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Kommentar von SGB-Zentralsekretär Luca Cirigliano zum Angriff des SGV auf die Arbeitszeit

50 Stunden – der Traum der Chefs

Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) will, dass Angestellte mehr arbeiten und weniger Ruhezeit haben. Der SGB bekämpft diese Attacke mit allen Mitteln, denn von noch längeren Arbeitszeiten profitierten nur die Arbeitgeber.

Im europäischen Vergleich arbeiten Schweizer/innen am meisten.

Der Vorschlag des SGV sieht eine 50-Stundenwoche für Arbeitnehmende vor. Ein No-Go, findet der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB). Die von den kleinen und mittleren Unternehmen gewünschten Massnahmen sind eine regelrechte Ohrfeige. Die Angestellten in der Schweiz arbeiten im europäischen Vergleich bereits heute am längsten; Stress und Überforderung sind häufig. Eine Verlängerung der Arbeitszeit liegt einzig und allein im Interesse der Arbeitgeber. Für alle anderen wäre es eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und eine Bedrohung für die Gesundheit. Im Interview findet Luca Cirigliano, SGB-Zentralsekretär und Verantwortlicher für das Dossier Arbeitsrecht, klare Worte dazu.

50 Stunden arbeiten pro Woche – wollen uns die Arbeitgeber provozieren?

Ja, und zwar kalkuliert. Heute leisten die meisten berufstätigen Personen maximal eine 45-Stundenwoche. Ab der 46. Stunde muss das Unternehmen die Überzeit mit Geld oder Freizeit vergüten, und darin liegt das Problem! Die Arbeitgeber wollen keine Zuschläge mehr bezahlen, oder die Leute noch mehr arbeiten lassen, am liebsten ohne Zeitaufschreibung. Dazu muss man sich nur die parlamentarische Initiative der Ständerätin Karin Keller-Sutter anschauen …

Aber im europäischen Vergleich arbeiten wir in der Schweiz nicht wenig, oder?

Wir sind die traurige Spitze: In keinem anderen Land Europas wird so viel gearbeitet wie hier. Und während in anderen Ländern die Arbeitszeit in den letzten Jahren sogar zurückging, blieb sie bei uns gleich hoch.

Welche Folgen hätte eine zusätzliche Arbeitsbelastung für die Gesundheit und die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben?

Wenn wir mehr als 50, 60 oder 70 Stunden pro Woche und auch in der Nacht sowie sonntags arbeiten, wie es die Arbeitgeber wollen, dann wird es kein Privatleben mehr geben! Die Angestellten hätten zu wenig Schlaf, nicht genug Zeit, sich zu erholen, mehr Stress und das «Phänomen Burnout» – das in unserem Land bereits heute eine regelrechte Epidemie ist – würde sich noch weiter verbreiten. Es sind vor allem die schwächsten Angestellten, die leiden würden, zum Beispiel Frauen, die aufgrund ihrer familiären Pflichten einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt sind, oder ältere Arbeitnehmende, denen Stresssituationen mehr zusetzen.

Überbelastung am Arbeitsplatz fordert Opfer, das bestätigt sogar das SECO. Gemäss einer Studie geben 11% der Arbeitnehmenden an, dass ein Zusammenhang zwischen Überstunden und ihren gesundheitlichen Problemen besteht. Stress am Arbeitsplatz ist keine Ausnahmeerscheinung. Es ist ein verbreitetes Phänomen: Rund ein Drittel der Schweizer Angestellten fühlt sich häufig oder sehr häufig gestresst. Wie können wir diesen erschreckenden Zahlen entgegenwirken in einem Land, in dem nur 45,2% der Unternehmen regelmässig die Stressrisiken analysieren, während diese Zahl in anderen Ländern, wie Grossbritannien und Dänemark, bei 90% liegt?

