| Aktuell / SEV Zeitung

Schienengüterverkehr

Abbau von Cargo-Zustellpunkten: Widerstand bringt erste Erfolge

Seit SBB Cargo im Februar angekündigt hat, 170 Zustellpunkte des Einzelwagenladungsverkehrs zu überprüfen und möglichst zu schliessen, hat der SEV diese Abbaustrategie bekämpft. Sie ist im peripheren Jurabogen besonders problematisch, auch wenn nun im Kanton Neuenburg Lösungen für den Holzverlad gefunden wurden. Die politische Mobilisierung dagegen geht weiter, um eine Verlagerung von der Schiene auf die Strasse zu verhindern.

In Col-des-Roches hat die Bahn mit Holz und Tunnelausbruchmaterial genug zu transportieren.

Der Neuenburger Nationalrat Denis de la Reussille von der Partei der Arbeit, welcher der Grünen Fraktion angehört und an seinem Wohnort Le Locle als Gemeinderat für die Waldwirtschaft zuständig ist, hat am 24. September die Interpellation «Kahlschlag bei SBB Cargo» eingereicht. Der Name passt zum Holztransport, der von den Abbauplänen von SBB Cargo besonders betroffen ist (siehe auch kontakt.sev vom 28. Juni und 12. Juli). Dabei gehe es «nicht um eine blosse Umstrukturierung», heisst es in der Interpellation, sondern «in den kommenden Wochen steht ein regelrechter Kahlschlag unter den Bedienpunkten bevor. Die Entscheidungen wurden erneut ohne wirkliche Rücksprache getroffen und könnten für die betroffenen Regionen in wirtschaftlicher wie ökologischer Hinsicht schlimme Folgen haben.» Denis de la Reussille fragt den Bundesrat an, ob er die Absicht habe, «bei der SBB-Cargo-Leitung entschlossen zu intervenieren, damit in allen Regionen unseres Landes qualitativ hochstehende Bedienpunkte beibehalten und somit die notwendigen Rahmenbedingungen für Umwelt und Wirtschaft garantiert werden können?» Die Schliessung von Bedienpunkten verteuere den Holztransport für die regionale Holzwirtschaft um schätzungsweise 6 bis 7 Franken pro Kubikmeter Holz, warnt der Interpellant. Besonders die drohende Schliessung des Bedienpunktes Col-des-Roches bei Le Locle liess eine Lastwagenlawine befürchten, umso mehr, als der französische Holzverarbeiter Vermot aus Villers-le-Lac dort eine Niederlassung erwägt.

Doch nun hat am 2. Oktober der Kanton Neuenburg mitgeteilt, dass auf Bestellung weiterhin Ganzzüge nach Col-des-Roches fahren. Dies sei das Resultat eingehender Gespräche mit der SBB Cargo AG, von der er glaubwürdige Alternativen zur Schliessung verlangt habe. «Diese Lösung entspricht den Bedürfnissen der einheimischen Holzwirtschaft», kommentiert der Kanton in seiner Mitteilung. Zudem werde er mit SBB Cargo ein Konzept ausarbeiten, wie das Ausbruchmaterial aus dem geplanten Tunnel für die Umfahrung H20 von Le Locle per Bahn abtransportiert werden kann.

Denis de la Reussille zeigt sich in der Tageszeitung «Arcinfo» vom 29. September erleichtert, dass in Col-des-Roches weiter Holz verladen werden kann. «Die Schliessung wäre umso unverständlicher gewesen, als dort die Zahl der Bahnwagen zwischen 2012 und 2017 um 114% zugenommen hat.» Dies belege ein Dokument von SBB Cargo, laut dem dort letztes Jahr 48000 Tonnen Güter registriert worden seien. Die Lösung für den Col-des-Roches ist an sich eine gute Nachricht, doch bleiben verschiedene Fragen offen (siehe Kommentar «Für Güter…).

Kehrichtentsorgung ohne Bahn?

