigkeiten, gibt es einen Weg, den ich vielleicht weitere zehn Jahre gehen kann, auch wenn er vom jetzigen abweicht? Die Gewerkschaften müssen hier sicher auch versuchen, den Prozess zu begleiten, involviert zu werden. Ich finde das sehr wichtig.
Chantal Fischer
BIO
Ute Klotz ist Dozentin für Informationsmanagement an der Hochschule Luzern. Ihre Forschungsinteressen liegen bei der Zukunft der Arbeit. Sie ist Mitglied der Denknetz-Fachgruppe Bildung und Mitglied der VPOD-Bildungskommission, studierte Volkswirtschaft und Informationswissenschaften an der Universität Konstanz und war als Beraterin für Deutsche und Schweizer Unternehmen im Bereich Informatik tätig. Jüngste Veröffentlichung: Flexible neue Arbeitswelt. Zürich, 2016.
Bildungstagung
Die Bildungstagung der SEV- Frauen findet am 23. November 2018 im Hotel Ador in Bern statt. Das Tagungsthema «Ver- änderung – Digitalisierung – Flexibilisierung» wird durch vielseitige Referate beleuchtet. Für SBB-Angestellte gilt die Tagung als Weiterbildung. Weitere Informationen und Anmeldung