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Chefs Lok- und Zugpersonal von der Zeitaufschreibung «erlösen»?

Angeordneter Verstoss gegen Gesetz und Verordnung

Die SBB darf von den Chefs Lokpersonal (CLP) und Zugpersonal (CZP) nicht verlangen, auf die Zeitaufschreibung vollständig zu verzichten, denn dies verstösst gegen das Arbeitszeitgesetz (AZG) und die zugehörige Verordnung (AZGV).

Auch die Chefs Lok- und Zugpersonal arbeiten in ihren angestammten Berufen

Wegen dieser Problematik ist der SEV mit dem Bereich Operating Zugführung schon seit Längerem im Gespräch und hat dabei stets auf die gesetzlichen Bestimmungen verwiesen: Das AZG verlangt, dass für alle Mitarbeitenden, die unter das AZG fallen, ein Dienstplan erstellt wird, samt graphischer Darstellung der täglichen Arbeitszeit. Diese Darstellung kann bei regelmässiger Arbeitszeit wegfallen. Das heisst aber nicht, dass auf einen Dienstplan verzichtet werden kann.

Da CLP und CZP regelmässig in ihren angestammten Berufen als Lokführer oder Zugbegleiter arbeiten, muss auch bei ihnen jederzeit sichergestellt sein, dass die Einhaltung von AZG und AZGV nachweisbar ist. Dies ist nur möglich mit einer zentralen Zeiterfassung und einer Kontrolle der Arbeitszeit.

Die SBB kann die Verantwortung für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen nicht ganz auf das Personal überwälzen, sondern hat eine Mitverantwortung und muss durch Kontrollen dafür sorgen, dass Gesetz und Verordnung genüge getan wird.  Und sie muss sicherstellen, dass das Bundesamt für Verkehr (BAV) bei einem Audit jederzeit auf die gespeicherten Daten zugreifen kann.

Arbeitszeit ist ein Führungsinstrument!

Die SBB begründet die „Erlösung“ der CLP und CZP vom „Zwang“ der Zeitaufschreibung damit, dass sie als Kader das volle Vertrauen genössen, auch ohne Zeitnachweis nicht zu wenig oder zu viel zu arbeiten. Zudem sei es in einem modernen Unternehmen üblich, die Mitarbeitenden nicht über die Arbeitszeit zu führen, sondern über ihre Leistung. Dabei spiele es keine Rolle, welchen Aufwand die Mitarbeitenden betreiben, um die gesteckten Ziele zu erreichen.

Tatsache ist aber, dass ein verantwortungsvoller Vorgesetzter das Führungsinstrument Arbeitszeit nicht leichtfertig aus der Hand gibt. Denn nebst der Kontrolle der Zielerreichung muss auch der Zeitaufwand beachtet werden, der dafür eingesetzt wird. Nur so kann verhindert werden, dass infolge Überbelastung Burnouts drohen.

Wie weiter?

Der Bereich Operating Zugführung hat sich mit dem Problem befasst und Lösungsvorschläge ausgearbeitet,  ohne Beschlüsse zu fassen. Der SEV erwartet, dass die SBB für das gesamte dem AZG unterstellte Personal die Zeitaufschreibung wieder einführt und sicherstellt, dass diese Daten kontrolliert und archiviert werden.  Nur so kann gewährleistet werden, dass bei einem BAV-Audit nicht das Personal für angeordnete Verstösse gegen die gesetzlichen Bestimmungen haftbar gemacht wird!

SEV-Kompetenzzentrum Arbeitszeit, Martin Allemann/Fi

Ereignismanagement  «freiwillig» und in Eigenverantwortung

Die Chefs Lokpersonal (CLP) und Zugpersonal (CZP) werden auch gezwungen, in ihrer Freizeit und am Wochenende gemäss Prioritätenliste jederzeit erreichbar zu sein und im Ereignisfall wenn nötig vor Ort einzugreifen. Jedenfalls ist in der internen Arbeitsorganisation vorgesehen, dass bei einem Ereignis der Lokführer den Zug erst nach Rücksprache mit einem CLP in Bewegung setzen darf, wenn der CLP abschliessend mit den Disponenten Personenverkehr Kontakt aufgenommen hat.

Wenn dabei das Prinzip der Freiwilligkeit gelten würde, könnte die Aufrechterhaltung des Betriebs nicht garantiert werden, da sich jeder CLP darauf berufen könnte, das Telefon nicht abnehmen zu müssen. Auch wäre das Personal nicht mehr genügend betreut, was sicher auch nicht im Sinn der Sache wäre. Dennoch schreibt der Zentralbereich Personal in einem uns vorliegenden Papier, diese «Abrufbereitschaft» unterscheide sich  «in ausschlaggebenden Punkten von der gesetzlichen und betrieblichen Definition des Pikettdienstes. Sie kommt einem ‚freiwilligen Einsatz‘ näher als einem der definierten Pikettdienste. Deshalb vertreten wir die Auffassung, dass Abrufbereitschaft gemäss AZ 34/98 (Pikettreglement) und freiwillige Einsätze nicht unter die Bestimmungen von AZGV Art. 8a ff fallen.»

Diese Haltung der SBB teilen wir in einem Punkt: CLP oder CZP können nicht für «Pikettdienst» gemäss Definition von AZGV Art. 8a ff aufgeboten werden, da sie nicht direkt zur Behebung von Störungen oder ähnlichen Sonderereignissen beitragen. Ob aber ihr «freiwilliger Einsatz» aufgrund der Einsatzbestimmungen nicht doch den Charakter von Pikettarbeit aufweist, ist nicht restlos geklärt. Sicher ist: CLP wie CZP müssen diesen «freiwilligen Einsatz» leisten, wenn sie weiterhin ihre Tätigkeit ausüben wollen.

Arbeitgeber muss Verantwortung wahrnehmen

Für die Beurteilung der Sachlage genügt es nicht, einfach festzuhalten, dass ein «freiwilliger Einsatz» nicht der AZGV untersteht, da er internen Regelungen näher komme. Denn damit ist nicht geregelt, welche AZG- und AZGV-Bestimmungen zum Tragen kommen, wenn ein solcher Einsatz vorliegt. Hier überlässt die SBB die Verantwortung voll und ganz dem Personal. Welche Rahmenbedingungen sind bei einem «freiwilligen Einsatz» einzuhalten? Da müssen wir nun gemeinsam nach Lösungen suchen.