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Industriewerkpersonal «besetzt» Parlamentssaal

Politik will mitkämpfen gegen «programmierten Niedergang»

Die Mitarbeitenden des Industriewerks Bellinzona sind über die sinkenden SBB-Aufträge sehr besorgt. Darum zogen sie letzten Dienstag über Mittag zum Parlamentsgebäude, um Behörden und Politiker/innen um Unterstützung zu bitten.

Die Stimmung im Demonstrationszug und im vollbesetzten Grossratssaal ist dieselbe wie 2008 während dem Streik. «Kaum zu glauben, dass seither sieben Jahre vergangen sind», meint ein Journalist. Vom Auftragseinbruch betroffen ist heute der Wagenunterhalt, den die SBB 2008 in Bellinzona belassen wollte. Die Lokabteilung dagegen, die damals nach Yverdon verlegt werden sollte, scheint noch ein besser gefülltes Auftragsbuch zu haben, obwohl es zu ihrer Zukunft ebenfalls offene Fragen gibt. Insgesamt aber nehmen die im IW Bellinzona geleisteten Arbeitsstunden spürbar ab, und die SBB scheint die Strukturen an die gesunkene Nachfrage anpassen zu wollen. Der Wille, bei anderen Kunden neue Aufträge hereinzuholen, scheint ermattet zu sein. Hinzu kommen weitere ungünstige Faktoren wie der starke Franken und der immer härtere internationale Wettbewerb.

Basis legen für den Turn-around

Die Officine befinden sich in einer Übergangsphase. Vor wenigen Monaten wurde die Stiftung für ein «Kompetenzzentrum für nachhaltige Mobilität» gegründet und dafür auch schon ein Direktor gefunden. In dieser Branche Tritt zu fassen ist nicht einfach und benötigt eine gewisse Zeit, während der das Industriewerk weiterhin dringend auf genügend SBB-Aufträge angewiesen ist. Wenn aber die SBB nun dem Industriewerk, das den Kern des zu entwickelnden Kompetenzzentrums darstellt, in dieser Phase ihre Aufträge entzieht, zieht sie der ganzen Struktur den Boden unter den Füssen weg.

Die über hundert IW-Mitarbeitenden werden im Parlamentsgebäude von zwei Schlüsselfiguren der Tessiner Politik empfangen: von Christian Vitta, dem Leiter des kantonalen Finanz- und Wirtschaftsdepartements, der das Thema bestens kennt, da er für die Machbarkeitsstudie zuständig war, die die Tessiner Regierung zum Kompetenzzentrum in Auftrag gab, sowie von Nationalrätin Marina Carobbio in ihrer Funktion als Präsidentin der Tessiner Deputation im eidgenössischen Parlament. Ihnen überbringt die Belegschaft der Officine eine klare Botschaft: Die SBB hat sich verpflichtet, in den ersten Jahren des Kompetenzzentrums ihre Aufträge ans IW nicht zu reduzieren, und dieses Versprechen muss sie einhalten.

Die Botschaft findet offene Ohren: «Der Kanton hat nicht Zeit und Geld ins Kompetenzzentrum investiert, um einem programmierten Niedergang zuzusehen, wie wir ihn eben gerade abwenden wollten», betont Christian Vitta. «Auch angesichts der bevorstehenden Eröffnung des Gotthard-Basistunnels können wir nicht akzeptieren, dass auf diese Weise Arbeitsplatzperspektiven in unserem Kanton infrage gestellt werden», sagt Marina Carobbio Guscetti.

Auf das Versprechen der Tessiner Politik, den Kampf für das Industriewerk Bellinzona und dessen Arbeitsplätze voll zu unterstützen, antworten die Mitarbeitenden mit dem bekannten Ruf «Resistere, resistere, resistere». Hätten sie und der ganze Kanton vor sieben Jahren gegen die SBB-Pläne nicht Widerstand geleistet, ständen die Officine heute noch viel schlechter da…

Gi/Fi