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Auf den Spuren des zukünftigen...

Kapitän Mathias Gay-Crosier

Mathias Gay-Crosier trägt zwei Hüte: Als künftiger Kapitän, aber auch als Sektionspräsident. Foto Aude Haenni.

Als Kind raste er die Skipisten hinab. Heute pflügt er am Steuer der wunderbaren CGN- Schiffe durch die Fluten des Genfersees. Porträt eines Seefahrers mit grossem Herz.

Aus der Ferne nähert sich, von Thonon-les-Bains kommend, das Motorschiff Ville-de-Genève. Die Sonne zeigt sich erst zögerlich und färbt zwischen den Schattenrissen der Alpen einzelne Wolken rosa. Der Kapitäns-Anwärter Mathias Gay-Crosier steuert zum Hafen. Aus der Höhe der Kommandobrücke gibt er seiner Besatzung letzte Befehle fürs Anlegen und die Platzierung des Stegs. Es ist 7 Uhr 20, und über 300 Grenzgänger verlassen das Schiff, um in Lausanne und Umgebung zur Arbeit zu gehen. In wenigen Minuten wird es Richtung Thonon weiterfahren. Mathias begrüsst mich herzlich und führt mich ins Ruderhaus hinauf. Nachdem er aus dem Hafen hinausgesteuert hat, widmen wir uns seiner beruflichen und gewerkschaftlichen Laufbahn.

Von den Bergen ans Meer

Als Kind der Berge verbringt er viel Zeit auf den Skiern; sein Vater ist für mehrere Bergbahnen in Crans-Montana zuständig. Als Sportbesessener spielt er Fussball und betreibt Skiakrobatik. Nichts weist auf eine Karriere von Mathias auf den blauen Gewässern des Genfersees hin.

Nach einer unauffälligen Schulzeit beginnt er eine Schreinerlehre, aber es geht nicht gut. Danach arbeitet er einige Jahre als Sportartikelverkäufer in Crans-Montana, danach in Verbier. Zurück von einem Sprachaufenthalt in England, «mit 5 Franken in der Tasche», bleibt Mathias in Genf, wo er eine Stelle als Abteilungsleiter in einem Sportgeschäft findet. Und er findet auch eine neue Begeisterung: das Segelboot. Also heuert er auf einem Schiff an. Daraus werden drei Jahre auf See; er reist viel und lernt als Skipper auf einer Kreuzfahrt in Kroatien seine Frau kennen. Als er auf eine Anzeige für eine Sommerstelle als Matrose bei der «Compagnie générale de navigation» (CGN) stösst, bewirbt er sich. Mit der Idee im Hinterkopf: «Eines Tages Kapitän auf einem Schiff aus der Belle Epoque sein.»

Vereidigung 2020

Schliesslich brauchte es mehr als 13 Jahre Geduld, um Kapitän zu werden. Der Weg führte vom Matrosen über den Kontrolleur, den Hilfs-Steuermann, Steuermann und den Schiffsführer. Viel Theorie und Praxis. Der Kapitäns-Anwärter wird am 2. April 2020 in einer zeremoniellen Vereidigung zum «Kapitän II». Er sagt: «Kapitän sein ist eine Leidenschaft. Man muss Lust am Seefahren haben und gerne Verantwortung übernehmen. Die Wochen auf den Belle-Epoque-Schiffen machen den Reiz des Berufs aus. Zudem ist der See nie gleich. Die Arbeit ist sehr vielfältig, und ich schätze den Kontakt mit der Kundschaft.»

Die Sonne ist inzwischen über den Bergen hervorgekommen und bringt den See tausendfach zum Leuchten. Gegen 8 Uhr kann die Besatzung endlich frühstücken. Mathias ist an diesem Morgen um 3 Uhr 30 früh aufgestanden, um 4 Uhr 45 hat sein Dienst begonnen. Zeit also für einen guten Kaffee. Sein Arbeitsplatz ist mitten in diesem traumhaften Dekor, aber er spricht auch von den unregelmässigen Diensten, der Arbeit am Wochenende und der Organisation, die für die Familie nicht immer einfach ist. Im Winter arbeitet er in der Werft der CGN in der Schreinerei. Aber auch dort ist die Arbeit viel strenger und weniger flexibel als früher.

Im Unternehmen mitwirken

Auch wenn die Gewerkschaft anfänglich nicht seine Berufung war: In einem Unternehmen zu arbeiten, wo 95% des fahrenden Personals beim SEV organisiert sind, ändert sich die Perspektive. Nun ist er nicht einfach Mitglied, sondern er ist Präsident der Sektion VPT-Lac Léman, «aus Interesse und aus dem Bedürfnis, im Unternehmen aktiv mitzuwirken». Die Herausforderungen für die Gewerkschaft sind gross. Das Unternehmen ist im Wachstum, zwei neue Schiffe werden zur Flotte hinzukommen. Die Werft wird umfangreich renoviert. Die Dienstpläne und die Situation der Kassierer machen ihm Sorgen. Der ganz grosse Brocken ist aber die Erneuerung des GAV. Das Sektionspräsidium verlangt viel von ihm: «Die Zeit geht vom Privatleben ab. Auch die verschiedenen Vorstände und Kommissionen brauchen Zeit. Hinzu kommen die Treffen mit der Direktion. Es geht um ganz verschiedene Themen, und das macht die Gewerkschaftsarbeit interessant.»

Er hat aber zum Glück auch noch ein Leben neben der Arbeit und der Gewerkschaft. Eher per Zufall, vor allem weil seine beiden Kinder beim BBC Nyon Basketball spielen, trainiert Mathias dort die U9, also die bis 9-Jährigen. «Das bringt mich auf andere Gedanken. Während den 1½ Stunden beim Basketball denke ich an nichts anderes. Da kann ich Dampf ablassen, das tut mir gut.» Als Hobby treibt er nach wie vor viel Sport: «Im Sommer gehe ich gerne wandern und segeln. Im Winter fahre ich Ski.» Auch ausserhalb der Arbeit sind die Berge nie weit weg vom See.

Yves Sancey/Übersetzung: Peter Moor