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Digitalisierung

Arbeiten mit und für Roboter

Die Blechkollegen sind unter uns. In den Fabriken. Sie fahren unsere Postautos. Sie reden für und mit uns. Sie schreiben unsere Artikel. Sie kontrollieren uns und nun sollen sie eine Million Arbeitende ersetzen. Stecker ziehen? Besser: Nutzen wir sie für bessere Arbeit und ein besseres Leben. Digital muss sozial.

In 16 Jahren übernimmt die Künstliche Intelligenz (KI) das Kommando über die Menschheit. Das behaupten Leute, die an dieser Künstlichen Intelligenz bauen. Oder die davon leben, dies zu behaupten, etwa der MIT-Professor und Firmengründer Ray Kurzweil, der als Technik-Genie gilt.

Dieser Putsch wird, so vermutet er, schlagartig geschehen. Selbstlernende und miteinander kommunizierende Computer und Roboter werden dann angeblich durch eine «Intelligenzexplosion» plötzlich so rasend schlau, dass sie den Menschen nicht mehr benötigen – und der Mensch seinerseits nicht mehr versteht, was die KI da treibt. Immerhin, einen kleinen Trost gibt es: Diese «technische Singularität» hätte eigentlich schon eintreten müssen, sie wurde aber mehrmals abgesagt. Dafür hat die Künstliche Intelligenz jetzt sogar eine eigene Kirche, «Way of the Future», gegründet vom Roboterpionier Anthony Levandowski.

Sie arbeiten mit uns – und wir für sie

Ob ein Bittgebet an die KI hilft, wenn die Killermaschinen kommen? 1000 Experten aus dem Silicon Valley haben 2015 in einem offenen Brief die Menschheit vor Kampfrobotern gewarnt, die sich selbständig machen könnten, um die Gattung Mensch auszurotten. Irre Vorstellung? Stephen Hawking hatte den Brief unterschrieben, Apple-Mitbegründer Steve Wozniak, weiter der Chef von Tesla, Elon Musk, und etliche Leute wie Demis Hassabis, der «Deep Mind» leitet, das Programm von Google für Künstliche Intelligenz. Das war keine Gang von Technikfeinden. Sie müssten es ja eigentlich wissen.

Ihr Planet der Roboter ist zwar schön gruselig und faszinierend. Doch seit George Orwells Roman «1984» wissen wir, dass negative Utopien dazu dienen, eine Entwicklung, die bereits im Gange ist, dadurch zu verschleiern, dass man sie in die Zukunft wegbefördert. Das verstellt uns den Blick auf unsere Wirklichkeit.

Roboter sind längst unter uns. Nicht nur nette wie «SpotMini», der Roboterhund, der Türen aufmachen kann, oder die klassischen Produktionsroboter, von denen jedes Jahr fast 400000 neu zum Einsatz kommen. Wir leben und arbeiten mit Robotern in jeder Form. Mit Sprachmaschinen, Drohnen, Pflegerobotern, Steuerungstools, Social Media Bots etc. Sie arbeiten für und mit uns. Oder, das ist inzwischen häufiger, genau anders rum: Sie arbeiten mit uns (oft ohne unser Wissen) und wir für sie. Denn mit jedem Klick trainieren wir ihre Algorithmen, ihre Künstliche Intelligenz. Wir korrigieren sie ständig und füttern sie mit den Daten, die sie brauchen, um uns zu ersetzen. Wir sind ihre Klickproletarier. Nur wollen wir das oft nicht wahrhaben. Diese KI-Maschinen haben unser Leben in Nullen und Einsen eingeteilt, sie haben uns digitalisiert. Manchmal finden wir das bequem, wenn etwa ein chinesisches Handy in einem französischen Netz nach zwei SMS aus Bern plötzlich schweizerdeutsche Korrekturvorschläge macht. Aber was wissen Huawei und mein Telefonanbieter in Marseille sonst noch über mich?

«Dieser Job ist wegrationalisierbar»

Intelligente Maschinen entscheiden zunehmend an unserer Stelle. Etwa der Anlageroboter von PostFinance. Er glaubt, mich besser zu kennen als ich mich. Die Roboter kontrollieren uns und es entgeht ihnen wenig, wie die An- gestellten in Callcentern am eigenen Leib erfahren. Kein Zögern, keine Verlangsamung des Arbeitseifers, keine emotionale Aufwallung bleibt unbemerkt. Fehler ohnehin nicht. Da geht dann kein Vorgesetzter dazwischen, sondern die KI: sie unterbricht, rügt, weist an. Die Maschine ist der Chef.