Während die Holzwirtschaft teilweise aufatmen kann, hält die Firma Vadec, die im Jurabogen (in den Kantonen NE, BE, JU und VD) den Kehricht entsorgt, den Atem an. Denn die Schliessung eines Zustellpunktes bei Colombier (NE) im unteren Kantonsteil bedroht die Bahntransporte der Vadec. «Die Ankündigungen von SBB Cargo wirken abschreckend», kritisiert Vadec-Direktor Emmanuel Maître. Bisher habe die Vadec trotz der höheren Transporttarife der Bahn auf diese gesetzt, weil sie weniger Immissionen verursache, umweltfreundlicher sei und einen konstanteren Transportfluss biete. «Es gibt einen Widerspruch zwischen dem, was der Bund über die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene sagt, und den Massnahmen in der Fläche.» Die Vadec transportiert jährlich 45000 Tonnen Kehricht mit der Bahn, was rund 4500 Lastwagen entspricht. Der Zustellpunkt bei Colombier soll bis Ende Jahr überprüft werden, wie der Kanton schreibt. Er habe verlangt, eng einbezogen zu werden, um eine leistungsfähige Bedienung zu sichern.

Die Vadec verlädt bei Colombier zurzeit jährlich 15000 Tonnen Schlacke und Asche aus der dortigen Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) auf die Bahn, welche sie in die Deponien Celtor in Tavannes (im Berner Jura) und ISDS in Oulens (VD) bringt. Der Cargo-Abbau gefährde auch die Zukunftspläne der Vadec, erklärte ihr Direktor gegenüber «Arcinfo»: So wolle sie etwa ab 2025 bis 2027 den Kehricht nur noch in der Nähe von La Chaux-de-Fonds verarbeiten und verbrennen und den Zustellpunkt bei Colombier dafür nutzen, den Kehricht aus dem unteren Kantonsteil auf die Bahn zu verladen. Von dort soll SBB Cargo den Kehricht zur Haltestelle Bellevue der Chemins de fer du Jura (CJ) bei La Chaux-de-Fonds bringen, und von dort die CJ zur nahen KVA der Vadec. Dafür Lkw zu verwenden wäre nicht nur umweltschädlicher, sondern würde auch den Autobahnabschnitt mit dem Tunnel durch die Vue-des-Alpes unsicherer machen.

Was die Zukunft der heute 15 Bedienpunkte im Kanton Jura und im Berner Jura betrifft, von denen 12 gefährdet sind, will SBB Cargo Ende Monat informieren. Springen allenfalls die CJ für SBB Cargo ein? Die Jurabahnen bringen schon heute jährlich 30000 Tonnen Kehricht von La Chaux-de-Fonds zur nahegelegen KVA der Vadec sowie alle Siedlungsabfälle des Kantons Jura und des Berner Juras ebenfalls dorthin. Auch bei diesen Transporten droht eine Verlagerung auf Lkw.

Vivian Bologna/Fi

Enable JavaScript to view protected content.

Für Güter… die Strasse?

 

Der Kanton Neuenburg freut sich, dass SBB Cargo den Col-des-Roches weiterhin bedient, wenn auch nur mit Ganzzügen, welche die Kunden bestellen müssen. Statt wie bisher täglich hinzufahren unabhängig vom Güteraufkommen. Darum hinterlässt die gute Nachricht einen schalen Nachgeschmack: SBB Cargo will offensichtlich nur weiterführen, was rentiert.

Für Kunden, die sich allein keine Spezialzüge leisten können, wird es damit schwieriger, auf die Bahn zu setzen, aus praktischen und finanziellen Gründen. Es sieht ganz danach aus, als ob SBB Cargo Kunden absichtlich abschrecken will, wie es Vadec-Direktor Emmanuel Maître treffend sagte. Die kommenden Entscheide zu den Zustellpunkten im Kanton Jura und im Berner Jura werden noch klarer zeigen, ob der Bahngüterverkehr im Jurabogen eine Zukunft hat. Werden notfalls die Chemins de fer du Jura (CJ) für SBB Cargo einspringen?

Sicher ist: Ohne Subventionen – der Kantone oder des Bundes – ist die Verlagerung von der Strasse auf die Schiene zum Scheitern verurteilt. Trotz mehrerer Volksentscheide für die Verlagerung. Deshalb muss die öffentliche Hand den Schienengüterverkehr mit Subventionen fördern. Der gute Wille der Kunden allein kann nicht genügen.

Jean-Pierre Etique