Auf den Spuren von ...
Lutz Karger, vom Tellerwäscher zum Chefkoch
Lutz Karger ist als Steward bei der SBB-Tochtergesellschaft Elvetino tätig. Er arbeitet in der Bahngastronomie, meistens im Speisewagen auf dem Weg von Basel nach Mailand und retour. Seit einem Jahrzehnt engagiert er sich im SEV-Unterverband VPT in der Sektion Bahndienstleistungen und ist dort aktuell Vizepräsident.
Es ist eng im Küchenteil des Speisewagens des kräftig schüttelnden Astoro und es muss unheimlich schnell gehen. Wir sind unterwegs im Berner Oberland, und Lutz Karger bedient die Gäste auf deren Reise von Italien nach Deutschland. Er nimmt Bestellungen auf, schwatzt charmant mit den Reisenden aus aller Welt, empfiehlt ein Weizenbier und ein Dessert, rast zurück in die Küche, wo er die gewünschten Speisen herrichtet, im heissen Wasser oder Steamer erhitzt, die Getränke bereitmacht, dann noch schnell den Geschirrspüler leert und wieder auffüllt, um dann rechtzeitig an der Bar noch zwei soeben eingetroffene Gäste mit Kaffee zu verwöhnen. Die Karriere vom Tellerwäscher zum Chefkoch absolviert er mehrmals täglich vorwärts und rückwärts. «Man muss den Stress schon etwas mögen», sagt er lachend, «sonst ist dieser Job nichts für dich.»
Seit zwanzig Jahren arbeitet er beim Gastroangebot der SBB. Heute heisst sein Arbeitgeber Elvetino, vor zwanzig Jahren hiess die Unternehmung noch Mitropa Schweiz AG, dazwischen wechselte sie mehrfach den Namen. Verändert hat sich nicht nur der Namen der SBB-Tochtergesellschaft, sondern auch die Arbeit. Am Anfang war Lutz noch mit der Minibar unterwegs und bediente die Gäste im ganzen Zug. «Ab und zu nehme ich das ‹Wägeli› auch heute noch hervor und überrasche die Leute in der 2. Klasse», sagt er mit einem gewissen Schalk und öffnet einen Kasten, wo tatsächlich noch ein alter Minibar-Wagen mit eingebauter Kaffeemaschine steht. Doch meistens reicht die Zeit nicht für diese Extradienstleistung.
Vom Trabi zum Speisewagen
So abwechslungsreich und rasant wie sein Arbeitsalltag verlief auch sein Leben. 1965 in der damaligen DDR geboren, arbeitete Lutz zuerst als Zerspanungsverarbeiter im Volkseigenen Betrieb Autowerk Zwickau. Dort half er mit, die legendären ostdeutschen Trabis (Trabant) zu produzieren. «Doch die Arbeit war unheimlich langweilig und ich wollte etwas anderes machen.» Rund zwei Monate vor dem Mauerfall, im Herbst 1989, war er im damaligen Ostblock auf Reisen. In Budapest packte er die Gelegenheit beim Schopf, in den Westen abzuhauen. Dort war die Grenze schon vor dem Fall der Berliner Mauer geöffnet, und Lutz begann sich zuerst in Bayern mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen.
In den Neunzigerjahren landete er schliesslich in der Gastronomie. Auf der friesischen Insel Norderney erzählten ihm die Kollegen von der Schweiz. «Damals gab es im Winter noch Schnee in den Alpen», erzählt er mit einer gewissen Ironie, «und es brauchte keine Schneekanonen. Aber Personal brauchte es.» Mehrere Jahre arbeitete er in Bivio auf dem Julierpass, wo er Skitouren ins Hochgebirge zu machen begann und sich in die Schweizer Landschaft verliebte. Bevor er zur Bahn kam, war er auf dem Thunersee tätig, dann kriegte er einen Job bei der Deutschen Bahn. «Ich begann im Speisewagen zu arbeiten und träumte davon, so bald wie möglich die eintönige deutsche Landschaft hinter mir zu lassen. Als ich dann die Gelegenheit erhielt, auf das Schweizer Schienennetz zu wechseln, war mir sofort klar, dass ich das machen musste.»
«Im Tieflohnsektor braucht es dringend Gewerkschaften»
Seit etwa zehn Jahren engagiert sich Lutz beim SEV. Er ist Vizepräsident der VPT-Sektion Bahndienstleistungen und sitzt in der Verhandlungsdelegation, die im Moment einen neuen GAV aushandelt. «Unser Ziel ist, einen Gesamtarbeitsvertrag wie unsere Kolleginnen bei der SBB zu kriegen. Kein einfaches Unterfangen.» Obwohl Elvetino eine hundertprozentige SBB-Tochter ist, sind die Arbeitsbedingungen weitaus schlechter als beim Mutterkonzern. Für Lutz Karger ist klar, es ist enorm wichtig, dass sich die Menschen, die in Niedriglohnberufen wie in der Gastronomie arbeiten, gewerkschaftlich organisieren. Der Aufwand lohnt sich. «Gerade haben wir einen Teuerungsausgleich von 130 Franken rausholen können. Für uns ein grosser Erfolg.»
Inzwischen sind wir in Basel angelangt. Die letzten Gäste haben den Zug verlassen. Lutz muss zwei verschiedene Kassen abrechnen, eine für die italienischen Behörden, eine für die Schweizer. Dann muss er die Küche putzen, so dass er den Speisewagen rechtzeitig verlassen kann, bevor dieser wegrangiert wird. Es ist ein harter Job, und trotzdem gibt es für Lutz nichts anderes: «Wenn die Gesundheit mitspielt, dann werdet ihr mich noch ein paar Jahre regelmässig zwischen Basel und Mailand antreffen.»
Michael Spahr