Solche Techniken werden in immer mehr Berufsfeldern eingesetzt. Sie erzeugen einen Stress, der in der Arbeitsmedizin für dringenden Handlungsbedarf sorgt. Das eigentliche Ziel dieser Formen von KI besteht darin, so viel Wissen und Know-how aus der menschlichen Tätigkeit und Kommunikation abzusaugen («Hand und Wort»), dass sie den Menschen kontrollieren, vorausberechnen und imitieren können.

Dann soll die Maschine dem Aktio- när melden: Dieser Job ist wegrationalisierbar. Doch der Roboter ist ein Stück Blech oder Silizium, er hat keinen eigenen Willen, keine ausbeuterische Persönlichkeit. Er ist dafür programmiert. Mit einfachen, ausführenden Pro- grammen. Und–das ist das Besondere an Künstlicher Intelligenz–mit Meta-Befehlen wie: Suche nach Möglichkeiten, den Arbeitsvorgang X effizienter, billiger und menschenfrei zu machen.

Immer sind der Roboter und die Künstliche Intelligenz nur der bewaffnete Arm des Kapitals im Kräfteverhältnis mit der Arbeit. Wetten Aktionäre und ihre Manager mit Milliarden-Innovationsprogrammen auf die Digitalisierung, will es die elementare Logik, dass dies zwei Zielen dient. Erstens wollen sie im Markt mithalten. Und zweitens soll die menschliche Arbeit soweit möglich eliminiert oder zumindest grundlegend neu organisiert werden.

Klar geschieht dies so, als gäbe es nichts Neues unter der Sonne. Es ist zwar beunruhigend, in einem Postauto ohne Chauffeur über Walliser Bergstrassen zu kurven. Doch nein, versichert PostAuto, es geht nicht darum, Streiks abzuwenden, krankheitsbedingte Abwesenheiten zu verringern oder gar Personal abzubauen, wenn der Konzern automatisch fahrende Busse entwickelt. Doch das Projekt wird kräftig vorangetrieben. In Sion lernen die Fahrzeuge von PostAuto jeden Tag besser, die Schwierigkeiten des führerlosen Betriebs zu bändigen. Der Chauffeur in Graubünden oder im Val d’Anniviers, der sich vorstellt, nur ein Mensch könne einen Bus sicher durch Steinschläge und Kurven am Abgrund bringen, unterschätzt die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz.

Sein hohes Berufsethos macht ihn zum unfreiwilligen Helfer seiner eigenen Abschaffung, wenn er den Robotern alles beibringt, was ihn lange Jahre im Beruf gelehrt haben. Wie dies etwa die beiden «Begleiter» im «Smart Shuttle» von Sion tun.

Für die begleiteten Lieferroboter der Post in Zürich oder die Paketdrohnen, die nach 3500 Flügen und einigen Zwischenfällen vorerst am Boden bleiben, gilt dasselbe. Niemand denkt, die Post werde irgendwann ihre 138 Millionen Pakete (2018) per Drohne befördern. Es geht dem gelben Konzern darum, Techniken zu testen, Gesetze und Regulierungen auszuloten (und zu lockern) und sich das praktische Logistikwissen seiner Mitarbeitenden in Form von Künstlicher Intelligenz anzueignen.

Auf diese Weise löschen sich derzeit ganze Berufe in vielen Wirtschaftszweigen aus. Durch die eigene Arbeit wird meine Arbeit abgeschafft. In nur zwölf Jahren, so glauben die Unternehmensberater von McKinsey zu wissen, werden in der Schweiz 1 bis 1,2 Millionen Jobs der Digitalisierung zum Opfer fallen.

Ist Verweigern eine Lösung?

Doch was tun? Sollen wir uns verweigern? Das ist eine schwierige Option. Besser nutzen wir unsere Organisationsmacht, unsere Verhandlungsmacht und unsere institutionelle Macht, um mit der Digitalisierung bessere Arbeit und ein besseres Leben zu gewinnen. Das beginnt mit dem einfachsten gewerkschaftlichen Prinzip: Ihr wollt, dass wir eure Maschinen trainieren? Das bekommt ihr nur mit Gegenleistung.