Die Zahlen sprechen für sich: Die Arbeitszeit ist ein echtes Problem in der Schweiz. Doch die Arbeitgeber sehen die Situation anders. Sie wollen uns weis machen, dass wir mehr arbeiten müssen, auf Abruf und nach ihren Wünschen. Und das auch noch ohne Zuschläge, also für weniger Geld. Denn was die Arbeitgeber wirklich wollen, ist, die Arbeit billiger zu machen. Deshalb sagen wir klar Nein. Wir arbeiten zu viel und ohne Regeln. Es braucht mehr Autonomie und Flexibilität für die Arbeitnehmenden, nicht für die Arbeitgeber, sowie mehr Kontrollen und strikteres Befolgen der bestehenden Gesetze, die bereits heute extrem flexibel sind. Dies hat auch der Bundesrat in seinem letzten Bericht über die Digitalisierung bestätigt. Die aktuellen Gesetze erlauben langes und flexibles Arbeiten. Der SGB und seine Mitgliedsverbände sehen sich in der Pflicht, die Arbeitszeitautonomie und die Arbeitszeit in den GAV zu verbessern. Eine solche Verbesserung ist aber auch in den Gesetzen nötig, zum Beispiel bei den Regelungen bezüglich «Home Office». Ebenfalls braucht es bessere Kontrollen durch Arbeitsinspektoren der SUVA.

Im Mai wurde die 6. Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen (siehe Box) präsentiert. Die Resultate bestätigen eine Tendenz hin zur einseitigen Flexibilisierung der Arbeitszeit. Mit welchen Mitteln können sich die Gewerkschaften dagegen wehren?

Für die Arbeitgeber ist eine einseitige Flexibilisierung das Paradies! Wir kämpfen um gesetzliche Bestimmungen in den GAV, die solche ungesunde Flexibilisierungen im Zaum halten.

Nebst dieser Provokation mit der 50-Stundenwoche greifen auch die Initiativen der Ständeräte Konrad Graber (PPD/LU) und Karin Keller-Sutter (FDP/SG) das Arbeitsrecht an. Wie müssen wir als Gewerkschaften auf diese Angriffe reagieren?

Eins ist klar: Wir bekämpfen jeden parlamentarischen Angriff auf das Arbeitsgesetz! Wir wollen mehr Regeln zum Schutz der Arbeitnehmenden, nicht weniger, und zwar in den GAV wie auch im Gesetz.

Françoise Gehring/kt

Uuropäische Erhebung

Die 6. Europäische Erhebung über die Arbeitsbedingungen, die am 22. Mai publiziert wurde, bestätigt, was die Gewerkschaften schon lange wissen: Die einseitige Flexibilisierung der Arbeitszeit in der Schweiz geht auf Kosten der Arbeitnehmenden. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hat Zahlen in Bezug auf die Schweiz präsentiert, welche den Vergleich der Arbeitsbedingungen zwischen 2005 und 2015 zulassen.

Die Resultate zeigen auf, unter welchem Druck die Schweizer Arbeitnehmenden stehen. Dieser steht in Zusammenhang mit einer erhöhten Arbeitslast und gleichzeitig weniger Mitbestimmungsmöglichkeiten. Die Zeit ist knapp, es wird immer länger und auch in der Freizeit gearbeitet – dies alles führt immer häufiger zu Stress. 60% der Befragten sehen sich mit einem intensiven Arbeitsrhythmus und immer kürzeren Deadlines konfrontiert.

Hinzu kommt, dass die Ar- beitszeit bei einem Vollzeitpensum in der Schweiz bereits heute europaweit am längsten ist (42 Stunden in der Schweiz, 39 Stunden in der EU). Lange Arbeitszeiten und Schwierigkeiten mit der Planung der Arbeitstage schaden der Gesundheit.

Auch das SECO sieht ein, dass die selbstbestimmte Einteilung der Arbeitszeit durch die Arbeitnehmenden und der Wunsch der Arbeitgeber nach mehr Flexibilität in einem Widerspruch zueinander stehen.

frg

Kommentare

  • Urs Wettstein

    Urs Wettstein 23/11/2017 09:40:12

    Es ist unlogisch, die Arbeitsstunden auf 50 Stunden zu erhöhen. Es gibt immer weniger Arbeitsplätze und immer mehr wird ins Ausland ausgelagert. Mit der Digitalisierung werden Computer gewisse Arbeiten ersetzen. Das heisst auch die Arbeitslosigkeit wird steigen. Das Nachsehen haben eher die weniger gebildeten Menschen. Solche wird es immer geben so lange es Menschen gibt. Die soziale Verantwortung sollte man ernst nehmen und das gilt auch vor allem für die Arbeitgeber.