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Felix Birchler zieht Bilanz

«Die Verkehrsbetriebe verpassen bei den Löhnen den Anschluss»

Mit «SEV bi dä Lüt»-Touren besuchte Felix Birchler regelmässig «seine» Betriebe – wie hier diesen Juli die URh (2.v.r.).

Nach sechs Jahren und acht Monaten als SEV-Gewerkschaftssekretär hat Felix Birchler (40) auf Ende August zur Fachstelle Integration des Kantons Graubünden in Chur gewechselt und ist dort zuständig für den Bereich der Integration von Flüchtlingen in den Schweizer Arbeitsmarkt. Für den SEV ist der Abgang des erfahrenen und gut vernetzten Regionalsekretärs ein Verlust.

«Wir lassen Felix Birchler nur ungern gehen, denn er hat sehr selbstständig gute, solide Arbeit geleistet», sagt SEV-Vizepräsidentin Barbara Spalinger. Bedauert wird sein Abgang auch von den SEV-Sektionen bei den Ostschweizer Verkehrsbetrieben, deren Betreuung er im Januar 2013 von Peter Hartmann übernahm: Appenzeller Bahnen, Frauenfeld–Wil-Bahn, Südostbahn, Thurbo, Bus Ostschweiz, Schweizerische Bodensee-Schifffahrt und die Schifffahrt Untersee und Rhein (URh). Bis vor zwei Jahren begleitete er auch Rechtsschutzfälle von SBB-Mitarbeitenden; Diese gab er vor zwei Jahren ab und reduzierte sein Pensum von 100 auf 80 Prozent.

«Ich will einfach etwas Neues machen»

Warum verlässt Felix Birchler den SEV? «Es gibt keinen anderen Grund, als dass ich beruflich etwas Neues machen will, nach elf Jahren in der Rolle als Gewerkschaftssekretär. Ich habe ja vor meiner Zeit beim SEV schon drei Jahre bei der Unia gearbeitet und zwei Jahre beim VPOD. Da war es für mich nun einfach Zeit für einen Wechsel. Darum habe ich mich in den letzten Monaten umgeschaut und mich für diese offene Stelle beim Kanton Graubünden beworben.»

Eindrücklicher Zusammenhaltdes URh-Personals

Besonders intensiv beschäftigt und geprägt hat Felix Birchler in seiner Zeit beim SEV die Sanierung der URh im Jahr 2016: «Da wurde mit dem Vorschlaghammer versucht, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Das Personal wurde extrem unter Druck gesetzt und sollte zu allem nur Ja und Amen sagen. Und es ging wirklich um die Zukunft des Unternehmens. Aus Arbeitgebersicht sollten die Arbeitsplätze gerettet werden, indem alle Errungenschaften im GAV gestrichen und die Arbeits- und Anstellungsbedingungen in allen Punkten aufs Minimum des Minimums gesetzt werden. Dagegen wehrte sich das Personal mit SEV-Unterstützung recht erfolgreich und konnte vieles abwehren, wenn es auch gewisse Einbussen hinnehmen musste. Besonders beeindruckt hat mich der Zusammenhalt der rund 20 Mitarbeitenden. Dass der SEV in dieser verschworenen Gemeinschaft von allen akzeptiert wurde und seine Rolle spielen konnte, gelang vor allem deshalb, weil wir schon vor der Sanierung im Betrieb präsent waren und zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern keinen grossen Unterschied machten. So wurden zu unseren Versammlungen immer alle Mitarbeitenden eingeladen und alle Anliegen gleichermassen aufgenommen und weiter verfolgt, sofern sie im Sinne der Mehrheit waren. Daher konnte der Sanierer keinen Keil zwischen Mitglieder und Nichtmitglieder treiben, obschon er den SEV schlechtredete und sagte, die Sanierung sei nur durch ihn mit dem Personal zu regeln, der SEV habe bei der URh nichts zu suchen. Damit lief er auch bei den Nichtmitgliedern auf, weil sie merkten, dass sie den SEV in dieser Extremsituation brauchten. Besonders wichtig war auch die Existenz eines GAV.»

Entlassungen aus Gesundheitsgründen: Es braucht eine Lösung

Als besondere Herausforderung hat Felix Birchler die Entlassungen älterer Lokführer oder Chauffeure erlebt, die aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterfahren konnten, aber vom Arzt als weiterhin arbeitsmarktfähig beurteilt wurden. Sie werden dann von kleineren Unternehmen meistens entlassen mit der Begründung, dass es für sie keine andere Arbeit gebe. «Das kann effektiv ein Problem sein, und kein Unternehmen entlässt einen altgedienten Lokführer kalten Blutes, auch weil dies beim Personal schlecht ankommt.» Doch am schwierigsten ist die Situation für die Betroffenen selber, die keine Stelle mehr finden, für die aber keine Sozialversicherung aufkommen will und die manchmal gar Sozialhilfe beziehen müssen. «Eigentlich sind sich alle einig, dass es eine gemeinsame Lösung von Unternehmen und IV bräuchte, doch bezahlen will niemand, und der politische Wille hat bisher gefehlt.»

Zunehmender Personalmangel

Bei den anderen Unternehmen hat es in den letzten sechs Jahren zwar insgesamt leichte Verbesserungen gegeben in den GAV und bei den Löhnen. «Doch im Marktvergleich zu anderen Branchen verpasst der öffentliche Verkehr den Anschluss», warnt Felix Birchler. «Das gilt besonders für den Fahrbahnbau und die Werkstätten. Aber auch Lok-, Zug- und Busfahrpersonal ist deshalb immer schwieriger zu finden. Wenn man Personal im Ausland rekrutieren muss, weil man es im Inland nicht mehr findet, ist das ein klares Alarmzeichen!» Rückständig ist z.B. auch der dreitägige Vaterschaftsurlaub der SOB, den diese seit Jahren partout nicht verlängern will. Dies kontrastiert für Felix Birchler sonderbar mit ihrer technischen Innovativität. «Wenn die Unternehmen keine guten, motivierten Mitarbeitenden mehr finden, muss man sich fragen, wie in ein paar Jahren der Betrieb noch richtig funktionieren kann. Dann platzen die Digitalisierungsträume am Personalmangel.»

Was macht der SEV aus Felix Birchlers Sicht gut – und was weniger? «Die Stärke des SEV sind die Sektionen und Mitglieder. Diese und ihre Anliegen gilt es mehr ins Zentrum zu stellen und weniger unsere SEV-Strukturen.» Auch musste er als Gewerkschaftssekretär seine Sektionen manchmal – mangels Zeit – etwas lange warten lassen, bis er sich nach prioritären Lohnverhandlungen oder Rechtsschutzfällen endlich um gewisse neue Anliegen kümmern konnte. Was die Mitgliederwerbung betrifft, findet er deren Verstärkung zwar nötig und richtig, «doch darf die Werbung nicht so sehr in den Mittelpunkt gestellt werden, dass Ressourcen für die eigentliche Gewerkschaftsarbeit fehlen. Denn wenn diese zu wünschen übrig lässt, wird Werben schwierig. Doch wenn sie gut ist, ist sie die beste Werbung.»

Felix Birchler lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern (4½ und 2) in St.Gallen und pendelt nach Chur – mit dem Zug.

Markus Fischer

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