Die Produktivität steigt stark an. Bestens. Verkürzen wir die Arbeitszeit. Massiv. So gewinnen wir Lebensqualität und entfalten unsere Kreativität. Ihr sagt, dass unsere Qualifikationen schnell veralten? Nun denn, richten wir das Recht auf finanzierte permanente Aus- und Weiterbildung, Alterslehre etc. ein.

Ihr schafft viele prekäre Plattform- und Klickjobs? Okay, aber prekär geht nicht. Jede Arbeit muss einem universellen Arbeits- vertrag unterstellt sein. Ihr wollt automati- sieren? Schön, auch wir finden manche Jobs zum Kotzen. Schafft viele bessere Arbeitsplätze.

Und da wäre noch einiges mehr.

Gelingt es uns, die Digitalisierung für eine bessere Verteilung des Wohlstandes zu nutzen, müssen wir am Ende nicht beim «Mechanischen Türken» anheuern. Diese Plattform von Amazon heisst wirklich so (www.mturk.com) wie der Schach-«Roboter» von 1769, in dem ein leibhaftiger Schachspieler versteckt war. Kein schlechter Name.

Der Amazon-Konzern, der seine Angestellten zu miesen Bedingungen schuften lässt, bietet hier Auftraggebern die Möglichkeit, Klickproletarier für noch mieseren Lohn zu finden. Es beginnt, so steht es in den Geschäftsbedingungen, mit «0,1 Cent pro Job».

Syndicom Magazin; Texte Sylvie Fischer und Oliver Fahrni, Bilder: Hélène Tobler

Was uns alle zu Klickproletariern macht

Blockchains sind gerade der grosse Hype. Sie sollen in der Welt schon wieder alles neu machen. Nicht nur Dinge wie Kryptowährungen. Einer ihrer riesigen Knotenrechner steht in der Mongolei. Eine regelrechte Computerfarm, die so viel Strom verbraucht wie eine Grossstadt. Der Strom kommt aus einem Kohlekraftwerk. So ist das manchmal in der schönen neuen Digitalwelt. Ganz real und dreckig.

Digitalisierung kennen wir schon lange, gerade in den syndicom-Branchen. Roboter waren schon für Da Vinci ein alter Hut. Das Internet wurde gerade 50-jährig. An Künstlicher Intelligenz wird offiziell seit 1965 gearbeitet, tatsächlich schon viel länger. Auf sozialen Netzwerken konnte man schon 1980 flirten. Im Jahr 825 erschien, auf Arabisch, ein Buch über Algorithmen. Es hiess: «Algorismi hat gesagt». Tja.

Der Punkt ist: Heute wird dies alles zusammengefügt. Weltkonzerne wie die «GAFAM» und Tausende von Entwicklungslabors arbeiten unter gigantischem Aufwand daran, selbstlernende Computer mit neuronalen Netzwerkfähigkeiten zu Deep-Learning-Plattformen zusammenzuführen, die mit andern Computern interagieren, um komplexe Probleme zu lösen, wie etwa die Prozesse der Roboter-Automatisierung.

Und ihre Künstliche Intelligenz auf immer neue Levels zu heben. Mit Menschen kommunizieren sie via Spracherkennung über Chatbots oder Social Bots und via Internet und Soziale Medien.

Damit werden Ziele wie Automatisierung, Roboterisierung, totale Kontrolle (Biometrie, Telematik etc.) und Manipulation menschlichen Verhaltens (etwa im Brain-Project der EU mit Schweizer Unis), künstliche Herstellung von Inhalten in jeder Form und einiges mehr verfolgt.

Die GAFAM bauen sich gerade einen neuen digitalen Kapitalismus, übrigens weitgehend mit fiktivem Kapital, in dem die Masse der Menschen als Crowdworker ohne Vertrag, soziale Sicherheit und ausreichendes Einkommen beschäftigt wird.

Dieser Prozess entfaltet eine ungeheure Wucht. Weil er von einer Handvoll Aktionären entschieden und gemacht wird und nicht von der Technik, können wir auf ihn einwirken.

Voraussetzung aber ist, dass wir unser Bewusstsein für diese neue Ökonomie schärfen.

Oliver Fahrni