Rede des Präsidenten SEV
Giorgio Tuti: «SBB, BLS, SOB, rauft euch zusammen!»
Giorgio Tuti eröffnete den Kongress mit einem Appell an SBB, SOB und BLS, zur Fernverkehrskonzession eine Einigung zu finden, um deren folgenreiche Aufteilung zu verhindern. Er kritisierte die Liberalisierungspolitik der EU und des Bundesamts für Verkehr (BAV) und rief dazu auf, am 24. September die Altersvorsorge 2020 anzunehmen.
Giorgio Tuti analysierte die Folgen der EU-Liberalisierungspolitik zuerst beim Luftverkehr: «Hier sind heute über 50 Prozent der Arbeitsverhältnisse atypisch», erklärte Tuti und verwies auf die vielen temporär und befristet Angestellten und Scheinselbstständigen bis hin zu den «Pay-to-Fly-Piloten»: Diese sind bereit, für ihre Arbeit zu bezahlen, weil sie auf ein Soll von Flugstunden kommen müssen für ihre Lizenz, was gewisse Airlines ausnützen: «Das ist ein Skandal!»
Auch im Strassenverkehr führt die Deregulierung zu prekären Arbeitsbedingungen: «Schweizer Chauffeure verdienen im Schnitt 4800 Franken pro Monat, deutsche rund 1500 Euro und bulgarische 215 Euro, bei 57,5 Stunden pro Woche. Es gibt auch Chauffeure, die pro Kilometer bezahlt werden statt pro Monat oder Stunde, damit sie im Stau nichts kosten. Das ist Sklaverei!»
Die Beispiele stammen aus einer Untersuchung der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF), deren Sektion Eisenbahn Giorgio Tuti seit diesem Frühling präsidiert. «Auch bei der Bahn wird überall gedrückt. In Deutschland vermitteln über 120 Leiharbeitsfirmen Personal an die DB und private EVU, ein einträgliches Geschäft. Gespart wird bei der Ausbildung: Jene eines Lokführers dauert in Europa heute 20 bis 1000 Stunden, je nachdem, was die Bahnsicherheit gefährdet. Dies sind die Folgen der Liberalisierung: überall Dumping – bei Lohn, Arbeitszeit, bei der Ausbildung und somit auch bei der Sicherheit.» Tuti stellte klar: «Ich bin kein EU-Gegner, im Gegenteil. Doch die EU ist heute eine reine Wirtschaftsunion. Was wir brauchen, ist eine soziale Union. So wird sie auch unsere Union!»
Billigbusse bekämpfen
Zu den Fernbussen hielt Tuti fest, dass diese in der Schweiz die geltenden GAV und das Kabotageverbot missachten. «Aus Lörrach fahren Chauffeure am Morgen mit dem PW nach Zürich, von dort mit dem Bus nach Mailand retour und am Abend wieder mit dem PW heim nach Lörrach. Das gibt Arbeitstage von 15 bis 16 Stunden!» Für Tuti macht es auch keinen Sinn, wenn Fernbusse mit dem Segen des BAV Bahnlinien konkurrenzieren, für deren Ausbau das Schweizer Volk mit Fabi viele Milliarden Franken bewilligt hat. «Dieser Wettbewerb ist unfair, denn die Busunternehmen missachten die elementarsten Arbeitsvorschriften und bezahlen fast nichts an die Infrastruktur.»
Aufruf an SBB, BLS und SOB
Was die Fernverkehrskonzession auf dem Schweizer Bahnnetz betrifft, die auf Ende Jahr erneuert werden muss, appellierte Tuti an die drei grossen Schweizer Bahnen SBB, BLS und SOB. «Rauft euch zusammen und einigt euch, spielt dieses gefährliche Spiel des BAV nicht mit. Nur mit Zusammenarbeit erreicht man Qualität und Sicherheit. Den Preis für euren Wettbewerb bezahlen die Arbeitnehmenden. Das wollen wir nicht!»
Tuti kam auch zurück auf den Fall Crossrail: Dieses EVU wollte seinen Lokführern in Brig nur 3600 Franken bezahlen, viel weniger als der branchenübliche Lohn – mit dem Einverständnis des BAV. Dank der Klage des SEV vor Bundesverwaltungsgericht ist dieses Geschäftsmodell nun vom Tisch. «Wir haben gewonnen! Wir wollen Schweizer Löhne auf Schweizer Schienen. Doch das BAV will mit Zustimmung des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation weiter liberalisieren …»
GAV-Erneuerung bei der SBB
«Das beste Mittel, um unsere Arbeitsbedingungen aufrechtzuerhalten, sind flächendeckende GAV», fuhr Tuti fort. Unter den über 70 Unternehmens- GAV in der Schweiz ist natürlich jener bei SBB/SBB Cargo besonders wichtig. «Für die Erneuerung nächstes Jahr gilt es, jetzt mit der Mobilisierung zu beginnen. Ich bin sicher, dass wir dabei auf die Solidarität der KTU-Angestellten und der pensionierten Kollegen und Kolleginnen zählen können.»
Ja zur Altersvorsorge 2020
Giorgio Tuti rief die Delegierten auf, am 24. September der Rentenreform zuzustimmen (siehe Seite 4): «Das höhere Rentenalter für die Frauen und der tiefere Umwandlungssatz gefallen mir auch nicht, doch man muss diesen Kompromiss als Ganzes anschauen: Erstmals seit 40 Jahren wird die AHV gestärkt: Alleinstehende Neurentner/innen erhalten 840 Franken mehr Rente pro Jahr, und Ehepaare bis 2712 Franken mehr. Die tiefen Löhne werden in der 2. Säule besser versichert. Wer mit 58 Jahren arbeitslos wird, kann künftig in der Pensionskasse bleiben. Und die Finanzierung der AHV wird bis 2030 gesichert, und damit auch der Mischindex für die Anpassung der laufenden AHV-Renten.»
«Ich habe fertig»
Giorgio Tuti dankte allen Miliz- und Profigewerkschafter/innen für ihre Arbeit und schloss wie einst ein anderer G.T., Giovanni Trapattoni, früherer Coach des FC Bayern München: «Ich habe fertig!»
Alberto Cherubini/Fi